“Grundsätzlich bin ich zufrieden. Ich meine, Herr Heckmann, Sie müssen sich vorstellen, vor zehn Jahren trugen wir die rote Laterne. Wir sind jetzt Lokomotive. Also so viel kann auch nicht falsch gelaufen sein.” Das sagte Carsten Linnemann am Sonnabend im Interview mit dem Deutschlandfunk. Unglaublich, aber wahr: Linnemann ist promovierter Volkswirt. Kein Grund aber zu glauben, er habe seine Doktorarbeit gefälscht. Die deutsche Volkswirtschaftslehre produziert solche Köpfe als Standardprodukt. Man schaue nur in den Sachverständigenrat oder in die fünf wichtigsten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. Armer deutscher Mittelstand auch. Denn Linnemann ist gerade zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt worden. Er ist darüber hinaus Mitglied der CDU. Und er ist in der Bevölkerung verankert! Er hat gerade das zweite Mal ein Direktmandat erhalten, das ihn erneut zum Mitglied des Deutschen Bundestages gemacht hat. Leider nur, leider nur, tut Linnemann mit seinem Gedankengut weder dem Mittelstand noch der Bevölkerung etwas Gutes.
Wenn es nach seiner Ideologie geht, muss der Mittelstand in Deutschland weiter mit Umsatzverlusten leben, die ihm durch eine nicht verteilunsgneutrale Lohnentwicklung entstehen, und die Bevölkerung muss wegen eben dieser nicht verteilungsneutralen Lohnentwicklung auf potenziell mögliche Annehmlichkeiten des Lebens verzichten. So betrachtet trägt Deutschland seit der Agenda 2010 die “rote Laterne”, mit kurzer Unterbrechung 2010/2011. Die Entwicklung der realen Inlandsnachfrage veranschaulicht das sehr gut (Hintergrund hierzu).
Linnemanns Ideologie geht so, Beispiel Steuererhöhungen: Steuererhöhungen sind für ihn eine Frage der “Geisteshaltung, dass wir sagen, der Staat muss mit seinem Geld auskommen.” Sind aber Milliarden Rückstände bei den Investitionen in die öffentliche Infrastruktur ein Zeichen dafür, dass der Staat mit seinem Geld auskommt? Ist die immer wieder bemängelte, fehlende Durchlässigkeit bei der Bildung, sind rund 60.000 Schüler, die jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, ein Zeichen dafür, dass der Staat mit seinem Geld auskommt? Rethorische Fragen (Hintergrund hierzu).
Muss, wenn es nach Linnemann geht, eigentlich auch der Arbeitnehmer mit seinem Geld auskommen? Wohl eher nicht. Dann bekäme seine Aussage ja plötzlich einen ganz anderen Dreh. Der wäre zwar gut für die Bevölkerung und den Mittelstand, aber er passt eben nicht in die Ideologie des Volksvertreters und promovierten Volkswirts Linnemann. Ihm geht es dann auch in der Frage der Steuererhöhungen um “Glaubwürdigkeit” und nicht um ökonomische und soziale Zusammenhänge. Und in diesem Punkt ist ihm, politisch gesehen, ja durchaus Recht zu geben. Problematisch ist es dennoch, wenn man an das Falsche glaubt und sich nicht der Zusammenhänge und realen Entwicklungen versichert. Dann kommt nämlich nichts bei herum für die Bevölkerung und den Mittelstand.
Da überrascht auch nicht seine Haltung zum Mindestlohn, die er wiederum nicht ökonomisch begründet, sondern ideologisch: “Wichtig ist nur – und das sagt ja auch die Kanzlerin ganz klar und da gibt es auch einen Parteitagsbeschluss -, dass wir nicht im Deutschen Bundestag politisch die Löhne festlegen und aufzeigen und sagen, jetzt ist der Lohn festgelegt. Und das ist offenkundig meiner Meinung nach, dass wir einen Überbietungswettbewerb in den nächsten Jahren bekommen werden.” Hat der Bundestag aber nicht umgekehrt seit der Agenda 2010 den Unterbietungswettbewerb gesetzlich organisiert und damit die Lohnentwicklung politisch festgelegt? Hat er.
Das Dumme daran: Ein Bürschchen wie Linnemann kommt mit diesen Platitüden durch. Er wird sogar gewählt, von Wirtschaftsvertretern und von der Bevölkerung, direkt in den Bundestag. Es scheint ja auch alles auf den ersten Blick so schlüssig, und sagen es nicht alle? Genau hierüber verständlich aufzuklären und überzeugende politische Gegenentwürfe zu präsentieren, die der Normalbürger versteht, sind die zwei großen Aufgaben, der sich die Opposition stellen muss.
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