Jetzt haben auch noch das RWI-Wirtschaftsforschungsinstitut und die FAZ gegen den Mindestlohn aufgerüstet. Schon die nicht Existenz sichernden 8,50 Euro sind ihnen erwartungsgemäß zu hoch und gefährden Arbeitsplätze. Das alles wäre nicht noch einmal der Rede wert, wenn der “Arbeitsmarktforscher” Jochen Kluve nicht eine Rechnung aufgemacht hätte, mit der er seinen Ruf als “Forscher” zwar nun wirklich nicht rechtfertigen, noch weniger verbessern kann, mit der man aber den Gegenstand durchaus vertiefen kann. Das gleiche gilt für den Ruf der Journalisten Philip Plickert und Dietrich Creutzburg von der FAZ, die sich des Kunststückchens von Kluve in einem Beitrag angenommen haben oder besser das Kunststückchen einfach übernommen haben, passt es offensichtlich doch auch bestens in deren ideologische Denkschablonen. Dazu passt wiederum, dass die “Journalisten” in dem Beitrag Behauptungen aufstellen, die ihnen – und leider nicht nur ihnen – in ihrem ideologischen Kampf gegen den Mindestlohn vielleicht geeignet erscheinen, die sich mit etwas Recherche aber leicht widerlegen lassen.
Das Kunststückchen von Kluve geht so: Man setze die Mindestlöhne verschiedenster Länder ins Verhältnis zum jeweiligen Durchschnittslohn und leite daraus ab, ob ein Mindestlohn hoch bzw. zu hoch ist.
Worüber der RWI-”Arbeitsmarktforscher” Kluve damit allerdings hinwegtäuscht (oder sollte er wirklich so dämlich sein?), und was der Journalist Philip Plickert, der, welch Ironie, auch noch für “Der Volkswirt” bei der FAZ zuständig ist, offensichtlich nicht schnallt oder nicht schnallen will:
Den Mindestlohn von 8,50 ins Verhältnis zum Durchschnittslohn zu setzen und daraus im Vergleich zu Frankreich einen zu hohen Mindestlohn für Deutschland abzuleiten, ist deswegen Blödsinn, weil der Mindestlohn ja gerade deswegen in Deutschland notwendig geworden ist, weil sich der deutsche Durchschnittslohn wegen Hartz IV und anderer Arbeitsmarkt-”Reformen” betont negativ entwickelt hat. In Frankreich aber hat er sich – nicht zuletzt wegen des Mindestlohns dort – positiv entwickelt. Wenn aber die Bezugsgröße – der Durchschnittslohn – in Deutschland zurückgeblieben ist – so wie Kluve und Plickert irgendwie zurückgeblieben sind -, in Frankreich aber nicht, dann hinkt der Vergleich. Und, wie heißt es so schön: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. In Deutschland sind die Reallöhne (Bruttoverdienste minus Inflation) zwischen 1999 und 2007 real um 2,4% gesunken, in Frankreich um 7,2% Prozent gestiegen. Im Zeitraum 1999-2012 respektive in Deutschland +0,3%, in Frankreich +12,4%.
Dass der Mindestlohn in Frankreich im Verhältnis zum Durchschnittslohn niedriger ausfällt, liegt eben auch daran, dass Frankreich den Mindestlohn hat, der immer auch das Lohnniveau insgesamt positiv beeinflusst. In Frankreich ist die Entwicklung des Mindestlohns sogar an die Entwicklung des Durchschnittslohns und an das Inflationsziel 2% gebunden.
Dass der nicht Existenz sichernde 8,50 Euro-Mindestlohn, den die SPD und die Gewerkschaften nun schon seit Jahren (ohne Anpassung an Produktivitätsfortschritt und Inflation) anvisieren, trotz der Differenz bei der Lohnentwicklung zu Frankreich auch nach Kluves Rechnung mit 62 Prozent des Durchschnittslohns kaum über den französischen 60 Prozent liegt, zeigt gerade umgekehrt zu Kluves, Plickarts und Creutzburgs Lesart, dass 8,50 Euro zu niedrig angesetzt sind. Legt man zur Verdeutlichung dieser Aussage, die oben angeführte Differenz bei der Reallohnentwicklung zwischen 1999 und 2012 zugrunde, ließe sich beispielhaft rechnen:
Durchschnittsstundenlohn Deutschland 1999: 10 Euro
Durchschnittsstundenlohn Frankreich 1999: 10 Euro
Durchschnittsstundenlohn Deutschland 2012: 10,03 Euro
Durchschnittsstundenlohn Frankreich 2012: 11,24 Euro
Deutschland Verhältnis 8,50 / Durchschnittsstundenlohn 1999=85%
Frankreich Verhältnis 8,50 / Durchschnittsstundenlohn 1999=85%
Deutschland Verhältnis 8,50 / Durchschnittsstundenlohn 2012=84,75%
Frankreich Verhältnis 8,50 / Durchschnittsstundenlohn 2012=75,62%
Differenz bei Kluve 2 Prozentpunkte (62 Deutschland, 60 Frankreich)
Differenz bei Berücksichtigung unterschiedlicher Reallohnentwicklung: 9,13 Prozentpunkte (84,75 Deutschland, 75,62 Frankreich).
Würde man den deutschen Mindestlohn also um 7,13 Prozentpunkte höher ansetzen, käme ein Mindestlohn von 9,48 Euro für Deutschland heraus. Er läge damit fast gleichauf mit dem derzeit in Frankreich geltenden Mindestlohn von 9,43 Euro.
Dann darf bei Plickert und Creutzburg natürlich auch nicht die Platitüde fehlen, die französische Jugendarbeitslosigkeit liege am hohen Mindestlohn. Was aber ist von einem Journalisten zu halten, der sich nicht einmal die Mühe macht, auch nur das Grundlegenste über das zu recherchieren, über das er schreibt? Hätten Plickert und Creutzburg das getan, wäre sie auch darauf gestoßen, dass der französische Mindestlohn auch Ausnahmen kennt. Ein Blick auf die Seite der französischen Botschaft in Berlin hätte den FAZ-”Journalisten” und dem “Arbeitsmarktforscher” das folgende zum französischen Mindestlohn (SMIC) gesagt:
“Der SMIC beziffert den Stundenlohn, unter dem laut Gesetz niemand beschäftigt werden darf. Ausnahmen sind nur für bestimmte Gruppen zulässig:
Jugendliche unter 18 Jahren mit weniger als sechs Monaten Berufserfahrung,
junge Auszubildende,
Jugendliche, die vor der Berufsausbildung ein Praktikum absolvieren,
Behinderte.” (vgl. dazu auch hier)
So etwas nennt man wohl eine journalistische Bankrotterklärung.
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