Frauen im Minijob – Wundersames Kleinreden der Minijob-Falle – Von Ursula Engelen-Kefer

Ursula Engelen-Kefer

Am 16. August 2013 haben ver.di und der Sozialverband Deutschland (SoVD) die 9. Alterssicherungskonferenz in Berlin veranstaltet. Im Mittelpunkt stand – ganz im Zeichen der anstehenden Bundestagswahl – die Frage an die Politik: “Welche Lösungen sehen sie für Frauen in prekärer Beschäftigung und insbesondere in der Minijob-Falle? Wie wollen sie sie umsetzen?” Ursula Engelen-Kefer, die Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung mit herausgibt, trug ebenfalls dort vor. Der Artikel von ihr unten gibt den Inhalt ihres Vortrags wieder.

Vor zwei Wochen wurde Eric Thomsen, Leiter der Minijob Zentrale Essen im Tagespiegel gefragt, wer die sieben Millionen Minijobber in Deutschland sind und was er von den Vorschlägen hält, sie zu begrenzen (SPD/Grüne) oder sie ganz abzuschaffen (Die Linke). In seinen Antworten nahm Herr Thomsen ein wundersames rechenhaftes Herunterspielen der Probleme dieser Minijobs vor:

Nach Abzug von 2,7 Millionen mit Minijobs im Nebenverdienst sowie der Rentner und Studenten blieben gerade einmal 1,9 Millionen übrig. Zwei Drittel davon wären Frauen, von denen nur ein Viertel überhaupt mehr arbeiten wolle. Es blieben mithin 300 000 Frauen, die aus dem Minijob herauswollten. Ob sich dafür eine so gravierende Gesetzesänderung geeignet wäre, wollte Herr Thomsen der Politik überlassen.

Hoher Handlungsbedarf für ein Viertel der abhängig Beschäftigten

Abgesehen davon, dass diese Rechenexempel nicht nachvollziehbar sind, sind weitere Recherchen und Überlegungen dazu müßig: Bereits der starke Anstieg der Minijobs im Nebenverdienst nach der gesetzlichen Schleusenöffnung 2003 (Wegfall der Zusammenrechnung des Haupt- und Minijobs für die Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge) führt zu erheblichen Problemen für die Betroffenen, die Sozialversicherung, den Arbeitsmarkt, die Gleichstellung. Seit 2003 hat sich die Zahl der Minijobs in Nebentätigkeit von 1,1 Mio. auf 2,6 Mio. oder über 9 Prozent mehr als verdoppelt. Hierbei ist der Anteil der Männer mit über 40 Prozent höher als bei den Minijobs als alleinige berufliche Tätigkeit mit über zwei Dritteln Frauen.

Sozial- und arbeitsmarktpolitisch höchst fragwürdig ist ebenfalls die steigende Zahl der Minijobs für Arbeitnehmer in rentennahen Jahrgängen sowie der Rentner selbst. Ob Minijobs in den schlecht bezahlten Niedriglohnjobs der personenbezogenen Dienstleistungen (von Toiletten bis zur Nachtarbeit in Garderoben an entfernten Orten) die freie Wahl der Betroffenen darstellt, ist erheblich in Frage zu stellen. Oftmals haben sie keine andere Wahl, da besser abgesicherte und bezahlte Tätigkeiten nicht geboten werden und sie infolge ihrer niedrigen Altersrenten auf einen Zuverdienst angewiesen sind. Schwer nachvollziehbar ist die wachsende Zahl von Minijobs in den Gesundheits- und Pflegeberufen, wo ständig der Fachkräftemangel beklagt wird – mithin eher eine Ausweitung der Arbeitszeiten und eine bessere Entlohnung die logische Folge sein müsste.

Dies haben auch die Ergebnisse der Studie aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ “Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf” vom Oktober 2012 besonders eindrücklich dargestellt.

Man muss schon etwas tiefer und weiter graben, um die Auswirkungen der Minijobs auf die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gleichstellungspolitik zu erfassen. Erst dann können politische Entscheidungen über Veränderungen in Gesetzgebung und Praxis getroffen werden. Dabei gibt es keinen Zweifel: In kaum einem Bereich ist der Handlungsbedarf so groß wie bei den Minijobs und gleichzeitig die politische  Blockade in Politik, bei den Tarifparteien und der Gesellschaft insgesamt so hartnäckig.

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Ausbreitung der Minijob-Unkultur

Nach den Ergebnissen der besonders aufschlussreichen Studie aus dem BMSFJ ist noch klarer geworden, weshalb sich die in der Bundesrepublik einmalige “Minijob-Unkultur” derartig ausbreiten und dabei auch wechselnde politische Regierungskoalitionen überdauern konnte. Es gibt kaum einen Bereich in der Arbeitsmarkt- und Gesellschaftspolitik, in der solche festgefügte “unheiligen” Allianzen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bestehen.

