Das war schon eine Überraschung: Am vergangenen Donnerstag, just vor dem Osterwochenende, erreichten Wirtschaft und Gesellschaft gleich mehrere Übernahmeangebote. Als hätten Sie sich abgesprochen, boten die drei Bieter – darunter neben einem öffentlichen Sender und einem viel gelesenen Online Magazin auch eine große Oppositionspartei – eine stattliche Summe. Sie entsprach exakt der fünffachen Höhe, die die meisten Parteien von einem großen Finanz- und Versicherungskonzern seit Jahren als Spende erhalten; an die Werbeeinnahmen, die die einschlägigen Medien durch diesen Finanz- und Versicherungskonzern ebenso regelmäßig generieren, reicht sie jedoch gewiss nicht heran. Unsere Recherchen können allerdings bisher nicht vollständig belegen, dass die Übernahmeangebote allesamt im Auftrag jenes Finanz- und Versicherungskonzerns erfolgten. Gewiss ließe sich der Betrag auch in Rundfunkgebühren oder Werbeeinnahmen des Online Magazins benennen, was wir aber aufgrund fehlender Daten hier nicht leisten können.
Der Tenor aller Übernahmeangebote war nahezu identisch: Die Bieter wären es leid, ständig den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Sie würden darin eine Gefährdung ihres Ansehens und, was damit gleichzusetzen sei, der öffentlichen Ordnung sehen. Kritik müsse doch auch möglich sein, ohne die Dinge und Personen so beim Namen zu nennen, wie es auf Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder geschehe. Das würde nicht nur sie, die Bieter, sondern erst Recht “die Menschen dort draußen” völlig verwirren und Unsicherheit in der Bevölkerung schüren. Vertrauen aber sei gerade jetzt das höchste öffentliche Gut. Ohne unbedingtes Vertrauen würden sich notwendige Reformen kaum durchsetzen lassen. Das könne ich im Ernst doch nicht wollen. Gern aber wollten mir die Bieter das Schreiben weiterhin ermöglichen und mir dabei sogar großzügig finanziell “unter die Arme greifen”.
Das populäre Online Magazin bot mir eine eigene Kolumne im Rahmen einer viel gelesenen Kolumnenreihe an. Ob ich denn die anderen Kolumnisten auch weiterhin kritisieren dürfe, fragte ich sogleich. Ich sei – abgesehen von einem hauseigenen Lektorat, das sich gegebenenfalls erlaube, einige Formulierungen dem hauseigenen Sprachstil anzupassen und in ganz seltenen Fällen auch inhaltlich einzugreifen (was sich aber mit der Zeit sicherlich erübrigen würde), und von der Wahl der Überschrift, die ebenfalls vom Hause formuliert werde – völlig frei.
Der öffentliche Sender wiederum bot mir an, dass er zu später Stunde schon einmal einen Kommentar von mir senden könne. In den Zeiten zwischen ein und drei Uhr früh bekäme ich dafür möglicherweise einen eigenen Sendeplatz. Irgendwie müssten sie den Betrag ja schließlich rechtfertigen. Endlich, so der Sender, würde ich dann auch von den Rundfunkgebühren profitieren. Eine gewisse Anpassung, Inhalt und Ton betreffend, wäre damit allerdings schon verbunden.
Der Vorsitzende der großen Oppositionspartei bot mir schließlich eine Stelle für besondere Aufgaben an. Ich dürfe, wenn ich in seine Dienste trete, ausschließlich für ihn schreiben. Und das bekäme ich auch noch außerordentlich vergütet. Ich müsse allerdings wissen, dass zwar die Politiker ordentlich verdienen, nicht aber ihre Mitarbeiter. Bei mir würden sie da schon eine Ausnahme machen wollen. Aber allzu sehr dürfe ich das Gehaltsgefüge nicht durcheinander bringen. Mehr als 8,50 Euro wären es aber gewiss.
