Alltag im Regierungsviertel: “Normale H-Milch”

Heute früh beim Bäcker. Weil der Supermarkt noch nicht geöffnet hatte, fragte ich über den Tresen: “Haben Sie auch Vollmilch?” “Nein, nur normale H-Milch.” Kann man besser, ehrlicher und geradezu unschuldiger verdeutlichen, dass die Welt, ja, die Zivilisation, auch im Kleinen auf dem Kopf steht?

Im Jahr 2010 bin ich zu Fuß durch elf Bundesländer gewandert. Selbst in kleinen Dörfern, mitten auf dem Land mit Bauernhöfen ringsherum, gab es beim Bäcker nur H-Milch. Als Milch-Fetischist und Anhänger des Natürlichen, Unverfälschten, sah ich mich gezwungen, wo immer es ging, direkt auf den Höfen um Milch zu bitten. Aber soviele lagen nun auch wieder nicht auf dem Weg.

Das geläufigste Argument der H-Milch-Trinker und -Ausschänker (denn fast alle Cafés bieten ihren Kaffee nur mit H-Milch an): die längere Haltbarkeit. Negativ gewendet: die größere Bequemlichkeit. Ist man so doch seltener gezwungen, einkaufen zu gehen. Und geht der Trend zur H-Milch nicht Hand in Hand mit der immer stärkeren Ökonomisierung unseres Privat- bzw. Berufslebens? Als Kind ging ich noch mit leerer Milchkanne in den Supermarkt und konnte dort frische Vollmilch aus einem großen Behälter zapfen. Die Kinder heute denken, die H-Milch komme aus der Kuh! “Ein Drittel glaubt, dass es Kühe gibt, die nur H-Milch geben, die Hälfte war in dieser Hinsicht unsicher.” Insofern ist die Reaktion des Bäckers so überraschend nicht.

Aber nicht nur, dass H-Milch eklig schmeckt. Mein natürliches Bauchgefühl sagte mir schon immer: die ist nicht gesund. Neuerdings wird H-Milch auch als Verursacher von Allergien diskutiert und analysiert.

Ich begnügte mich jedenfalls mit einem Brot und genoss meinen Kaffee heute ohne Milch. Nachher nehme ich mir die Zeit, Vollmilch einzukaufen. Damit das Geld auch reicht, bitte unbedingt Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren!


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