Zum einen spielt hierbei natürlich eine wichtige Rolle, dass mit mehr als zwei Dritteln der überwiegende Teil der Minijobber Frauen sind, die trotz  Gleichstellungsgebot im Grundgesetz nach wie vor erhebliche Nachteile bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchleben. Zum anderen passen Minijobs  nahtlos in das traditionelle Rollenmuster der Aufteilung der Pflichten in Familie und Beruf zwischen Männern und Frauen. Beides verstärkt sich gegenseitig, so dass es immer schwerer wird, die gesellschaftspolitische Blockade der Minijob-Mauern zu durchbrechen.

Für  Frauen geht es vor allem darum, einen Job mit wenig Arbeitsstunden und hoher Flexibilität zu haben. Dabei haben sie das herkömmliche Muster der  Rollenaufteilung in der familiären Partnerschaft “verinnerlicht”. Ihre Arbeit und das Einkommen sind Zuverdienst und nicht zur eigenen beruflichen Entwicklung und Lebensexistenz ausgelegt.

Eindeutig nachweisbar ist dies für den hohen Anteil der verheirateten Frauen in Minijobs. Bei den Jüngeren dürfte auch die zukünftige traditionelle Rollenaufteilung  bedeutsam sein. Zudem haben sie die Erwartung, aus derartigen Minijobs in eine reguläre dauerhafte Beschäftigung zu kommen, was sich allerdings in der Realität – von Ausnahmen abgesehen – nicht bestätigt.

Einen starken Einfluss darauf haben die männlichen Partner, die mit der traditionellen Rollenaufteilung ihren eigenen beruflichen Interessen besser nachkommen können sowie das vorherrschende gesellschaftliche Umfeld, das sich immer noch maßgeblich an diesen Vorstellungen orientiert. Entscheidenden Einfluss darauf hat auch die Sozial- und Steuergesetzgebung.

Die Befreiung von eigenen Sozialversicherungsbeiträgen der Minijobberinnen, die beitragslose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Steuerfreiheit spielen für die besser verdienenden meist männlichen Partner eine dominierende Rolle, von der sich auch die Frauen leicht überzeugen lassen.

Selbst wenn das Minijob-Prinzip in der Studie des BMFSFJ für die betroffenen Frauen – Brutto gleich Netto – nicht explizit als besonders wichtig hervorgehoben wird, ist dies entscheidend für die erst genannte  Begründung “gute Bedingungen”. Was sollte darunter im Minijob mit dem hohen Ausmaß an Dequalifizierung, mangelndem Aufstieg und Niedriglöhnen ansonsten zu verstehen sein?

Der Katzenjammer kommt – wie immer – auch hierbei. Wenn die Blütenträume von der Brückenfunktion der Minijobs geplatzt sind, ist es zu spät. Versehen mit dem Makel der dauerhaften Minijobberin, ist nicht nur der Übergang in eine reguläre Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung kaum mehr möglich.

Dies gilt auch für viele Alleinerziehende, die – unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation – auf die geringwertigen und schlecht bezahlten Minijobs abgedrängt werden. Auch gelingt der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach der Familienphase dann vielfach wieder nur in Minijobs.

Vor allem sind die Minijobs eine Spirale rückwärts in der Gleichstellungspolitik: die Abhängigkeit vom besser verdienenden Partner und der Klebeeffekt weitet sich auf das traditionelle Rollenmuster in Partnerschaft und Familie aus. Ist dann auch noch die Lebensplanung in der Partnerschaft zerstört, müssen viele Minijobberinnen Armut bei Arbeit und im Alter erleben.

Arbeitgeber sind Nutznießer

Bei 6,8 der erfassten 7 Millionen Minijobs im gewerblichen Bereich spielt die Wirtschaft hierbei natürlich auch eine wichtige Rolle. Die Arbeitgeber profitieren von dem flexiblen Einsatz der Minijobber/innen. Dies gilt zunächst einmal vor allem für berufliche Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen und leichter Austauschbarkeit der Beschäftigten – insbesondere in Reinigungsgewerbe, Gastronomie, Handel und vielen anderen personengebundenen Dienstleistungen, vor allem der Gesundheits- und Pflegebranche.