Was denn mit Wirtschaft und Gesellschaft passieren würde, fragte ich die Bieter in den Gesprächen, die sich über das ganze Osterwochenende hinzogen. Nach anfänglichem betretenen Schweigen und Sätzen wie – darüber müsste ich mir doch jetzt keine Sorgen mehr machen -, rückten alle Bieter frei heraus mit der Sprache: Ja, das sei schon gewollt, dass Wirtschaft und Gesellschaft seine Tore schließe. Das ließe sich mit meiner zukünftigen beruflichen Tätigkeit schließlich weder inhaltlich noch zeitlich vereinbaren, nebenbei noch für Wirtschaft und Gesellschaft zu schreiben. Ich laufe dann ja auch Gefahr gewissermaßen gegen mich selbst schreiben zu müssen – wenn ich mich erst einmal an das neue Arbeitsumfeld gewöhnt habe.
Warum sie mir denn nicht einfach die angebotene sechsstellige Summe plus das monatliche Salär einfach so bezahlen würden. Für eine unabhängige Berichterstattung, an der es, das zeigten doch gerade ihre Angebote, so mangelt. Wer wolle schon einen Markt, in dem nur Kartoffeln angeboten würden und dann auch noch die größten, mit Verlaub, von den dümmsten Bauern.
Doch erntete ich damit nur Kopfschütteln, hochgezogene Augenbrauen und irritierte Blicke. Ob ich denn nicht begreifen würde, dass so die Medien heute nicht mehr funktionierten und im übrigen noch nie funktioniert haben.
Das alles verlief in wirklich entspannter Atmosphäre und in diplomatischem Ton. So habe ich mir schon immer Gespräche zwischen Politikern und Lobbyisten vorgestellt. Jetzt durfte ich es einmal selbst erleben. Als sich herausstellte, dass ich auf keines der Angebote eingehen würde, gab es noch fürsorgliche Einwände wie: Aber Ihre Rente, Sie müssen doch irgendwie Geld verdienen, man kann so auch sehr schnell sehr tief fallen…
Ich verwies auf eine steigende Zahl Abonnenten – und gebe zu, dass ich dabei ein wenig übertrieben habe, was wiederum eine Untertreibung ist -, die Wirtschaft und Gesellschaft schon tragen würden. Schließlich baten die Anbieter nur noch darum, anonym bleiben zu dürfen, was ich ihnen aus schierer Dankbarkeit für dieses Lehrstück in Demokratie und Meinungsfreiheit, wohlwollend zusicherte.
Am Ende fiel mir noch ein zu fragen: Wie wäre es denn, wenn Sie ihren Betrieb umstellen und von heute auf morgen damit anfangen einfach alles, was Sie so in den vergangenen Jahren verzapft haben und jeden Tag aufs Neue verzapfen, zu hinterfragen, tief Luft holen und mit mir und anderen gemeinsam nach Alternativen suchen, die das Gemeinwohl wieder ernsthaft in den Bick nehmen, Sie die Berichterstattung wieder etwas ausgewogener werden lassen und auch einmal zeigen was möglich ist und nicht länger nur darüber lamentieren, was vermeintlich nicht möglich ist?
Und wieder erntete ich Kopfschütteln, hochgezogene Augenbrauen und irritierte Blicke. Die Übernahmeschlacht war abgewendet.
Jetzt fehlen nur noch mehr, viel mehr Abonnenten, die Wirtschaft und Gesellschaft mit zehn Euro im Monat unterstützen und so eben jene Ziele verwirklichen helfen.
Wie sagte der neue Papst bei seiner sonntäglichen Osterbotschaft gestern. Verlieren wir nicht die Zuversicht. Geben wir niemals auf. Das ist auch für die säkulare Welt eine ermutigende Botschaft.
Herzlich,
Florian Mahler
info@wirtschaftundgesellschaft.de
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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
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