Die Empörung ist groß über ein Interview, das Djane Marusha der Welt gegeben hat. Nicht allein ausgewiesene Linke, auch Sascha Lobo regt sich mächtig auf. Ich gebe zu, Weltfremder ich, dass ich zuvor nie von Marusha gehört habe. Und ich habe auch noch keinen Text von Sascha Lobo, außer den unten aufgegriffenen, zu Ende gelesen, auch wenn er mir regelmäßig aus der in meinen Augen insgesamt ziemlich mäßigen Kolumnenrubrik von Spiegel online entgegenstrahlt. Von der Empörung aber habe ich zum Glück erst heute früh erfahren. So konnte ich das Interview der Welt mit Marusha unbefangen davon lesen. Und meine Reaktion darauf war eine ganz andere.
Das eigentlich Interessante – und das lässt ja beispielsweise auch Sascha Lobo durchaus durchblicken – an den Aussagen Marushas ist zum einen das augenfällig Falsche an ihren Aussagen (siehe dazu beispielhaft weiter unten) und zum anderen, dass Marusha damit aller Wahrscheinlichkeit nach nur das ausspricht, was der normale, ich nenne es mal nicht-politisierte Bürger hierzulande denkt bzw. nicht denkt, sondern wiedergibt. Kann ich mich darüber so empören wie Sascha Lobo und andere es tun? Nein. Natürlich nicht. Empören muss ich mich über die politischen Eliten, die dies den Menschen jahrelang, ohne großen Widerspruch der “Wissenschaft” und der Medien, eingetrichtert haben. Ist eine Marusha deswegen “nationalistisch”, “wirr”, “irrsinnig”, “unfassbar selbstgerecht” (Sascha Lobo)? Nein, nichts von dem.
Sascha Lobo wirft ihr fehlende “historische Vobildung” vor und ergänzt: “Diese Haltung fragt gar nicht mehr nach Ursachen der Krise oder Wegen aus der Krise.” Letzteres ist ja richtig. Nur die Adresse, an die sich der Vorwurf richtet, ist leider die falsche. Und das so krass zu verkennen, heißt die eigentliche Gefahr und deren Herd auszublenden. Dazu passt sein völlig unhistorischer Vergleich mit Wilhelm dem Zweiten: “Marusha verkörpert diese deutschtumbe Selbstgerechtigkeit auf Speed, gegen die Kaiser Wilhelm Zwo wie ein staatenloser Nationalzweifler wirkt.” Das ist vielleicht witzig gemeint oder zur Veranschaulichung gedacht – und doch bei aller Überheblichkeit (Selbstgerechtigkeit?) Lobos leider nicht zu Ende gedacht. Es stellt vielmehr die Verhältnisse auf den Kopf.
Richtig ist, dass die deutsche Politik sich seit vielleicht zwanzig Jahren wieder eine Untertänigkeit und politische Unwissenheit bzw. politisches Desinteresse der Menschen herangezüchtet hat (spätestens mit der Agenda 2010), die in der Tat beängstigend sind. Nur sollte man unter den gegebenen Umständen nicht den Fehler begehen, dafür die Empfänger verantwortlich zu machen. Kurzum: Marushas Aussagen schreien nach politischer Aufklärung. Das stimmt ja. Dass es vielleicht sogar bei der Mehrheit in der Bevölkerung soweit gekommen ist, ist jedoch denen anzukreiden, die diese Aufklärung nicht nur versäumt haben und weiterhin versäumen, sondern die Menschen bewusst oder unbewusst verdummen. Politik, “Wissenschaft” und Medien.
Ein Satz Marushas zeigt dies besonders deutlich. Er bestimmt zugleich, vielleicht fundamentaler als jeder andere Gedanke, das politische Handeln in Deutschland: “Sparen ist ratsamer als Schulden machen.” Kann ich ihr aber zum Vorwurf machen, nicht zu wissen, dass es ohne Schuldner keinen Gläubiger bzw. Sparer geben kann, wenn dieses Verständnis selbst den so genannten Wirtschaftsweisen und den verantwortlichen Spitzenpolitikern abgeht? Natürlich nicht. Das einzige, was man machen kann, ist, eben dies immer wieder auszusprechen und zu hinterfragen. Diejenigen, die das Interview geführt haben, haben dies aus Interesse oder Unwissenheit versäumt. Die Dinge nicht zu hinterfragen ist aber das Haupterkennungsmerkmal deutscher Wirtschaftsredaktionen und, weniger ausgeprägt, nicht nur der Wirtschaftsredaktionen.
Man könnte, da stimme ich Lobo ja zu, jetzt einen Satz Marushas nach dem anderen auf diese Art und Weise aufgreifen. Angreifen sollte man sie in meinen Augen deswegen gerade nicht. Angreifen muss man die, die diesen Unfug verbreiten und salonfähig machen. Hätten wir Politiker, Journalisten und Wirtschaftswissenschaftler, die in ihrer Mehrheit aufklärerisch wirken würden, ja, dann wären wohl ein paar verbale Ohrfeigen für Marusha nicht fehl am Platz. So aber dachte ich sofort beim Lesen des Interviews: Das ist es. Marusha zeigt, wie wirksam die Meinungsmache von Politik, Medien und “Wissenschaft” in Deutschland tatsächlich ist. Unter diesen Bedingungen braucht man gar nicht die Macht eines Kaisers. Es funktioniert auch perfekt in einer Demokratie. Wie lange letztere unter diesen Bedingungen Bestand hat, ist freilich die große Frage.
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