Dass, bei aller Wertschätzung für viele Sendungen, der Deutschlandfunk mit seiner Politik- und Wirtschaftsredaktion seit längerem auf dem absteigenden Ast ist, mussten wir bedauerlicherweise schon häufiger thematisieren. Gestern ist der Sender noch einmal ein Stück tiefer gerutscht. Der Name der Sendung, “Hintergrund”, war diesmal leider nur sehr bedingt Programm.
So wurde zum Thema Demographie ohne jeden Hintergrund Professor Bernd Raffelhüschen als Finanzwissenschaftler vorgestellt und immer wieder zitiert:
“…Vorhersagen über die demografische Entwicklung sind nicht ganz neu – nach Ansicht von Professor Bernd Raffelhüschen gerät aber immer mehr in Vergessenheit, welche Sprengkraft in diesen Prognosen steckt. Raffelhüschen lehrt an der Universität Freiburg Finanzwissenschaften, und er hat sich seit vielen Jahren darauf spezialisiert zu berechnen, welche finanziellen Folgen der demografische Wandel hat…”
Vielleicht strebt Journalist Nikolaus Nützel ja auch den Publizistik-Preis der Friedrich-August von Hayek-Stiftung an. Den hat gerade seine Kollegin Dorothea Siems von der Welt erhalten, die zur Person Raffelhüschen ebenfalls keinen Hintergrund lieferte (vergleiche Staatsfinanzen: Not everything is as it “Siems”). Dabei stößt man, selbst, wenn man nur einen kurzen Blick zu wikipedia wirft, darauf, dass Raffelhüschen ein ausgewiesener Lobbyist der privaten Versicherungswirtschaft ist: “Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig…Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Raffelhüschen betätigt sich auch als Vortragsreisender für die private Versicherungswirtschaft, beispielsweise mit 40 Veranstaltungen der Heidelberger MLP AG im Jahre 2004 und weiteren im Jahre 2005.”
Wen wundert es also, wenn Nützel Raffelhüschen wie folgt zusammenfasst?
“Raffelhüschen hat auch eine Idee parat, wie dieses Akzeptanzproblem gelöst werden könnte: Die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme müssten weniger Leistungen garantieren, stattdessen nur noch einen Grundbedarf absichern. Alles, was darüber hinausgeht, müsste privat abgesichert werden. Nach Ansicht des Freiburger Professors sind die Einschnitte bei der Rentenversicherung in den vergangenen Jahren Vorbild dafür.”
Wundern muss man sich nur, ob der Qualität des Journalismus im Deutschlandfunk. Natürlich kommt Raffelhüschen auch persönlich ausführlich zu Wort – und erhält tatsächlich auch etwas Widerspruch. Zum Beispiel von einer SPD-Staatssekretärin a.D., Ulrike Mascher, die die Zerstörung der Rentenversicherung mit auf den Weg gebracht hat, heute aber als Präsidentin des Sozialverbandes VdK natürlich kritisch ist, so aber, anders als Raffelhüschen präsentiert wird, nämlich als “neutraler” Wissenschaftler, von vornherein unglaubwürdig ist.
Dass aber ausgerechnet Raffelhüschen Mascher das folgende vorwirft, und Nützel dies in seine Sendung kritiklos hereinnimmt, ist nun wirklich mit keinem journalistischen Mindest-Standard mehr zu erfassen:
“Frau Mascher ist eine typische Interessenvertreterin. Sie will, dass die zukünftigen Rentner-Generationen um 2035 eben halt zulasten der dann Zahlenden mehr bekommen. Das ist ein Interessenskonflikt.”
Was aber ist Raffelhüschen, wenn nicht ein typischer Interessenvertreter? Dagegen ist doch Mascher ein ganz kleines Licht!
Immerhin kommt auch noch Bernhard Braun von der Universität Bremen zu Wort. Aber am Ende sucht Nützel auch da nach Einigkeit mit Raffelhüschen, der die Sendung auffällig dominiert; kaum ein Absatz, in dem er nicht zu Wort kommt oder zitiert wird. Positionen, die Produktivitätssteigerungen als Argument anführen oder die den generellen Charakter der Umlagefinanzierung jeder Alterssicherung, ob gesetzlich oder privat, erklären, bleiben darüber hinaus völlig außen vor.
Ein ganz trauriges Stück Journalismus. Vordergründiger kann man eine Hintergrund-Sendung wohl nicht gestalten.
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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
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