Warum Ströbele es verdient, auch von Parteiverdrossenen gewählt zu werden

Wir haben uns gestern aus anderem Blickwinkel als die berühmten Leitmedien der Plagiatsvorwürfe gegen Norbert Lammert, CDU, angenommen und die Person Lammert wie dessen weit verbreiteter Beweihräucherung durch Teile der Medien in den Mittelpunkt gestellt. Wir haben Lammert dabei unter anderem eine bevormundende Spießigkeit vorgehalten und dies mit einem Video verdeutlicht, das eine Parlamentsdebatte im Deutschen Bundestag zu Afghanistan wiedergibt. So gezielt ich aus der Erinnerung heraus nach dieser Debatte gesucht hatte, so unbekannt war mir ein wichtiges Detail, das ich damals sträflicherweise entweder nicht wahrgenommen oder aber zwischenzeitlich vergessen hatte: Es ist die Kurzintervention des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. Und eben diese zeigt, gerade im Kontrast zu Lammert, wie wichtig und leider auch äußerst selten Politiker wie Ströbele sind.

Ausgangspunkt ist eine Aktion der Bundestagsfraktion Die Linke, die im Rahmen der Afghanistan-Debatte auf die Opfer von Kunduz hinweist, indem die Abgeordneten sich geschlossen erheben und die Namen der Opfer auf Schildern vor sich halten. Es ist ein beeindruckendes Bild, das mich an einen Friedhof erinnert. Zunächst ist bemerkenswert wie schnell Lammert daraufhin den Ausschluss der Bundestagsfraktion Die Linke von der Sitzung exekutiert – und welch tosenden Beifall er dafür von den anderen Fraktionen erhält. Seine Berufung auf die Geschäftsordnung haben wir gestern hinreichend thematisiert. Dann – Minute 3:27 – beginnt Ströbele seine Kurzintervention, die mich, muss ich sagen, hellauf begeisterte. Nicht nur die Art, wie er sie vorträgt, nämlich in meiner Wahrnehmung uneitel und glaubhaft betroffen von dem Vorgang und in der Sache gut und richtig. Die Bedeutung der Intervention Ströbeles macht da noch nicht halt. Dankenswerterweise fängt die Kamera auch seine hinter ihm sitzenden, eigenen Fraktionskollegen ein: Und die sind sichtlich genervt; die eine verdrückt zunächst ein spöttisches Lächeln und beginnt dann in ihren Unterlagen zu blättern; der andere stiert abwesend ins Leere; beide verschränken wenig später ablehnend ihre Arme. Als Ströbele auf die Verantwortung der Bundestagsabgeordneten für die Toten zu sprechen kommt, kriegt sich die grüne Bundestagsabgeordnete hinter ihm fast nicht mehr ein. Keiner, keiner spendet Ströbele am Ende seiner Rede Beifall. Anders bei dem anschließend sich erneut auf die Geschäftsordnung und Fraktionsübereinkommen berufenden Lammert. Tosender Beifall. Als Lammert dann noch vermerkt, dass sein Vorgehen “alternativlos” ist, steigert sich der Beifall aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU/CSU und FDP noch einmal.

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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

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Nichts kann die Trostlosigkeit der Parteien und jedes einzelnen Abgeordneten deutlicher zum Ausdruck bringen, als dieser Umgang mit der Frage von Krieg und Frieden. Jedesmal, wenn ich Ströbele hier im Regierungsviertel auf seinem Fahrrad fahren sah, immer nach rechts und links Ausschau haltend, erschien er mir auf der einen Seite ziemlich eitel, auf der anderen Seite machte ich mir unwillkürlich Sorgen, dass er gegen den nächsten Laternenpfahl fahren könnte. Bei dieser Kurzintervention Ströbeles aber kam mir nur in den Sinn: dieser Politiker muss unbedingt wieder in den Deutschen Bundestag. Das gilt umso mehr, als die Frage von Krieg und Frieden im Bundestagswahlkampf keine Rolle zu spielen scheint, was nicht zuletzt auch im Umgang mit der so genannten Drohnen-Affäre und mit Edward Snowden zum Ausdruck kommt – hier stehen wiederum verfahrenstechnische “Argumente” im Mittelpunkt, nicht aber das Hinterfragen des Umgangs mit Terror und Sicherheit und der Schutz des Einzelnen vor Willkür, auch staatlicher Willkür. Hätten wir mehr von der Sorte Ströbeles im Deutschen Bundestag – der sich im Übrigen auch selbstkritisch zur damaligen Kompromissbereitschaft bei der Hartz Gesetzgebung öffentlich geäußert hat-, wäre die Parteienverdrossenheit wohl weniger ausgeprägt.


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