Seit der gesetzlichen Lockerung im Zuge der Hartz Gesetze 2003 – vor allem der Wegfall jeglicher Begrenzung durch Höchstarbeitsstunden sowie Abschaffung der Zusammenrechnung von Haupt- und Nebenjob bei der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge -, hat die Anzahl der Minijobs einen kräftigen Sprung gemacht. Dies war und ist geradezu ein Anreiz, reguläre Teilzeit- und Vollzeitarbeit in Minijobs aufzuspalten.

Hinzu kommt der geringe Schutz insbesondere durch Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Gewerkschaften und Betriebs-/bzw. Personalräte  bei der Durchsetzung ihrer sozial- und arbeitsrechtlichen Ansprüche auf Lohnfortzahlung, Urlaubsdauer sowie Urlaubsgeld und sonstiger betrieblichen Sozialleistungen. Die Studie des BMFSFJ hat besonders deutlich gemacht, dass hierbei häufig arbeits- und sozialrechtliche Umgehungen und Verletzungen stattfinden, die betroffenen Minijobber/innen aber ihre Rechte nicht kennen bzw. keine Möglichkeit sehen, diese einzufordern.

Nach Abzug von Schülern, Studenten und Rentnern arbeiten 80 Prozent der Minijobber/innen zu Niedriglöhnen. Diejenigen mit einem Mini-Nebenjob verdienen zu 40 Prozent nur Niedrigglöhne- bei den Frauen sind es über die Hälfte. Es ist daher anzunehmen, dass ein wesentlicher Gund für den Mini-Nebenjob der hohe Anteil von prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen insgesamt ist und somit die Betroffenen häufig keine andere Wahl haben. Dafür spricht ebenfalls der Tatbestand, dass  zwei Drittel der Minijobber/innen länger arbeiten wollten. Dies gilt im Übrigen auch für die reguläre Teilzeit, die inzwischen für Frauen inzwischen auf 46 Prozent angestiegen ist. Hingegen ist der Zuwachs an Vollzeitstellen im vergangenen Jahrzehnt für Frauen nur um 0,3 Prozent gestiegen.

Höchst fragwürdig ist zudem die Behauptung der Befürworter dieser Minijobs, damit würde Schwarzarbeit verhindert. Die Untersuchung aus dem BFSFJ weist auch für den gewerblichen Bereich eher in die umgekehrte Richtung. Dies gilt noch mehr für den privatwirtschaftlichen Bereich, wo insgesamt nur 250.000 Minijob-Verhältnisse gemeldet sind.

Unerlässlich ist ein politischer und gesetzlicher Paradigmenwechsel

Dringend notwendig ist eine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Die “kleine” Lösung, wieder wie vor 2003 Höchstarbeitsstunden (15) einzuführen sowie die Zusammenrechnung von Haupt- und Minijobs bei der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge kann keine nachhaltigen Lösung sein.

Die Frauen können damit nicht aus ihrer Abhängigkeit vom besser verdienenden Partner bzw. aus der hohen Risikogefährdung durch Armut bei Arbeit und im Alter entkommen. Erforderlich ist dazu die grundsätzliche Einbeziehung aller Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht. Damit würde auch die bereits in dem Begriff “geringfügige Beschäftigung”  liegende Diskriminierung entfallen. Darüber hinaus ist das gesamte Familien- und Steuerrecht – vor allem das Ehegattensplitting sowie die Diskriminierung in den Steuerklassen III (niedrige Steuern für die besser verdienenden Männer) sowie Steuerklasse V (prohibitive Besteuerung für die Niedriglöhne der Frauen)  abzuschaffen. Nur dann kann den zumeist besser verdienenden Partnern der Wind aus den Segeln genommen werden, ihre Partnerin auf den Minijob als kleines Zubrot abzudrängen.

Entscheidend sind alle Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Gesetzgebung und betrieblicher Praxis. Nur dann kann die traditionelle Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen aufgebrochen werden. Ein erster wichtiger Ansatzpunkt dazu wäre die Nutzung des gleichstellungspolitisch widersinnigen Betreuungsgeldes für eine quantitativ und qualitativ bessere Kinderbetreuung. Weiterhin wäre dringend erforderlich, die ebenfalls seit Jahren in der politischen Blockade hängen gebliebenen Gesetzesinitiativen endlich voranzubringen. Vordringlich ist ein Entgeldgleichheitsgesetz, um die skandalöse Lohnlücke zu Lasten der Frauen zu schließen; notwendig sind ebenso das längst überfällige Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft sowie die Einführung wirksamer Frauenquoten in den Führungsfunktionen. Dringend erforderlich ist darüber hinaus aber auch eine  “Reregulierung” der “präkarisierten” Arbeitsverhältnisse sowie eine Generalrevision von ALGI und ALGII.

Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de). Seit Februar gibt sie Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse und Meinung mit heraus.


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