Alle sind ganz heiß (ein bisschen BILD-Sprache ist jetzt ja wohl erlaubt in diesem Zusammenhang): BILDplus kommt! “Die größte deutsche Medienmarke” führt ”ein Bezahlmodell für journalistische Inhalte im Netz ein”, schreibt Deutschlands größte und mächtigste Boulevard-Zeitung über ihr neuestes Projekt. Nun kann man über “die journalistischen Inhalte” der BILD sicherlich trefflich streiten. Viele hielten BILDminus da wahrscheinlich für treffender. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Andere Medien werden folgen
Ich bin schon lange der Auffassung, dass sich das Internet in die Richtung entwickeln wird und muss, die jetzt auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Axel Springer, eingeschlagen hat. Jetzt auch? Na, immerhin haben wir als vielleicht “kleinste deutsche Medienmarke” diesen Weg schon vor BILD eingeschlagen. Musste Döpfner dazu also erst seinen Chefredakteu(e)r Kai Diekmann ins amerikanische Silicon Valley schicken? Natürlich nicht. Schaut man sich das den Lesern aller Medien aufgezwungene Foto von der innigen Umarmung “der größten deutschen Politikmarke”, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, mit Diekmann an, kommt man nicht umhin festzustellen, dass ins Silicon Valley ganz offensichtlich noch nicht einmal die Erfindung eines einfachen Rasierapparats gedrungen ist. Oder funktioniert Rasieren virtuell einfach nicht? Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dort Kurt Beck anstelle Röslers gestanden hätte (für die mit schwachem Erinnerungsvermögen, auf die die SPD ja auch im aktuellen Bundestagswahlkampf setzt, oder diejenigen, die da einfach noch zu jung waren: Kurt Becks Arbeitslosen-Schelte: “Waschen und rasieren, dann kriegen Sie auch einen Job”). Nun gut, da Diekmann einen Job hat und Beck wie alle anderen Politiker die BILD bestimmt unheimlich wichtig findet, hätte er sich solch einen Spruch gegenüber Diekmann sicherlich nicht herausgenommen. Er ist (oder hat?) schließlich SPD.
Geschadet hat der Besuch Diekmanns im Silicon Valley dem Unternehmen aber sicherlich auch nicht. Und wenn es nur der Marketing-Effekt ist. Es kann ja aber durchaus auch etwas technisch und inhaltlich dabei herumgekommen sein. Immerhin sind amerikanische, aber auch englische Medien bei der Einführung eines Bezahlmodells im Internet schon deutlich weiter. (Ich wäre dafür, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen einmal dem Beispiel Diekmanns folgen: und zwar ins Silicon Valley der Geld- und Makropolitik; ein mehrmonatiger Besuch beim Chef der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke und das Gleiche noch einmal bei der Japanischen Notenbank.)
Sieht man von der üblichen BILD-Schelte ab, prophezeie ich hiermit, dass der Weg, den Springer ab dem 11. Juni geht, auch die anderen großen Medien beschreiten werden. Nachrichten werden im Internet zukünftig Geld kosten. Dagegen kann niemand etwas haben, der darauf Wert legt, dass Leistung bezahlt wird.
Eine Chance für mehr Medien-Demokratie?
Dass Leistung auch im Internet bezahlt werden sollte, ist das eine. Wie aber könnte dies darüber hinaus progressiv auf die Medien als “vierte Gewalt” wirken? Liegt darin auch eine Chance, die Monotonie in der Meinungsbildung durch die so genannten deutschen Leitmedien und die damit eng verbundene, hörige Verflechtung von Politik und Medien zu durchbrechen? Dafür müssten bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, um die sich die Politik – noch nicht – kümmert. Dabei läge darin auch ein großes Potenzial, die Menschen auch wieder für die Politik zurückzugewinnen. Wie notwendig dies ist, hat nicht zuletzt die Kommunalwahl am vergangenen Sonntag in Schleswig-Holstein gezeigt.
Die erste Voraussetzung wäre, allen das Internet umsonst zur Verfügung zu stellen. Das Internet ist wie eine Landstraße, für die man zum Glück auch (noch) nichts bezahlt. Jeder sollte auf dieser reisen können. Der einzige Unterschied: Im Internet sollte es keine Geschwindigkeitsbegrenzung geben. Das Internet muss zu einem Gemeingut erklärt und daher steuerfinanziert werden. Ob und wie dies umzusetzen ist, darüber müssten die Parteien im Deutschen Bundestag streiten. Sie tun es nicht. Sie thematisieren es nicht einmal als Wahlkampfschlager. Kein Wunder, sie haben ja das vormals staatliche “Fernmeldewesen“ privatisiert. Kaum zu erwarten auch, dass eine Professorin mit einem von der Telekom finanzierten Lehrstuhl, Gesche Joost, und jetzt im “Kompetenz”-Team des SPD-Kanzlerkandidaten für dieses Metier zuständig, für diese Idee eintritt. In einem Interview spricht Gesche Joost schließlich selbst von “meiner Arbeit für die Telekom“.
Die zweite Voraussetzung: Die Politik sollte das Bewusstsein bei den Menschen wecken, nicht nur den so genannten Leitmedien zu folgen, und die Notwendigkeit von mehr Vielfalt in den Medien für die demokratische Meinungsbildung herausstellen. Dass die Politik davon weit entfernt ist, zeigt die viel gepredigte ”Alternativlosigkeit” zur herrschenden Gesetzgebung. Warum wohl klammert die Politik bei ihrer Werbung für mehr Unternehmensgründer alternative Medien regelmäßig aus? Oder haben Sie schon einmal mitbekommen, dass in diesem Zusammenhang die Gründung vieler kleiner kritischer Medien im Internet begrüßt wurde? Auch von Bundeswirtschaftsminister Rösler war bei seinem Besuch im Silicon Valley davon nichts zu hören oder zu lesen. Er hat allein, medienwirksam von allen Leitmedien verbreitet, den Vertreter des größten und mächtigsten Boulevard-Blatts geherzt. Vielleicht müsste man sogar soweit gehen, dass die Gründung neuer Medien im Internet, wie der öffentliche Rundfunk, nur begrenzt, eventuell auf eine bestimmte Förderungsdauer (zum Beispiel fünf Jahre), durch öffentliche Gelder gezielt unterstützt wird, bis sie sich, zum Beispiel durch ein Abonnement, selbst tragen. Geschieht dies nicht, läuft das Internet in Gefahr noch stärker von wenigen Medien oligopolisiert und beherrscht zu werden, als dies schon jetzt der Fall ist.
Die dritte Voraussetzung: Der öffentliche Rundfunk (im Fernsehen, Radio, Internet) muss stärker zur Meinungsvielfalt angehalten werden. Denken Sie nur an die einschlägigen Talk Shows: Immer wieder dieselben Eliten, immer wieder dieselben Personen. Nicht selten werden kritische Geister, die schon eingeladen waren, kurz vor Beginn der Sendung wieder ausgeladen. Oder denken Sie an die Börsenberichterstattung. Hier muss eine wirksame Qualitätskontrolle und Medienbeobachtung verlangt werden. Das ist kein Eingriff in die Pressefreiheit, sondern ein Mittel, dieser wieder zur Geltung zur verhelfen und der bequemen Selbstgerechtigkeit und -herrlichkeit in den öffentlichen Medien etwas entgegenzusetzen.
—
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|