Spähaffäre/Parteien: Warum die SPD auch in der Frage des Datenschutzes und der Privatsphäre unglaubwürdig ist

Das ist parlamentarische Oppositonsarbeit im vornehmsten Sinne: Patrick Breyer, seit Mai dieses Jahres Abgeordneter der Piratenpartei im Schleswig-Holsteinischen Landtag, hat einmal die Gesetzgebung und das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktionen zu Sicherheits- und Überwachungsgesetzen zurückverfolgt und verglichen. Das Ergebnis ist so eindeutig, dass es nicht Wunder nimmt, warum die SPD sich bei der Spähaffäre nicht so sehr aus der Deckung trauen mag und, wie bei sozial- und wirtschaftspolitischen Themen, Gefangener ihrer eigenen Politik in Regierungsverantwortung und in der Opposition (!) ist. Hier wie da erscheint sie als Überzeugungstäter im negativsten Sinne.

Breyers Bestandsaufnahme geht zurück bis zum Jahr 1956. Damals, am 6. März 1956, wurde im Deutschen Bundestag über die Einschränkbarkeit von Grundrechten im Verteidigungsfall abgestimmt. CDU/CSU, SPD und auch FDP stimmten dafür. Am 30. Mai 1968 ging es dann um die Einschränkung des grundgesetzlich geschützen Post- und Fernmeldegeheimnisses, das ja auch aktuell von der Spähaffäre berührt ist. Was heute jedoch zum Normalfall geworden zu sein scheint, war damals Gegenstand einer Notstandsverfassung. Auch dieser stimmten CDU/CSU und SPD zu, die FDP stimmte dagegen. Immerhin, dem vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig einkassierten Gesetz zur präventiven Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs durch den Zoll, über das am 23.01.1992 abgestimmt wurde, stimmte die SPD damals nicht zu, CDU/CSU und FDP stimmten dafür. Grüne und Linke/PDS stimmten ebenfalls dagegen – Die Linke hat als einzige Partei gegen alle Sicherheits- und Überwachungsgesetze gestimmt. Dem großen Lauschangriff jedoch, das ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestufte Abhören von Wohnungen, stimmten SPD, CDU/CSU und FDP im Januar 1998 zu…

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Endlich, das Lied zum Thema:

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…Alle Hemmungen fielen schließlich, als die SPD selbst die Geschicke der Bundesrepublik in Regierungsverantwortung in die Hand nahm. 2001 stimmten die SPD und die Grünen wie auch die auf den Oppositionsbänken sitzende CDU/CSU für das Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, das erstmals die Rasterung internationaler Telefon- und Internetleitungen durch den BND vorsah. FDP und Linke stimmten dagegen. SPD und Grüne stimmten 2004 auch für das Telekommunikationsgesetz, das ebenfalls durch das Verfassungsgericht kassiert wurde und den Identifizierungszwang für Handykarten wie die Pflicht zur Bestandsdatenauskunft beinhaltete. Die FDP stimmte dagegen. Und während selbst CDU/CSU im Mai 2005 gegen die Wiedereinführung des großen Lauschangriffs stimmten, stimmten SPD und Grüne dafür; FDP und Linke stimmten dagegen. Die SPD war auch für – diesmal stimmten die Grünen dagegen – verdeckte Videoüberwachung und Abhören von Wohnungen durch den Zoll, erleichterte Telekommunikationsüberwachung und Datenauslieferung an das Ausland, die im Juni 2007 von CDU/CSU und SPD in Gesetz gegossen wurden. Die Häufigkeit von Gesetzgebungen in der Zeit der großen Koalition (2005-2009) ist besonders auffällig. Noch auffälliger aber: Selbst nach 2009 wieder in der Opposition hat die SPD weiteren drastischen Sicherheits- und Überwachungsgesetzen zugestimmt, darunter dem Online-Zugriff US-amerikanischer Behörden und Dienste auf deutsche Fingerabdruck- und DNA-Datenbanken, Auslieferung von Informationen an die USA, der regulären Zulassung des Einsatzes von Drohnen, die mit Überwachungstechnik ausgestattet sein können, und, noch im Juni 2013, einer elektronischen Schnittstelle zur Identifizierung von Internetnutzern und Übermittlung von Passwörtern durch das BKA.

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Über den gesamten Betrachtungszeitraum war die SPD an mehr verfassungswidrigen Überwachungsgesetzen und deren Zustimmung beteiligt als CDU/CSU. In Regierungsverantwortung haben die SPD wie CDU/CSU zu 100 Prozent den Überwachungsgesetzen zugestimmt. Und selbst in der Opposition war bei der SPD die Zustimmungs- und Enthaltungsquote höher als bei CDU/CSU.

Wem würde da nicht die sozial- und wirtschaftspolitische Parallele einfallen: Denn auch mit der Agenda 2010 – mit Hartz IV ein Abhörskandal für sich genommen – hat sich die SPD besonders radikal und rücksichtslos gegen die Freiheit und den sozialen Schutz der Bevölkerung im Allgemeinen wie der Schwächsten im Besonderen gestellt.


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