Eurokrise/Interview Steinbrück/Snowden/
Gestern früh hat der SPD-Kanzlerkandidat, Peer Steinbrück, dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Ausgangspunkt des Gesprächs war die Jugendarbeitslosigkeit in Europa und der Gipfel der Bundeskanzlerin, der gestern hierzu stattfand.
Steinbrück stellte darin gleich mehrfach unter Beweis, warum Europa unter ihm als Kanzler nicht besser da stünde als unter der jetzigen Bundeskanzlerin. Das ist schlimm. Denn die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister, Wolfgang Schäuble, sind mit ihrer Ideologie, durch eine Art Agenda 2010 – öffentliche Ausgabenkürzungen, “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes – Europa aus der Krise führen zu wollen, maßgeblich am Niedergang der davon betroffenen Volkswirtschaften beteiligt.
Auch Steinbrück begnügt sich mit Fokus auf Jugendarbeitslosigkeit und will sich Pelz nicht nass machen
Das wesentliche Kennzeichen für diesen Niedergang ist die unerhörte Massenarbeitslosigkeit. Wir haben an anderer Stelle verschiedentlich aufgezeigt, warum angesichts der hohen Arbeitslosigkeit insgesamt der einseitige Fokus auf die Jugendlichen von vornherein eine Verharmlosung darstellt und der Dimension dieses Problems insgesamt nicht gerecht wird. Das Interview mit Steinbrück zeigt, dass auch er nicht über das Problem der Jugendarbeitslosigkeit hinausgeht und ebenfalls nicht auf die insgesamt unerträglich hohe Arbeitslosigkeit abstellt.
Wie aber will Steinbrück nun den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit finanzieren? Halten Sie sich fest: mit einer Finanztransaktionssteuer. Dabei sagt er selbst im selben Interview: “Wir kriegen zunehmend Signale aus Brüssel, dass die Umsetzung und Verwirklichung einer solchen Finanztransaktionssteuer sich weiter hinzögert.” Dieses Problem aber würde sich, wenn es nach Steinbrück geht und er erst einmal an der Macht ist, wohl in Luft auflösen. Man hört schon wieder die Kavallerie trompeten. Sollen die Jugendlichen wie die Arbeitslosen insgesamt etwa warten, bis Steinbrück die Finanztransaktionssteuer durchgesetzt hat? Das allein zeigt, dass mit ihm als Kanzler Europa in seiner derzeit wichtigsten und drängensten Frage nicht besser da stünde. Der Hintergrund für Steinbrücks Lavieren mit der Finanztransaktionsststeuer dürfte klar sein. Er scheut, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen, auch ohne Gegenfinanzierung, um das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu überwinden. Das wundert nicht. Sind er und seine Partei doch die größten Befürworter, ja Initiatoren der Schuldenbremse und noch bei jeder Abstimmung für Fiskalpakt und für die “Rettungsmaßnahmen” für bzw. gegen die davon betroffenen Staaten dabei gewesen.
Steinbrücks wirtschaftspolitisches Crédo für Europa gleicht im Wortlaut dem der Bundesregierung, wenn er feststellt:
“Die SPD hat immer Wert darauf gelegt, dass sich eine notwendige Konsolidierung der Haushalte kombiniert mit wirtschaftlichen Impulsen, mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in diesen Ländern, und genau diese Komponente fehlt.”
Allein, dass er von “der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in diesen Ländern” spricht, nicht aber die Problematik der deutschen Wettbewerbsfähigkeit benennt und problematisiert, die “diese Länder” aufgrund jahrelangen Lohndumpings in Deutschland erdrückt. Auch das wundert nicht. Käme Steinbrück dann doch nicht länger darum herum, die Arbeitsmarktgesetzgebung, die seine Partei in Deutschland erfunden und mit Unterstützung des grünen Koalitionspartners und der CDU/CSU und FDP durchgesetzt hat, die Agenda 2010, zu kritisieren. Auf die aber ist er nach wie vor stolz und auch das SPD-Wahlprogramm feiert diese noch einmal unmissverständlich. Dieses Problem ist daher auch nicht das alleinige Problem Steinbrücks. Es ist das zentrale Problem der SPD als Partei. Steinbrück im weiteren Verlauf des Interviews noch einmal in Punkto Wettbewerbsfähigkeit: “Aber ich zweifele nicht daran, dass Spanien, dass Irland, dass Portugal, dass Italien durchaus mit zusätzlichen Mitteln ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern können.” Kein Wort von auseinanderlaufenden Lohnstückkosten und Inflationsraten. Steinbrück schwimmt im selben Wasser, in dem auch die Bundeskanzlerin schwimmt – und das Ländern wie Spanien, Griechenland, Irland und Portugal nicht erst im Jahre fünf nach Ausbruch der Krise bis zum Hals steht.
