Namhaft in die Irre geführt
Süddeutsche - 01-06-2013

Eurokrise/Alternative für Deutschland (AfD)/namhafte Ökonomen/Süddeutsche Zeitung

Deutschland ist ein reiches Land. Und es lässt sich seine Ökonomen ordentlich etwas kosten. Seine namhaften Ökonomen jedenfalls. Einige von Ihnen, fünf an der Zahl, haben jetzt ein “Plädoyer für den Euro” geschrieben. Meinen sie zumindest. Für die Süddeutsche Zeitung – was gleichzeitig einiges über den Zustand unserer Medien verrät – ist das eine große Sache: “EXKLUSIV“! wird der Beitrag der “fünf namhaften deutschen Ökonomen” angekündigt, die sich tapfer gegen “eine mögliche Auflösung der Euro-Zone wehren”. Dass sich das Stück gegen die neue Protest-Partei “Alternative für Deutschland” richtet, ist, außer dem medialen Effekt – wer würde sich sonst für diese ökonomischen Langweiler interessieren – hier nicht von Interesse. Von Interesse ist allein die Analyse eben dieser Ökonomen, wenn man dem Text von Marcel Fratzscher (Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin), Clemens Fuest (Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim), Hans Peter Grüner (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, vorher nie gehört den Namen), Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln) und Jürgen Rocholl (Präsident der European School of Management and Technology in Berlin, mir ebenfalls bisher unbekannt) denn dieses Prädikat verleihen möchte.

Krasse Fehldiagnosen

Dass ich nicht der Meinung bin, dass dieser Text das Prädikat Analyse verdient, hat verschiedene Ursachen. Eine ist die krasse Fehldiagnose, die diese “namhaften Ökonomen” gleich im ersten Absatz stellen. Dort heißt es doch tatsächlich:

“Die gesamtwirtschaftliche Lage in den Krisenländern ist insbesondere infolge der hohen Arbeitslosigkeit kritisch…”

Das ist einfach unglaublich. Unglaublich deswegen, weil es sich genau umgekehrt verhält: Die Arbeitslosigkeit ist insbesondere infolge der gesamtwirtschaftlichen Lage hoch.

Einige Absätze später plädieren die Autoren dann dafür, “die im Laufe der Krise entstandenen Probleme durch entschlossene Reformen zu lösen.”

Darin liegt zum einen eine zweite Fehldiagnose. Denn das eigentliche Problem der Währungsunion ist nicht “im Laufe der Krise entstanden”, sondern ist dieser vorausgegangen. Das ist nicht nur empirisch so, sondern auch logisch. Sonst hätten wir ja keine Krise. Das eigentliche Problem ist der Bruch des vereinbarten gemeinsamen Inflationsziels, das wir an anderer Stelle immer wieder aufgegriffen und thematisiert haben. “Die im Laufe der Krise entstandenen Probleme” wiederum, sind ja gerade erst “durch entschlossene Reformen” entstanden bzw. durch das, was, nach allem, was wir von diesen namhaften Ökonomen wissen, diese unter “entschlossenen Reformen” verstehen. Wir haben uns an anderer Stelle bereits häufiger mit deren Verständnis von “entschlossenen Reformen” auseinandgesetzt, so dass wir hier festhalten können, dass sich deren “Reformen” nicht von denen unterscheiden, die die EU-Kommission und der IWF, vor allem aber die deutsche Politik vertreten, und die jene den Krisenländern in den vergangenen Jahren verordnet haben.

Sorge um Stillstand “notwendiger wirtschaftspolitischer Reformen”

Lässt man die Verzierungen beiseite, kristallisiert sich in den Vorschlägen der Autoren dann im Kern auch nichts Neues zur Bewältigung der Krise heraus: Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer und deren Verschuldung stehen auch hier im Fokus, freilich ohne deren Wettbewerbsfähigkeit mit der Deutschlands in Verbindung zu bringen und eine entsprechende Ursachenanalyse zu betreiben. Das aber ist ja aufgrund der einleitenden Fehldiagnose aus Sicht der Autoren nur konsequent. Die Autoren sprechen rückblickend – und das unterstreicht die oben getroffene Einschätzung – von “drei Jahren intensiven Krisenmanagement”, an deren verheerenden Folgen die namhaften Ökonomen aber offensichtlich nichts zu kritisieren finden, im Gegenteil: “Die Anpassungsleistungen in der Eurozone sind eindrucksvoll, doch die notwendigen Reformen sind längst nicht erledigt”, schreiben sie.

Wenn es um Argumente gegen einen möglichen Austritt der Krisenländer aus dem Euro geht, sorgen sich die Autoren dann auch zuerst um die Gläubiger, die im Euro bleiben, und mit einem Default, einem Zahlungsausfall, rechnen müssen, und dann erst um die sozialen Folgen bei denen, die aus ihm austreten sollen: “Zum einen wird es durch die Abwertung zum Default auf in Euro lautenden Anleihen des Staates und privater Akteure kommen. Der erschwerte Zugang zum internationalen Kapitalmarkt kann zu einem wirtschaftlichen Kollaps der Krisenländer führen, wie die Erfahrung vergangener Schuldenrestrukturierungen allzu deutlich macht. Dieses würde eine weitere Verschärfung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Länder auf viele Jahre bedeuten.“ Das mag ja alles zutreffen. Warum aber dann weiter so wie bisher: “Zudem könnten mit dem Austritt die notwendigen wirtschaftspolitischen Reformen zum Stillstand kommen.” Haben doch gerade diese aus Sicht der Autoren, der deutschen Politik und der EU-Kommission “notwendigen Reformen” eben die schon jetzt bestehenden “wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Länder” hervorgerufen.

