“Ich bin auch gar nicht garstig. Ich bin auch gar nicht, wenn Sie so wollen, irgendwie vernagelt…” Vielleicht liegt es – neben der hier schon häufig aufgegriffenen, offensichtlich fehlenden fachlichen und politischen Eignung – auch einfach daran, dass Peer Steinbrück zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist, um den Kopf für die wirklichen politischen Probleme frei zu haben. Diesen Eindruck zumindest vermittelte der SPD-Kanzlerkandidat ein weiteres Mal heute früh im Interview mit dem Deutschlandfunk. Es ist so viel falsch und anstößig in dem Interview, dass ich es an dieser Stelle noch einmal wiederhole: Von dieser SPD möchte ich nicht regiert werden.
Steinbrück taugt nicht als Moralapostel in Sachen Steuern
Zunächst empfehle ich, das Interview zu hören und nicht nur nachzulesen. Die Stimme, diese ewig unterschwellig gereizte, “angefasste” oder beides auch nur mühsam unterdrückende Tonlage Steinbrücks ist für mich schon vielsagend, so vielsagend, dass ich weiß: Diese Tonart möchte ich nicht von einem Kanzler hören. Man kann (in diesem Fall) die Schweiz in Sachen Steuern auch kritisieren, ohne einen solch abkanzelnden, erzieherisch kompromisslosen Ton anzuschlagen, wie Steinbrück es in Richtung Schweiz unternimmt. Man kann mit einem anderen Ton sicherlich auch mehr erreichen. Natürlich wäre darüber hinaus Steinbrück nicht Steinbrück, wenn er sich in diesem Zusammenhang nicht selbst loben würde, respektive seine damalige Rolle als Finanzminister und seines mauvais mot von der ausrückenden Kavallerie. Sein Ton gegen die Schweiz war schon damals nicht hilfreich. Er hätte besser die Straffreiheit bei Selbstanzeige abschaffen sollen, dann wäre schon viel gewonnen gewesen. Kein Wort aus Steinbrücks Munde damals davon – und heute auch nicht. Was fordert Steinbrück stattdessen: Eine Bagatellgrenze von 50.000 Euro! In seiner Zeit als Bundesfinanzminister hatte sich Steinbrück zudem lieber auf niedrige Kapitalertragssteuern, Finanzmarktderegulierung und das gesetzliche Protegieren von Schrottpapieren verlegt. Sein schlampiger Umgang mit Steuerschlupflöchern ist wohl einmalig. Das ist eben eines von Steinbrücks Dauer- und Hauptproblemen: Seine Großmäuligkeit und gleichzeitige politische Unfähigkeit. Dass es auch anders geht, zeigt seit langem unter anderem sein Genosse Norbert Walter-Borjans.
Steinbrücks schulmeisterisches Verständnis der Europäischen Zentralbank ist peinlich
Zum Glück streift das Interview aber noch andere Fragen, und zwar keine geringere als die Eurokrise. Bisher haben Steinbrück und die SPD zur Lösung dieses drängenden Problems nichts Substantielles beigetragen. Was Steinbrück allerdings zur EZB-Zinssenkung heute früh zu sagen hatte, ist einfach nur noch peinlich. Wie ein Schulbub referiert er brav:
“Ich kommentiere keine Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank. Das ist Sache eines unabhängigen Zentralbanksystems.”
Was soll solch einer als Kanzler in der größten Krise der Nachkriegszeit bewirken? Richtig: Nichts!
Steinbrück fährt fort:
“Das kann man in die eine Richtung bewirken oder in die andere Richtung bewirken, will sagen, dass da, wo die Renditen immer geringer werden, dass viele Sparer sagen, ich kriege kaum noch eine Verzinsung, eine Rendite auf mein Geld. Man kann auch sagen, dass damit der Gestaltungsspielraum der Geldpolitik immer geringer wird. Weil, je mehr er sich auf Null reduziert, desto weniger ist dieser Gestaltungsspielraum. Auf der anderen Seite versucht die EZB offenbar, sagen wir mal, die Bedingungen auf den Kapitalmärkten zu verbessern.”
Die erschreckende Beliebigkeit dieser Sätze ist das eine. Kein Wort über das drängende Problem zu verlieren – die Massenarbeitslosigkeit in den Euro-Ländern – und die Zinsentscheidung in diesem Kontext zu thematisieren ist das andere. Wenigstens lenkt die Moderatorin das Gespräch darauf:
“Aber die Maßnahme soll ja schon den Ländern in Not helfen, grob gesprochen, dem europäischen Süden, darum geht es doch der SPD jetzt, oder?”
Steinbrück, auf dem falschen Fuß ertappt und mühsam aber erfolglos seine Aussage zurecht rückend:
“Ja, das habe ich ja versucht, deutlich zu machen. Es geht darum, dass die auf den Kapitalmärkten niedrigere Zinsen haben, um ihre Staatsanleihen zu platzieren, richtig. Deshalb komme ich auch zu dem Ergebnis, es gibt zwei unterschiedliche Betrachtungen dazu.”
Das ist nun wirklich nicht zum Aushalten. Und so geht der Dialog weiter:
“Heuer: Ich versuche herauszufinden, welcher Sie anhängen, Herr Steinbrück.
Steinbrück: Ja, ich ziehe da keinen Strich drunter. Die Zinspolitik liegt in der Zuständigkeit eines unabhängigen Zentralbanksystems, und es verbietet sich für Politiker, über Aktienkurse zu reden, über Währungskurse zu reden und über Zinssätze zu reden.”
Frustriert wendet sich die Moderatorin Steinbrücks persönlicher Spartätigkeit zu. Sicherlich auch nicht gerade der letzte intellektuelle bzw. journalistische Schrei. Gezeigt hat uns dieses Interview aber, dass Steinbrück kein Konzept hat, nicht im Ansatz, er hat keine Meinung zur wichtigsten politischen Frage, die sich spätestens seit 2008/2009 bis heute stellt und auch nach der Bundestagswahl im September stellen wird.
Wir haben in diesem Zusammenhang regelmäßig die Ausführungen der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers aufgegriffen und kritisiert. Vor dem Hintergrund des Interviews mit Steinbrück muss man allerdings zugestehen: Merkel und Schäuble haben immerhin eine Position, mit der man sich auseinandersetzen kann und muss. Die Bundesregierung steht in dieser Hinsicht unter zunehmenden Druck der von ihrer ökonomischen Doktrin betroffenen Länder. Steinbrück aber laviert nur herum. Gleichzeitig wissen wir, dass er die Politik, die maßgeblich für die Eurokrise verantwortlich zeichnet – die Agenda 2010 – mit Stolz befürwortet und verteidigt. Steinbrück war schon als Bundesfinanzminister überfordert. Das Interview hat noch einmal deutlich gemacht: Noch mehr wäre er es als Bundeskanzler.
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