IAB-Chef versucht Hartz-IV-Kartenhaus vor Einsturz zu bewahren

Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus: Der Leiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, kommt angesichts schlechter Perspektiven für den Arbeitsmarkt zu folgendem Schluss (Audio-Link zur gestern gegebenen Pressekonferenz):

“Dies ist einerseits ein Ausdruck des Auslaufens der Reformeffekte, also der Verbesserungen am Arbeitsmarkt, die wir durch die Hartz-Reformen erreicht haben.”

Dass die schlechten Perspektiven für den Arbeitsmarkt rein gar nichts mit einem wie auch immer gearteten “Auslaufen der Reformeffekte” zu tun haben, ja, dass eine gute und eine schlechte Arbeitsmarktentwicklung immer steht und fällt mit der Konjunktur – mit der wirtschaftlichen Aktivität, dem Wirtschaftswachstum, dem Bruttoninlandsprodukt – kommt dem “Forscher” nicht in den Sinn. Sonst würde ja auch das ganze Hartz-IV-Kartenhaus zusammenbrechen. Wenn das reale Wirtschaftswachstum über dem Produktionspotenzial liegt, ist es angemessen, um die Arbeitslosigkeit zu senken und auf diesem Weg das Ziel Vollbeschäftigung zu erreichen. Davon ist auch Deutschland weit entfernt. Seit drei Quartalen ist in Deutschland zudem das Wachstum nicht mehr angemessen, um die Zahl der Arbeitslosen zu senken, also mehr Menschen einen Arbeitsplatz zu bieten. Wir veröffentlichen hierzu seit geraumer Zeit mit jeder Meldung der Quartalsdaten zum Bruttoinlandsprodukt durch das Statistische Bundesamt unsere Berechnung zum angemessenen/nicht angemessenen Wirtschaftswachstum. Würden das IAB und die Bundesagentur für Arbeit – und die Politik und ihre Gesetzgebung – den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum seit der Agenda 2010 nicht so konsequent ausblenden, wie sie es tun, hätten sie daher längst Alarm schlagen müssen. Das gilt umso mehr unter Einbeziehung der Situation im gesamten Euroraum, wo jene Ideologie in noch konzentrierterer Form zu einer neuen Dimension der Massenarbeitslosigkeit geführt hat, die in einigen Ländern bereits tiefe Risse im Fundament der Demokratie hinterlassen hat.

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Die Zahl der von den Arbeitgebern gemeldeten offenen Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit, für die das IAB ja “forscht”, steigt und fällt mit steigender oder sinkender wirtschaftlicher Aktivität. Als Hartz IV 2005 in Kraft trat, lag die Zahl der gemeldeten Stellen auf einem historischen Tiefpunkt, der bis heute nicht wieder erreicht worden ist. Seit 2001/2002 waren die gemeldeten Stellen gesunken. Obwohl also die Nachfrage nach Arbeit aufgrund einer weitgehend schwachen Konjunktur mit zeitweise negativen Wachstumsraten rückläufig war, meinte die damals regierende Koaliton aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Zustimmung der Opposition aus Union und FDP das Problem der Arbeitslosigkeit damit lösen zu können, dass man die Menschen nur dazu zwingen müsse, jede Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen. Das war von Anfang an eine ökonomisch widersinnige, der Situation am Arbeitsmarkt nicht Rechnung tragende und menschlich verwerfliche Politik, die uns den Niedriglohnsektor und wachsende Armut gebracht hat – und die Eurokrise. Die begreift Möller aber – in seiner falschen, einseitig angebotsorientierten Sichtweise nur konsequent – immer noch als “Schuldenkrise”:

“Zum anderen ist aber auch die europäische Schuldenkrise zu nennen, die die deutsche Konjunktur in Mitleidenschaft gezogen hat.”

Hier kommt dann doch einmal die Nachfrage ins Spiel. Natürlich nicht die deutsche Binnennachfrage, sondern die in Mitleidenschaft gezogene Nachfrage aus dem Ausland. Dass das deutsche Lohndumping auf Basis der “Hartz-Reformen” zunächst einmal die Konjunktur der anderen Euro-Länder in Mitleidenschaft gezogen hat und weiterhin zieht, darauf kommt der “Forscher” Möller nicht. Dass dies irgendwann auch die deutsche Konjunktur erreichen würde, war absehbar. Wir haben in vielen Beiträgen versucht, die dieser Entwicklung zugrunde liegenden Zusammenhänge deutlich zu machen.

Anstatt nun aber nach den Ursachen für Arbeitslosigkeit zu forschen und so vielleicht doch noch auf den Zusammenhang von Konjunktur und Arbeitslosigkeit zu stoßen, zieht es das IAB vor, sich im Prognostizieren der neuesten Arbeitsmarktzahlen zu perfektionieren – wogegegen grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden ist – und dafür monatlich 156 Arbeitsagentur-Chefs zu befragen. Die Arbeitsmarktzahlen sind jedoch ohnehin und dankenswerterweise immer am schnellsten als Statistik verfügbar. Nur, um zwei Tage vor deren Veröffentlichung mit einer “Prognose” aufzuwarten, allmonatlich diesen Aufwand zu betreiben, erscheint daher nicht eben dringlich. Umgekehrt wird schon eher ein Schuh draus: Die sehr zeitnah veröffentlichten Arbeitsmarktdaten lassen Rückschlüsse auf die mit großer Zeitverzögerung veröffentlichte Quartals-Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts zu. So berechnen wir seit geraumer Zeit für Deutschland und Frankreich, die zwei größten Volkswirtschaften in der Europäischen Währungsunion, jeden Monat die auf den Arbeitsmarktdaten basierende Spannungszahl, die, wie die Methode zur Berechnung des angemessenen/nicht angemessenen Wirtschaftswachstums, der Ökonom Claus Köhler, Professor emeritus für Volkswirtschaftslehre und vor langer Zeit Mitglied im Sachverständigenrat, entwickelt hat, und versuchen auf deren Grundlage eine Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung zu geben. Aber wer die Arbeitslosigkeit nicht in einem konjunkturellen Zusammenhang begreifen möchte, den muss das natürlich nicht interessieren.

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