Die Autoren aber sehen das ganz anders, wenn sie schreiben:

“Von zentraler Bedeutung ist es, in den Krisenstaaten Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln, um neues Wachstum zu ermöglichen. Da Löhne und andere Preise nicht von Regierungen, sondern von Tarifpartnern und an Märkten mit mehr oder weniger Flexibilität festgelegt werden, lässt sich eine Anpassung nicht verordnen und braucht Zeit. Sie ist aber möglich, wie das Beispiel Irland und durchaus vorhandene Fortschritte in anderen Peripheriestaaten zeigen. So sank der reale effektive Wechselkurs auf Basis der Lohnstückkosten – ein relevantes Maß für die Wettbewerbsfähigkeit für Griechenland seit 2009 bereits um 20 Prozent… Die Staatsfinanzen können aber dauerhaft nur gesunden, wenn der Kurs der fiskalischen Konsolidierung nicht aufgeweicht wird und Regierungen dauerhaft vor harten Budgetrestriktionen (wie mit verfassungsrechtlichen Schuldenbremsen) stehen.“

Das “Erfolgsmodell” Irland ist jedoch zum einen keines, zum anderen kann es nicht als Beispiel für die Länder gelten, die einen viel, sehr viel geringeren Anteil des Außenhandels am Bruttoinlandsprodukt ausweisen. Darüber hinaus stellt sich immer wieder die Frage, wer denn die “wettbewerbsfähigen Produkte” kaufen soll, wenn doch alle dem deutschen Beispiel folgen und Exportüberschüsse erwirtschaften sollen. Das alles ist längst bekannt. Natürlich erwähnen die Autoren auch nicht, welches denn die “durchaus vorhandenen Fortschritte in anderen Peripheriestaaten” sein sollen. Für die in den Krisenländern lebenden Menschen jedenfalls gibt es keine Fortschritte.

Die Autoren reden mit ihrer Wettbewerbsideologie einer verheerenden Deflationspolitik das Wort, zu der neben Lohndisziplin auch die Disziplinierung des Staates gehört. In diesen Dienst stellen die Autoren auch die Finanzmärkte: “Ferner braucht die Eurozone ein glaubwürdiges Verfahren für staatliche Insolvenzen. Dies ist auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass Finanzmärkte in Zukunft wieder eine disziplinierende Rolle auf die Staatsfinanzen ausüben können.”

Es ist dieser Dogmatismus, der allen, denen an einem geeinten und friedlichen, mit Wohlstand gesegneten Europa gelegen ist, Angst machen muss. Was verstehen die Autoren wohl darunter, wenn sie schreiben: “Dies erfordert weiterhin entschlossenes, diszipliniertes und koordiniertes politisches Handeln”? Vielleicht ja Polizeieinsätze wie jetzt in Frankfurt gegen die Blockupy-Demonstranten, über die die FAZ anschaulich berichtet.

Wasser auf die Mühlen der Euro-Gegner

Vor diesem Hintergrund ist es auch erschütternd, wenn selbst ein Sven Giegold (ebenfalls namhaft) zu eben diesem Pamphlet twittert:

“Endlich beziehen Top-Ökonomen klar Stellung gegen die AfD…”

Reingefallen, kann man da nur  attestieren. Hauptsache “Top-Ökonomen”! Oder hat er den Text gar nicht gelesen? Man muss es fast hoffen, und dass er dies noch nachholt. Vom wirtchaftspolitischen Ansatz oder besser Dogma her unterscheiden sich diese fünf Ökonomen jedenfalls – bis auf den Streitpunkt Euro-Austritt – gar nicht von den Positionen der AfD.

Immerhin erkennen die Autoren an einer Stelle etwas, das der deutschen Politik immer noch nicht bewusst ist, was nicht zuletzt die jüngsten Äußerungen gegenüber Frankreich noch einmal gezeigt haben: dass Deutschland keine Insel der Seligen ist. “Auch Deutschland würde sich einer solchen Krise nicht entziehen können und einen hohen Preis durch niedrigeres Wachstum sowie hohe direkte und indirekte finanzielle Kosten zahlen. Die Peripheriestaaten sind in erheblichem Umfang im Ausland verschuldet.” Auch hier scheint aber die Rettung des eigenen Hab und Gut im Vordergrund zu stehen. Die Erkenntnis hilft darüber hinaus auch nicht, angesichts der Destruktivität, die die “Reform”-Vorschläge der namhaften Ökonomen wie einen sozialen Sprengstoff mit sich tragen. Die Moral von der Geschicht ist schließlich, dass genau dies radikalen Parteien hier und anderswo weiteren Zulauf bescheren wird.

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.


Dieser Text ist mir etwas wert


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