Bundestagswahlkampf: Steinbrück und Gabriel geben “Steuerbetrug” neue Bedeutung

Ich saß einmal, es war im Frühjahr 2012, als Zuhörer in einer Veranstaltung der Parlamentarischen Linken der SPD im Deutschen Bundestag. Da war der Spitzensteuersatz Thema. Als, alternativ zu der von der SPD damals schon anvisierten Steigerung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent (die SPD hatte in Regierungsverantwortung zuvor den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt), der alte, noch unter Helmut Kohl geltende Spitzensteuersatz von 53 Prozent in die Diskussion eingebracht wurde, protestierte ein Referent aus der obersten Etage des Willy Brandt Hauses: “Wir müssen überlegen, wie denn ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent zu vermitteln sein soll.”

Mir kam damals dazu bereits nur in den Sinn, dass dieser Referent, stellvertretend für die SPD-Funktionäre, damit doch wohl nur die Spiegel-Journalisten und andere Vertreter der so genannten Leitmedien meinen könne, wenn er diesbezüglich ein Vermittlungsproblem sah; die Arbeitgeber- und andere Lobbyverbände nicht zu vergessen. In der Bevölkerung – oder, auf den laufenden Bundestagswahlkampf gemünzt: beim Wahlvolk – jedenfalls konnte ich mir damals wie heute keine großen Widerstände vorstellen, im Gegenteil. Dass die Politik der SPD damals wie heute jedoch eben nicht dem Volk aufs Maul schaut(e), hier im vornehmsten Sinne, dafür sprachen und sprechen nicht zuletzt die Agenda 2010 und andere Gesetzgebungen, die sich gegen den normalen Arbeitnehmer und auf soziale Unterstützung angewiesene Menschen richtete, immer getrieben, Arbeitgeber und Reiche in Watte zu wickeln. Im Namen der herbeigeredeten, aber bis heute nicht verstandenen “Globalisierung”.

Wie aktuell diese Anekdote und die sie betreffende Geisteshaltung ist, haben SPD-Chef Sigmar Gabriel und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gerade erst wieder bewiesen. Weg ist der Schafspelz, in den sich diese beiden Leitwölfe des Sozialabbaus, die noch in diesem Jahr zehn Jahre Agenda 2010 und Hartz IV ausgiebig feierten und diese Gesetzgebung verteidigten, im Bundestagswahlkampf zu tarnen suchten und mit ihnen das ganze Rudel namens Bundestagskandidaten, die jetzt von Tür zu Tür streichen wie der böse Wolf an Großmutters Tür klopfend. Anders als im Märchen, scheinen der SPD die Umfragewerte schon vor der Missetat wie Steine im Bauch zu liegen.

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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

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So ließ Gabriel gegenüber dem Spiegel verlauten: “Wir könnten in Deutschland auch wieder Steuern senken, wenn es endlich gelingt, Steuerbetrug wirksam zu bekämpfen.” Freudig überschrieb der Spiegel daraufhin seinen Beitrag: “Gabriel rückt von Steuererhöhungen ab.” Laut Spiegel soll auch Steinbrück am Wochenende Steuersenkungen ins Spiel gebracht und sich dabei des gleichen Arguments bedient haben: “In seiner Rede zum 150. Geburtstag der SPD, den die Partei mit einem großen Fest vor dem Brandenburger Tor in Berlin feierte, brachte er ebenfalls Steuersenkungen ins Spiel – Voraussetzung seien allerdings Mehreinnahmen durch eine konsequentere Verfolgung der Steuersünder.”

Laut Welt nahm Steinbrück das “Tabuwort” “Steuersenkungen” bereits vor zwei Wochen auf einer Pressekonferenz in den Mund. Der Bericht der Welt macht auch die ersten Relativierungsversuche deutlich, die allerdings ähnlich wirken wie die Beteuerungsversuche des Wolfes im Bett der Großmutter. Und man kann nur hoffen, dass der Wähler nicht so darauf hereinfällt wie das arme Rotkäppchen.

Tatsächlich aber meint Gabriel ja zugleich: “Ich finde Steuern zahlen nicht sexy.” Köstlich auch, dass die SPD in Hessen unter dem farblosen Schäfer-Gümbel mitten im Bundestagswahlkampf zwar Unterschriften gegen Steuerbetrug sammelt, nicht aber Unterschriften für die Erhebung der Vermögenssteuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Erhöhung der Erbschaftssteuer, die ohnehin nicht übermäßig ehrgeizigen Wahlversprechen der SPD im laufenden Bundestagswahlkampf also.

Das alles weist in dieselbe Richtung: Der SPD ist auch in der Frage der Steuerpolitik nicht über den Weg zu trauen.


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