Was nun die “notwendige Konsolidierung der Haushalte kombiniert mit wirtschaftlichen Impulsen” angeht: Auch hierin unterscheidet Steinbrück sich nicht von der Kanzlerin. Um “Impulse” zu setzen, müssten die dafür verwendeten Ausgaben per saldo die an anderer Stelle zur “Konsolidierung” erzwungenen Ausgabenkürzungen überschreiten. Davon redet Steinbrück aber nicht.
Steinbrück blamiert sich als ehemaliger Finanzminister
Wirklich peinlich wird es für Steinbrück dann, als er folgenden Vergleich anstellt:
“Im Übrigen: Wir haben ein europäisches Budget, wo Sie sich vorstellen müssen, dass 370 Milliarden Euro für die Landwirtschaft und für den ländlichen Raum ausgegeben werden sollen, und nur sechs Milliarden für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.”
Dieses Zahlenspiel Steinbrücks ist für einen ehemaligen Finanzminister nun wirklich mehr als peinlich und zeigt, dass Steinbrück nicht einmal auf dem Feld der Finanzen zu trauen ist, auf dem ihm ja trotz seiner verheerenden Rolle als Bundesfinanzminister immer noch eine große Kompetenz zugeschrieben wird.
Bekanntlich sollen die sicherlich lächerlich geringen sechs Milliarden Euro in ein oder zwei Jahren ausgegeben werden. Die Zahl, die Steinbrück aber für die Landwirtschaft nennt, ist die, die im EU-Haushalt für den Zeitraum 2014 bis 2020 geplant ist. Steinbrück vergleicht hier also Äpfel mit Birnen. Es bringt jedoch nichts, etwas durchaus zurecht zu kritisieren, wie die viel zu niedrig angesetzten Gelder gegen die Arbeitslosigkeit, diese Kritik aber mit falschen Zahlen versuchen zu untermauern. Der EU-Haushalt für das Jahr 2013 sieht für die “Bewahrung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen”, wozu auch die Ausgaben für Landwirtschaft gehören, Mrd. Euro vor. Das erscheint natürlich erst einmal sehr hoch. Doch in Steinbrücks Zahlenspiel steckt noch ein weiterer gravierender Fehler: Die vermeintlich riesigen Agrarausgaben relativieren sich nämlich gravierend, berücksichtigt man, dass die Agrarpolitik die einzige ist, die fast ausschließlich aus dem EU-Haushalt finanziert wird. “Die europäischen Ausgaben ersetzen somit größtenteils nationale Ausgaben, und deswegen ist ihr Anteil am EU-Haushalt so hoch. Der EU-Haushalt zahlt dort, wo die nationalen Haushalte nicht mehr zahlen, seit es eine gemeinsame Agrarpolitik gibt”, erklärt die EU-Kommission völlig richtig unter der vielsagenden Überschrift ““.
Der gesamte EU-Haushalt beträgt lediglich rund 1 Prozent des in der EU erwirtschafteten Bruttonationaleinkommens.
Als Steinbrück bei Snowden in Verlegenheit geriet
Doch nicht genug, dass Steinbrück sich nicht auf dem Feld auskennt und Alternativen zur Politik der Kanzlerin aufzuzeigen weiß, auf dem ihm fälschlicherweise immer noch Kompetenz zugeschrieben wird.
Auch in politisch sensiblen Fällen wie im Abhörskandal und der Verfolgung Edward Snowdens macht Steinbrück eine äußerst schwache Figur.
Nicht nur, dass er, wie wir bereits bei anderen Politikern an anderer Stelle kritisiert haben, die Bürgerinnen und Bürger außen vor lässt, wenn er sagt:
“Na ja, man muss wissen, wie man mit den Daten und mit den Informationen umgeht, die man bekommt, auch über nachrichtendienstliche Dienstleistungen, die es gibt. Nur die Abhörung von Freunden wie eines Partners, der Bundesrepublik Deutschland, von EU-Repräsentanten oder Repräsentationen oder Vertretungen in den USA, die angebliche Verwanzung auch des Ratsgebäudes in Brüssel, das sind schon sehr weitreichende, wie ich finde, ziemlich entsetzliche und bedrückende Aktivitäten, die dort die NSA aus den USA entwickelt hat.”
Kein Wort von den abgehörten Bürgerinnen und Bürgern.
Ansonsten nur müde Verdachtsmomente, dass die Kanzlerin mehr wüsste als sie sage. Wer hätte das gedacht! Als der Moderator ihn aber darauf anspricht, ob er denn nicht auch mehr gewusst habe bzw. mehr wisse, auch damals schon als Bundesfinanzminister, reagiert Steinbrück hörbar angefasst – und unterstreicht ein weiteres Mal, dass er mit solchen Momenten, mit möglicher Kritik nicht umgehen kann.
Schlimmer aber noch: Er sieht den Menschen Snowden nicht, der praktisch politisch isoliert irgendwo auf dem Airport hockt. Er nutzt dessen Informationen, um die Kanzlerin anzugreifen, erweist sich aber als unfähig, dem Informanten Schutz anzubieten. Auch in diesem Punkt ist Steinbrück nicht eigenständig, nicht menschlich und keine Alternative zur Kanzlerin.
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