Alltag im Regierungsviertel/20. Juli/Gedenken: Deutsche Soldaten müssen wirklich ganze Arbeit im Ausland geleistet haben

Sonnabend nachmittag. Das Regierungsviertel weiträumig abgeschirmt. Feldjäger und Polizei wohin man schaut. So etwas hat man zuletzt beim Besuch Obamas in Berlin erlebt. Und das liegt ja erst wenige Wochen zurück. Es scheint irgendwie Alltag im Regierungsviertel zu werden. Weiträumige Absperrungen, Feldjäger und Polizei. Und, wer soll denn diesmal von den Bürgerinnen und Bürgern abgeschirmt, vor allem aber wohl vor Terroristen geschützt werden? Es ist die Bundeswehr!

Vor der Kronprinzenbrücke. Feldjäger und Polizei versperren mir den Weg. Zur Vergrößerung auf Bild klicken.

Dabei wollte ich mir doch nur eine Stunde Ruhe gönnen und meine vierbeinige Kollegin Hilka sich austoben lassen, auf der Wiese vor der Schweizer Botschaft, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kanzleramt und in mittelbarer Nachbarschaft zum Reichstag liegt. Ich komme jedoch nur bis zur Kronprinzenbrücke, die ich von Feldjägern und Polizei versperrt vorfinde. Verärgert wende ich mich nach rechts, “eklig, wirklich eklig”, vor mich hinmurmelnd, so laut, dass es die Störenfriede und Freiheitsberauber auch hören können. Schon bereite ich mich darauf vor, festgenommen zu werden. Schießen werden sie ja wohl nicht gleich, hoffe ich alter Feigling. Aber sie lassen mich ziehen.

Schon bald erkenne ich aus der Ferne, dass auch die Gustav-Heinemann-Brücke abgesperrt ist. Auf der Brücke dorthin, am Straßenrand: Eine grüne Minna, die ja heute blau ist. Blau blinkt nach wie vor auch das Blaulicht. Ich wiederhole meinen jüngsten Scherz und sage einem martialisch aussehenden, etwas stumpfsinnig dreinblickenden Polizisten, dass sein Licht kaputt ist. Er zögert. Ich zeige auf das Blaulicht. “Es blinkt so.” Er findet das gar nicht witzig, wirkt irgendwie aggressiv der Freund und Helfer. Ich gehe weiter und komme vor der nächsten grünen blauen Minna zum Stehen. Kein Durchkommen auch vor der Gustav-Heinemann-Brücke. Erst 2009 wurde ja bekannt, dass unser dritter Bundespräsident und Mitbegründer der CDU dem Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) angehörte; beides waren Verbände der NSDAP. Unter dem einen waren die nationalsozialistischen Juristen zusammengefasst, der andere betrieb in eigenen Kindergärten nationalsozialistische Erziehung. Ein echtes Karrieresprungbrett offensichtlich, nicht nur im Dritten Reich.

Und ich finde das passt irgendwie zu dem Schauspiel, dem ich hier im Jahre 2013 beizuwohnen gezwungen bin. Wird dieses doch zu Ehren der späten, sehr sehr späten Widerstandskämpfer des 20. Juli veranstaltet. Wie fasst es der Deutschlandfunk in seinen 18 Uhr Nachrichten so schön zusammen: “Bundespräsident Gauck hat die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 gewürdigt. Als Soldaten hätten sie nicht nur Befehl und Gehorsam gekannt, sondern letztlich ihrem Gewissen den Vorrang gegeben, sagte Gauck bei einem Gelöbnis von rund 500 Bundeswehr-Rekruten vor dem Berliner Reichstagsgebäude. Die Offiziere um Graf von Stauffenberg hätten aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen und Verantwortung übernommen. Ihr Versuch, Hitlers Regime zu beenden, sei zwar erfolglos, nicht aber sinnlos gewesen, betonte das deutsche Staatsoberhaupt.”

Auch vor der Gustav Heinemann gab es kein Durchkommen. Zur Vergrößerung auf Bild klicken.

