In der “Ars poetica” des römischen Dichters Horaz heißt es “Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen.” Deutlicher können die sich überschlagenden Gipfelstürme der letzten Monate zur Jugendarbeitslosigkeit kaum beschrieben werden. Sie beschränken sich auf wolkige Erklärungen über die “verlorene junge Generation” und damit die Gefährdung des Projektes EU, vage Appelle an die Mitgliedsstaaten und eine Fülle von Aufträgen für die europäischen Arbeitsverwaltungen. Undurchschaubar sind vor allem die Versprechungen über die finanziellen Mittel, deren Ausmaß, Herkunft, Beantragung und Verwendung.
Krisengewinner und -verlierer
Hingegen trafen die Spitzen der Regierungen in den Euroländern verbindliche finanzielle und institutionelle Vereinbarungen zu den eskalierenden Finanzkrisen. Ergebnis ist 1,6 Bill. Euro für die Banken, die Wohlhabenden, Top Manager der Finanzbrache und nicht zuletzt die Steueroasen innerhalb und außerhalb der EU. Die bitteren Folgen für die Menschen in den Krisenländern – drastische Kürzungs- bis Verelendungsprogramme und für die EU insgesamt weiterer Sozialabbau – spielten dabei kaum eine Rolle. Dass auch demokratische Strukturen der Einbeziehung der Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene verletzt wurden, musste erst vom Bundesverfassungsgericht zu Recht gerückt werden. Die gerichtliche Klärung, ob mit der unübersehbaren finanziellen Haftung der Steuerbürger für die Banken und Krisenländer der Vertrag von Lissabon ausgehebelt wird, steht noch aus. Dafür wurde der Öffentlichkeit mit hochtrabenden Versprechungen über die angeblichen Verbesserungen der Finanz- und Wirtschaftslage in den Krisenländern Sand in die Augen gestreut. Wechsel und Instabilität der Regierungen in den Krisenländern sowie Massenproteste der Bevölkerung wurden von den Mächtigen in Mitgliedsregierungen und EU-Kommission buchstäblich ausgesessen. Je näher in der Bundesrepublik die Bundestagswahlen und im nächsten Jahr die Europawahlen rücken, desto mehr entdecken jetzt die Staatschefs ihr Herz für die Jugend Europas.
Erst Brände legen, dann Feuerwehr spielen
Seit Ende letzten Jahres gab es gleich mehrere medienwirksame Pressekonferenzen der EU-Kommission zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Vor wenigen Wochen fand der mit amtierenden und Ex-Staatschefs sowie den Finanz- und Arbeitsministern besetzte deutsch-französische “New Deal” in Paris statt. Gerufen hatte die Denkfabrik des internationalen Finanzinvestors Berggruen, der sich erst kürzlich den strauchelnden Karstadt Konzern einverleibt hat. Innerhalb einer Woche war die Jugendarbeitslosigkeit jetzt im Zentrum von gleich zwei Gipfelkonferenzen. Zur zweiten dieser medialen Großereignisse hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich die Spitzen der EU-Regierungen und der Arbeitsverwaltungen nach Berlin geladen.
Allerdings verdichtet sich der Eindruck, dass bildlich gesprochen “der Schwanz mit dem Hund” wedelt oder noch drastischer “die Brandstifter” als “Feuerlöscher” auftreten. Das Ergebnis der drastischen Kürzungsprogramme der “Troika” aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds ( IWF) ist eine Wirtschafts-Rezession, die von den Krisenstaaten auch auf andere Euroländer übergreift. Entsprechend gestiegen ist die Arbeitslosigkeit in Euroland auf über 12 Prozent, etwa doppelt so hoch für junge Menschen mit weit über 50 Prozent in Griechenland und Spanien sowie annähernd 40 Prozent in Portugal.
EU Fiskalpakt: Jugendarbeitslosigkeit nur Randthema
Bei den langwierigen Verhandlungen über den EU Fiskalpakt ist die Bekämpfung der hohen und steigenden Arbeitslosigkeit lediglich ein Randthema geblieben. Im Mittelpunkt steht die zumindest formal rigorose Schuldenbremse zur Disziplinierung der nationalen Haushaltspolitik. Mit Verweis auf die Rute der milliardenschweren Rettungsfonds für Banken und Krisenregierungen ist es den Mächtigen unter den Gipfelstürmern gelungen, 25 von 27 der EU Mitglieder zum Einlenken zu bewegen. Nicht dabei sind Großbritannien, das um die Privilegien seiner entgrenzten Finanzbranche fürchtet und Tschechien, dessen bisheriger Regierungs- und Staatschef, Vaclav Klaus, schärfere EU Regulierung wie der Teufel das Weihwasser scheut. Im deutschen Bundestag und Bundesrat wurde der EU Fiskalpakt als “alternativlos” mit dem üblichen politischen und finanziellen Geschacher durchgeboxt.
Die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Verweise im EU Fiskalpakt beschränken sich auf den bereits früher zwischen Frankreich und Deutschland vereinbarten Euro Plus Pakt. Verordnet wird den Krisenstaaten die Medizin der Agenda 2010 mit der Flexibilisierung sowie dem Abbau des Arbeits- und Sozialrechts. Dabei propagiert die EU-Kommission erneut nicht nur den weiteren Abbau jeglichen Kündigungsschutzes sowie Eingriffe in die Lohn- und Tarifpolitik der Gewerkschaften, sondern auch die Heraufsetzung des Rentenalters gleich auf 69 Jahre flexibel steigend mit der Lebenserwartung. Es bleibt mithin der bittere Beigeschmack: Mit der Not der jungen Arbeitslosen werden die Konflikte zwischen den Generationen geschürt. Insgesamt gibt es europaweit inzwischen mehr als 20 Millionen Arbeitslose über 25 Jahre. Damit kann der weitere Abbau sozialstaatlicher Einrichtungen leichter vorangetrieben werden.
