Geht es Ihnen genauso wie mir? Sie sind aufgebracht über einen Gabriel, einen Oppermann, einen Pofalla, ja, auch und vor allem über die unheimliche, weil undurchsichtigste, Bundeskanzlerin? Sie sind genervt von einem Polizei-, Entschuldigung, Innenminister, der sich andient und anbiedert, anstatt denen auf die Schliche zu kommen und ihnen das Handwerk zu legen, die uns die Spähaffäre eingrebrockt haben? Sind genervt von der Flut an Berichten, die zumeist doch nicht viel Neues verraten? Schließlich sind Sie auch soweit, dass Sie von alldem gar nichts mehr hören und sehen wollen – was den oben genannten sicherlich trefflich zu pass käme? Wenn die Gegenwart auf jenen Wegen allzu mittelmäßig und undurchsichtig daher kommt, dann kann möglicherweise nur noch eine Profession Abhilfe schaffen, für Klarheit sorgen und den Gegenstand nüchtern einordnen helfen: die Literatur. Für Literatur aber braucht man bekanntlich die Zeit und nicht die Uhr. Das lassen der zusammengesparte Redaktionsbetrieb eines gewöhnlichen Leitmediums und nicht zuletzt die gepflegte Nähe diverser Hauptstadtbüro-„Journalisten“ zur Politik freilich schon lange nicht mehr zu. Deswegen ist Literatur für viele ja auch wieder Neuland, so etwa wie für die Bundeskanzlerin das Internet. Wir aber haben einmal bei keinem Geringeren als Stefan Zweig nachgelesen, der sich nicht nur dem Höchsten der Literatur, Balzac, mit einer Biographie verschrieben hat, sondern auch dem Niedersten der Politik, Joseph Fouché. Aus letzterer Quelle zitieren wir wie folgt, und sehen Sie doch nur, was die NSA, das Parlamentarische Kontrollgremium, unsere und ausländische Geheimdienste, ja, die auch in dieser Angelegenheit heuchlerische SPD und vorneweg die Bundeskanzlerin und ihr Sekretär, Entschuldigung, Kanzleramtsminister, wie alle noch darin verstrickten für ein billiger analoger und digitaler Abklatsch ihres wahrlich historischen Vorläufers sind. Denn schon unter Joseph Fouché galt schließlich:
“Großartig ist diese komplizierte Maschine, dieser Universalkontrollapparat eines ganzen Landes aufgebaut….Jeder Schwatz wird gemeldet, jeder Brief wird geöffnet. Bei der Armee, bei den Kaufleuten, bei den Deputierten, in der Weinstube und Versammlung horcht der Polizeiminister unsichtbar mit, und alle diese tausend Nachrichten laufen täglich in der Richtung seines Schreibtisches zusammen. Dort werden die teilweise richtigen und wichtigen, teils bloß schwatzhaften Denunziationen geprüft, gesiebt und verglichen, bis sich aus tausend Chiffren klare Nachricht ergibt. Denn Nachricht ist alles; im Krieg wie im Frieden, in der Politik wie in der Finanz. Nicht mehr der Terror, sondern nur das Wissen ist 1799 die Macht in Frankreich.”
Das nur für diejenigen, die wenig Zeit haben oder auch nur meinen, wenig Zeit zu haben und gleich wieder in einen Untersuchungsausschuss, eine Wahlkreisveranstaltung, ins Parlamentarische Kontrollgremium oder auch nur, während sie all dies vorschieben, zur Abkühlung an den nächsten See müssen. Für diejenigen mit etwas mehr Tiefgang sei hier noch etwas ausführlicher zitiert:
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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
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“Ein Amt ist immer nur das, was ein Mann aus ihm macht. Als Joseph Fouché das Ministerium der Polizei übernimmt, bekommt er damit eine durchaus subalterne Funktion, eine Art Unterpräfektur des Ministeriums des Innern. Er soll überwachen und informieren, als Kärrner das Material zusammenschaffen für die innere und äußere Politik, mit dem dann die Herren des Direktoriums wie die Könige bauen. Aber kaum hat Fouché drei Monate lang die Macht in Händen, so merken seine Gönner erschreckt, erstaunt und schon wehrlos, dass er nicht nur nach unten überwacht, sondern auch nach oben, dass der Polizeiminister die anderen Minister, das Direktorium, die Generale, die ganze Politik kontrolliert. Sein Netz überzieht alle Ämter und Obliegenheiten, in seine Hände münden alle Nachrichten, er macht Politik neben der Politik, Krieg neben dem Krieg, überallhin schiebt er die Grenzen seiner Befugnisse vor, bis schließlich Talleyrand ärgerlich die Stellung des Polizeiministers neu definieren muss: ´Der Polizeiminister ist ein Mann, der sich zunächst um alle Dinge kümmert, die ihn angehen, und sodann in zweiter Linie um alle, die ihn nichts angehen.´
Großartig ist diese komplizierte Maschine, dieser Universalkontrollapparat eines ganzen Landes aufgebaut. Tausend Nachrichten münden jeden Tag in das Haus am Quai Voltaire, denn nach ein paar Monaten hat dieser Meister das ganze Land mit Spionen, Geheimagenten und Zuträgern durchsetzt. Aber man stelle sich diese seine Spitzel nicht bloß als die üblichen plumpen Kleinbürgerdetektive vor, die bei den Hausmeistern und im Weinhaus, in Bordellen und Kirchen den Tagesschatz belauschen: Fouchés Agenten tragen auch goldene Tressen und Diplomatenröcke und zarte Spitzenroben, sie plaudern in den Salons des Faubourg Saint-Germain und schleichen sich anderseits wieder, patriotisch verkleidet, in die Geheimsitzungen der Jakobiner. In der Liste seiner Söldlinge finden sich Marquis und Herzoginnen mit den klingendsten Namen Frankreichs, ja, er darf sich rühmen (phantastisches Faktum!), die höchste Frau des Reiches, Josephine Bonaparte, die spätere Kaiserin, in seinen Diensten zu haben. Im Bureau seines späteren Herrn und Kaisers ist der Sekretär an ihn verkauft, in Hartwell in England der Koch des Königs Ludwig XVIII. von ihm bestochen. Jeder Schwatz wird gemeldet, jeder Brief wird geöffnet. Bei der Armee, bei den Kaufleuten, bei den Deputierten, in der Weinstube und Versammlung horcht der Polizeiminister unsichtbar mit, und alle diese tausend Nachrichten laufen täglich in der Richtung seines Schreibtisches zusammen. Dort werden die teilwiese richtigen und wichtigen, teils bloß schwatzhaften Denunziationen geprüft, gesiebt und verglichen, bis sich aus tausend Chiffren klare Nachricht ergibt.
Denn Nachricht ist alles; im Krieg wie im Frieden, in der Politik wie in der Finanz. Nicht mehr der Terror, sondern nur das Wissen ist 1799 die Macht in Frankreich.”
Und wer nun noch Zeit übrig hat, der spiel doch einmal ein wenig mit den im Zitat genannten Funktionen und versuche sie mit der Gegenwart in Einklang zu bringen.
Zitiert aus: Stefan Zweig, Joseph Fouché, Bildnis eines politischen Menschen, Salzburg, Herbst 1929
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