1944. Die haben sich aber wirklich Zeit gelassen. Elf Jahre nach der Machtergreifung Hitlers. Und nachdem sie bis zur unausweichlichen Niederlage in oberster Funktion das tausendjährige Reich versucht hatten durchzusetzen. “Welche Veränderung in welcher Zeit”, schwärmte der spätere Hitler-Attentäter Stauffenberg von Hitlers Siegen über Polen und Frankreich 1939/1940.[4] Und, nicht minder begeistert: “Der Vater dieses Mannes war kein Kleinbürger. Der Vater dieses Mannes ist der Krieg.[5] Hatten wahrscheinlich bis dahin auch von nichts gewusst, die Guten. Wirklich dolle Leistung. Wirklich tapfer. Was denen wohl beim Nürnberger Prozess geblüht hätte, wären sie noch länger dabei geblieben? Wo ist eigentlich der Gauck, frage ich mich eben, als ich vor der Gustav-Heinemann-Brücke zum Stehen komme. Ich denke, der ist für Freiheit, kommt es mir in den Sinn. Das hier kann der doch unmöglich gut heißen. Da hatte ich ja noch nicht die 18 Uhr Nachrichten gehört.

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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

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Alles tot am anderen Ufer. Sonnenstühle liegen da wie Leichen gestapelt. Zur Vergrößerung auf Bild klicken.

Ich schaue hinüber zum anderen Ufer der Spree und muss kurz an die DDR-Flüchtlinge denken, die hier vielleicht verzweifelt und tollkühn versucht hatten durch die Spree schwimmend in den Westen zu flüchten. Was die wohl heute denken, beginne ich zu sinnieren, so sie denn das andere irre Regime lebend hinter sich gelassen haben. Toter als das Ufer jetzt dort drüben da liegt, wird es zu DDR Zeiten hier auch nicht ausgesehen haben. Die Proll-Bar “Capital Beach” - ich hätte sie wenigstens Capital Bitch genannt, wenn schon denn schon - döst einsam und verlassen in der Sonne; alle Sonnenstühle, die sonst aufgestellt und mit Leben gefüllt das Ufer bevölkern, liegen aufgestapelt, tot, Leichen gleich; dabei hätte man sie heute so gut gebrauchen können – die Sonnenstühle; nichts bewegt sich dort driben. Kein Wunder wenn man auch nicht rüber machen kann. Tot wie ein gefallener Soldat in Afghanistan. Tot wie durch den Einsatzbefehl eines deutschen Oberst in Afghanistan in die Luft gesprengte Kinder und Zivilisten liegt alles da. Ist glaube ich mittlerweile zum General aufgestiegen dieser Oberst. Na ja, noch geht Deutschland ja auch nicht ganz unter. Kein Grund also Widerstand zu leisten. Nicht für einen General oder Oberst jedenfalls. Und deutsche Soldaten müssen im Ausland ja wirklich ganze Arbeit geleistet haben, denke ich, wenn sie das hier alles zu ihrem Schutz brauchen. Dabei sollten sie doch uns am Hindukusch verteidigen, so der frühere Verteidungsminister Peter Struck (SPD) damals. Gott hab´ ihn und die vielen getöteten afghanischen Zivilisten und deutschen Soldaten selig. Jetzt müssen sie verteidigt werden, im eigenen Land. Eindrucksvoller kann man das Scheitern in Afghanistan und das Scheitern, politische Ziele mit militärischen Mitteln durchsetzen zu wollen, doch gar nicht veranschaulichen.

Zur Vergrößerung auf Bild klicken.Ich entschließe mich, es für heute dabei bewenden zu lassen und mache kehrt. Noch einmal an dem martialisch aussehenden Polizisten auf der Brücke in Richtung Innenstadt vorbei. Von der Brücke aus sehe ich Polizeiboote die Spree hinauf und hinunter patroullieren. Erst einmal zurück in die Wohnung und das Ganze verarbeiten. Das wäre jetzt also auch geschafft. Gleich mal schauen, ob man sich jetzt wieder frei bewegen kann.

 

 


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