Verbesserung der betrieblichen Berufsbildung braucht Wachstum und Tarifparteien
Herzstück der höchstrangigen Vereinbarungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist die Einführung der bereits mehrfach verkündeten europaweiten Qualifizierungs- und Beschäftigungsgarantie für alle Jugendlichen spätestens vier Monate nach Beendigung der Ausbildung. Allerdings beschränkt sich diese Strategie nach österreichischem Muster auf Empfehlungen, ein Mechanismus zur Um- und Durchsetzung fehlt. Dafür wird auch in der 17 seitigen Erklärung des jüngsten Gipfels in Berlin immer wieder hervorgehoben, dass die Nationalstaaten für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verantwortlich seien.
Eine weitere wiederholte Priorität sind Einführung und Ausbau der betrieblichen Berufsbildung nach deutschem Muster. Allerdings ist auch in der Bundesrepublik nicht alles Gold, was glänzt. Bei nur einem Fünftel der Betriebe, die überhaupt ausbilden, sind hunderttausende junger Menschen in öffentlich finanzierten Bildungs-Warteschleifen und suchen nach Ausbildung und Arbeit. Zudem sind 1 Million junger Menschen bis 35 Jahren arbeitslos, davon die Hälfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Bei einem jährlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums von 5 bis 6 Prozent – wie z.B. in Griechenland – gleicht die Schaffung einer ausreichenden betrieblichen Berufsbildung der “Quadratur des Kreises”. Darüber hinaus ist dies nur zu schaffen, wenn die öffentlichen Hände mit den Tarifparteien an einem Strang und in die gleiche Richtung ziehen. Zudem muss die erforderliche Infrastruktur an Verbänden und Facheinrichtungen für die Gestaltung und Anpassung der Inhalte einer qualifizierten Berufsausbildung vorhanden sein. Die dafür von der EU vorgesehenen 6 bis 8 Mrd. Euro für die Förderperiode bis 2020 und alle Krisenländer – auch wenn ihre Vergabe auf 2014 und 2015 vorgezogen werden soll – sind lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Zudem kann in zwei Jahren eine umfassende betriebliche Berufsbildung nicht aus dem Boden gestampft werden.
Ähnliches gilt für die vorgesehenen 70 Mrd. Euro der Europäischen Investitionsbank (EIB), jeweils für dieses und die nächsten beiden Jahre zur Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben. Undurchsichtig bleibt die angekündigte Verknüpfung mit der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für junge Menschen. Zudem besteht das gravierende Problem der Aufbringung der notwendigen eigenen finanziellen Mittel für die Finanzierung der Kredite der EIB. Nach den Kürzungsauflagen der “Troika” für die Rettungs-Milliarden sind derartige Ausgaben überhaupt nicht zulässig.
“Brain Gain” statt “Brain Drain”
Übrig bleiben dürfte mithin vor allem die Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität. Hierzu gibt es eine Fülle bilateraler Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und den Krisenländern. Nach anfänglich zögerlichen Wanderungen der qualifizierten jungen Menschen in die Bundesrepublik hat sich dies bei aktiven Anwerbemaßnahmen im letzten Jahr zunehmend verstärkt. Ein derartiger “brain gain” in der Bundesrepublik und entsprechender “brain drain” in den Krisenländern kann jedoch keine dauerhafte Lösung sein.
In der Bundesrepublik werden zwar kurzfristig die Lücken bei der Gewinnung von Auszubildenden und Arbeitskräften geschlossen. Allerdings wird damit gleichzeitig der Druck verringert, durch Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit zu verringern. Besonders drastisch wirkt sich dies für die Tätigkeiten im Gesundheits- und Pflegebereich aus.
Wenn hierbei immer wieder Arbeits- und Fachkräftemangel reklamiert wird, liegt dies entscheidend an den schlechten Bedingungen bei der Ausbildung sowie der Arbeit selbst. Junge Menschen müssen für ihre Ausbildung oft mehrere hundert Euro im Monat aufwenden. Gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Einkommensniveau ist dies nicht zu leisten.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Interesse in der Bundesrepublik an einer derartigen Ausbildung niedrig ist. Dies gilt umso mehr, als insbesondere für Pflegetätigkeiten die Entlohnung bei den hohen physischen und psychischen Anforderungen unverhältnismäßig niedrig ist. Auch in diesen immer wieder als Mangelberufe beklagten Tätigkeiten nimmt die prekäre Beschäftigung bis zu den 450 Euro Jobs zu. Armut bei Arbeit und im Alter ist vorprogrammiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch bei der Anwerbung der “überqualifizierten” Menschen aus den Krisenländern hohe Fluktuation und Rückwanderung erfolgt.
Für die Krisenländer besteht in dem “brain drain” eine große Gefahr für die eigene wirtschaftliche Entwicklung. Dies zeigt das Beispiel der Neuen Bundesländer mit der Abwanderung qualifizierter jüngerer Menschen besonders drastisch. Einer “brain circulation”, mithin dem gezielten Einsatz dieser jungen Menschen in der Bundesrepublik zum Erwerb von Qualifikationen und Erfahrungen für ihre Heimatländer, sind bei den teilweise miesen Arbeitsbedingungen und in einem Europa der Freizügigkeit enge Grenzen gesetzt. Notwendig ist vielmehr die gezielte Entwicklung qualifizierter Ausbildung und Arbeit in den Krisenländern selbst. Dazu bedarf es allerdings über allgemeinen Apelle hinaus konkreter Vorstellungen und Verpflichtungen in Politik und Wirtschaft.
Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de). Seit Februar gibt sie Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse und Meinung mit heraus.
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