Wenn aktuell über den jüngsten Neuzugang, Florian Pronold, im Schattenkabinett des SPD-Kanzlerkandidaten, Peer Steinbrück, berichtet wird, fällt regelmäßig, in der einen oder anderen Variante, diese Aussage: “2003 war Pronold einer der Initiatoren des SPD-Mitgliederbegehrens gegen die Agenda 2010. Heute gilt Pronold, der 1999 bis 2004 Vorsitzender der bayerischen Jungsozialisten war, als gemäßigter Linker.” (Hier zitiert aus der Zeit). Das ist aber allenfalls nur die halbe Wahrheit. Denn auch Pronold hat – wie alle SPD-Bundestagsabgeordneten – für Hartz IV gestimmt. Pronold nicht allein am 17. Oktober 2003, sondern, wie die meisten SPD-Bundestagsabgeordneten, auch am 19. Dezember 2003 für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat zu dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV), die noch weitere Verschärfungen der Zumutbarkeitsregeln vorsah.
Mit anderen SPD-Bundestagsabgeordneten hat Pronold zu beiden namentlichen Abstimmungen eine “Erklärung nach § 31 GO” (Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) abgegeben. In der Erklärung vom 17. Oktober 2003 hält er die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für “dem Grunde nach unstreitig”. Sie wäre “daher zu begrüßen.”
Hierzu lohnt es sich aus dem Beitrag zu zitieren, den der Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge für Wirtschaft und Gesellschaft verfasst hat:
“Die von Schröder in seiner ´Agenda´-Rede hoffähig gemachte Sprachregelung, es handle sich bei Hartz IV um eine ´Zusammenlegung´ von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, ist verharmlosend, beschönigend und beschwichtigend. Mit der Arbeitslosenhilfe wurde nämlich zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eine für Millionen Menschen existenziell wichtige Sozialleistung abgeschafft. Das als Ersatz eingeführte Arbeitslosengeld II orientiert sich nicht mehr am früheren Nettoverdienst eines Langzeitarbeitslosen, sondern lässt selbst Facharbeiter und Ingenieure, die nicht sofort eine neue Stelle finden, nach einer kurzen Schonfrist auf das Fürsorgeniveau abstürzen.
Armut, in der Bundesrepublik lange Zeit eher ein Rand(gruppen)phänomen, drang durch Hartz IV zur gesellschaftlichen Mitte vor, weil dieses Gesetz mit dem Prinzip der Lebensstandardsicherung brach, das den deutschen Sozialstaat bis dahin ausgezeichnet hatte.”
Butterwegge weist in diesem Zusammenhang auch auf den Bruch des SPD-Wahlversprechens hin, “die Arbeitslosenunterstützung nicht auf die Höhe der Fürsorgeleistung herabzudrücken.”
In der Erklärung zur namentlichen Abstimmung vom 19. Dezember 2003 heißt es wiederum, dass die
“…weitere Öffnung zu Lasten erwerbsfähiger Arbeitssuchender dem Grunde nach für uns nicht zustimmungsfähig (ist)…”
Was Pronold aber nicht davon abhielt, Hartz IV zuzustimmen. Und das ungeachtet dieser ebenfalls in der Erklärung vom 19. Dezember 2003 festgehaltenen, durchaus vorausschauenden Einsichten:
“Sie (die weitere Öffnung zu Lasten erwerbsfähiger Arbeitssuchender, T.H.) schafft die Möglichkeit eines erweiterten Niedriglohnsektors. Es besteht die Gefahr des Lohndumpings und die Gefahr wachsender Armut in unserer Gesellschaft wird erhöht. Angesichts des negativen Verhältnisses zwischen angebotenen Arbeitsplätzen und der Zahl Arbeitsuchender sind auch keine positiven Effekte auf den Arbeitsmarkt zu erwarten.”
Die ebenfalls in der Erklärung festgehaltene Begründung, warum Pronold und andere SPD-Bundestagsabgeordnete dennoch für Hartz IV stimmten, passt wiederum durchaus zum jetzt für den SPD-Bundestagswahlkampf benutzen Wahlslogan: “Das Wir entscheidet.” Allerdings in der an anderer Stelle vorgenommenen Interpretation.
“Da eine Abstimmung über einzelne Bestandteile des Gesetzes nicht möglich ist und die Zielsetzung des Gesetzes insgesamt begrüßt wird und zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit von Fraktion und Regierung notwendig ist, stimme ich trotz der geschilderten gravierenden Bedenken der Vorlage insgesamt zu.”
Nun kann man natürlich die Ansicht vertreten, das sei nun einmal der politische Alltag oder: so funktioniert Politik nun einmal.
Zustimmen dürften die Millionen Menschen, die von jener Gesetzgebung negativ betroffen waren und sind, dieser Ansicht aber wohl kaum.
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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
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