Eurokrise/EZB: Wie der EZB-Präsident die Eurokrise versteht – ein Risiko

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, meinte gestern in Paris tatsächlich, dass die Eurozone und der Euro heute widerstandsfähiger sind als vor einigen Jahren (“…the euro area and the euro are more resilient today than they were a few years ago…”). Und es gebe Gründe dafür, so Draghi. Die Regierungen hätten substantielle Fortschritte ”an der Front fiskalischer Glaubwürdigkeit” erzielt, zu einem gewissen Grad auch “an der Front der Strukturreformen”. Schließlich hätten auch die Anleihekauf-Programme der EZB geholfen (“One is that substantial progress has indeed been achieved by governments on the front of fiscal credibility and, to some extent, also on the front of structural reforms. The second factor is the ECB’s response with OMT [Outright Monetary Transactions] last year. And the third factor is that, by and large, the euro governance has progressed significantly in the course of 2012.”).

Das Anleihekauf-Programm hat sicherlich noch Schlimmeres verhindert. Nur war es in der Tat von Anfang in den Dienst der ersten beiden “Fronteinsätze” gestellt. Und schaut man sich die Folgen der Ausgabenkürzungen und anderer “Strukturreformen” an, erscheint das Wort Front in der Tat passend. Gleicht die Politik doch einem Angriff auf die Bevölkerung, der sich in steigender Arbeitslosigkeit und sozialer Not niederschlägt.

Bevor Draghi aber seine oben aufgegriffenen Schlussfolgerungen zieht, stellt er die Realitäten noch viel radikaler auf den Kopf, wenn er nämlich sagt: “Alles in allem, wenn Sie auf Zeiträume politischer Instabilität gucken – und wir haben sie in Griechenland gesehen und in Portugal, und wir sehen sie jetzt in Italien – dann sehen Sie, während die Instabilität die Hoffnungen auf wirtschaftliche Erholung in diesen Ländern dämpfen mag, bedroht sie nicht wirklich den Euroraum, die Grundlagen des Euroraums, so, wie vor einigen Jahren” (“All in all, when you look at periods of instability − and we have seen them in Greece, and in Portugal and we are seeing them in Italy now − you see that, while instability may be hampering the hopes for a recovery in these countries, it does not really hurt the euro area, the foundations of the euro area, as it used to do a few years ago.”)

Verhält es sich aber, erstens, nicht genau umgekehrt? Nicht die Instabilität dämpft die Hoffnungen auf Erholung, sondern die ausbleibende wirtschaftliche Erholung nährt die politische Instabilität. Und wie kann man, zweitens, ernsthaft meinen, die politische Instabilität in Griechenland sei vorüber (“wir haben sie in Griechenland gesehen…”)? Und wie kann man, drittens, ernsthaft meinen, dass eine derartige Entwicklung, wie wir sie nunmehr seit sechs Jahren beobachten und in einigen Ländern eskalieren sehen, “nicht wirklich” den Euroraum und seine Grundlagen auch als ganzes bedroht?

Die Aussagen Draghis beantworten übrigens die Frage eines Journalisten, der Draghi um ”eine Botschaft an die Märkte” bittet (siehe Originaltext unten), was denn nötig sei, um destabilisierende Risiken für Wachstum und Erholung zu vermeiden. Wer aber, wie Draghi, die destabilisierenden Risiken wie die “Strukturreformen” und die einseitig auf Ausgabenkürzungen setzende “Haushaltskonsolidierung” nicht als Risiken, sondern als Lösungen begreift, ist selbst ein Risiko für Wachstum und Erholung.

Dabei bräuchten sich der Journalist und der EZB-Präsident nur die Entwicklung der Wirtschaftsleistung und der Arbeitslosigkeit anzugucken, um zu sehen, was die bisherige Politik bewirkt hat, und was für politischen Sprengstoff die Folgen dieser Politik in sich bergen. Weil der Journalist und Draghi Italien angesprochen haben, hier die Entwicklung für Italien. Die Entwicklung der anderen Krisenländern ergibt kein anderes Bild (siehe auch: Griechenland/Eurokrise: Nährboden für radikale Parteien [im Abonnement]).

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Auszug aus der Pressekonferenz vom 2. Oktober 2013:

“Question: Mr President, I know that sometimes you don’t answer questions on specific countries, like Italy, but maybe you have a message to send to the markets about what is needed to avoid the destabilising risks to growth and to recovery?

Draghi: Well, let me say that I can comment on this in quite general terms. All in all, when you look at periods of instability − and we have seen them in Greece, and in Portugal and we are seeing them in Italy now − you see that, while instability may be hampering the hopes for a recovery in these countries, it does not really hurt the euro area, the foundations of the euro area, as it used to do a few years ago. In other words, the euro area and the euro are more resilient today than they were a few years ago and there are three reasons for this. One is that substantial progress has indeed been achieved by governments on the front of fiscal credibility and, to some extent, also on the front of structural reforms. The second factor is the ECB’s response with OMT (Outright Monetary Transactions) last year. And the third factor is that, by and large, the euro governance has progressed significantly in the course of 2012.”

Quelle: http://www.ecb.europa.eu/press/pressconf/2013/html/is131002.en.html


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