Sie ist tatsächlich “Wirtschaftsjournalistin”. Vielleicht sollte Wikipedia aber seinen Eintrag zu Ursula Weidenfeld doch noch einmal überarbeiten. Vorgestern hat sie – nicht zum ersten Mal – mit einem unqualifizierten Zwischenruf ihr Zeilensoll erfüllt. Für den Berliner Tagesspiegel ist selbst das noch Journalismus. Ihr Thema diesmal: der Mindestlohn.
Diejenigen, die Weidenfelds “Journalismus” kennen, wird es kaum überraschen, dass sie den Mindestlohn “falsch” findet. Ihre zynische “Begründung”:
“Wer sagt, dass würdige Arbeit erst da anfängt, wo sie ihren Mann oder ihre Frau ernährt, verkennt ein paar Dinge. Erstens übersieht er den Wert von Arbeit. Arbeit ist an sich würdig. Wer arbeitet, füllt sein Leben mit Sinn. Er arbeitet in gesellschaftlichen Bezügen, steht für die Arbeit regelmäßig auf, trifft Kollegen und Vorgesetzte. Arbeit ist für die meisten Erwachsenen im Land ein zentraler Ort des Austauschs, des Miteinanders, der Teilhabe.”
Wozu da Arbeit auch noch bezahlen (hallo Tagesspiegel, Einsparpotenzial, wir empfehlen eiligst ein Mitarbeitergespräch mit Ursula Weidenfeld!), wird sich der Weidenfeld-Kenner da sogleich fragen. Und tatsächlich trumpft Weidenfeld unmittelbar daran anknüpfend hiermit auf:
“Wenn Arbeit an sich würdig ist, dann ist sie auch dann würdig, wenn sie schlecht bezahlt wird.”
Was aber angemessene Bezahlung ist, bestimmt der Arbeitgeber, unter denen es selbst bei Weidenfeld böse, sittenwidrige Jungens gibt. Aber das soll doch erst einmal der Arbeitnehmer vor dem Gericht beweisen. Weidenfeld:
“Unwürdig verhält sich hier der Arbeitgeber, wenn er den Wert der Arbeit nicht angemessen vergütet. Dafür muss er bestraft werden – durch eine Klage wegen sittenwidriger Beschäftigung, oder dadurch, dass er keine Mitarbeiter mehr findet.”
Beides ist natürlich äußerst realistisch (Vorsicht, Ironie!). Zum einen geht Weidenfeld offensichtlich davon aus, dass, wenn die Arbeitnehmer schon keinen flächendeckenden Mindestlohn bekommen und gefälligst weiter “schlecht bezahlt würdig arbeiten” sollen, sie sich dennoch eine Rechtsschutzversicherung leisten können (sollen) oder aber so oder so in der Lage sind, ungeachtet ihrer prekären Lage, einen Gerichtsprozess durchzustehen. Zum anderen hat Weidenfeld offensichtlicht verschlafen, dass Sanktionen die Menschen zwingen, jede Arbeit ungeachtet der Bezahlung und der Qualifikation anzunehmen, der Arbeitgeber also nicht so schnell in die Verlegenheit kommt, keine Mitarbeiter mehr zu finden.
Das alles in einem so genannten Qualitätsmedium zu lesen, ist schon kaum auszuhalten. Aber Weidenfeld weiß noch mehr (nicht):
“Viele Menschen erwirtschaften in einer Stunde keinen Gegenwert von 8,50 Euro. Zwingt man ihre Arbeitgeber, ein solchen Mindestlohn zu zahlen, vernichtet man ihre Jobs. Oder man drängt legale Arbeit in die Schwarzarbeit.”
Wenn ein Unternehmen aber nicht in der Lage ist, mit Hilfe seiner Mitarbeiter 8,50 Euro zu erwirtschaften, also den Mitarbeiter so produktiv zu beschäftigen, dass er seine Existenz sichern kann (was im Übrigen 8,50 Euro nicht gewährleisten; der Niedriglohnschwellenwert liegt laut dem europäischen Amt für Statistik bei 10,20 Euro in Deutschland), hat am Markt nichts zu suchen und soll, frei nach Adam Smith, eines natürlichen Todes sterben, den der Konkurrenz. Andere, produktivere Unternehmen werden seinen Platz einnehmen und Arbeitsplätze schaffen, die die Existenz und Teilhabe an der Gesellschaft sichern können. Es geht bei der Höhe des Mindestlohns also nicht um den Einzelnen und wieviel er “erwirtschaftet”, was nicht nur Weidenfeld nicht messen kann, sondern um den Lohn, der die Existenz sichert (siehe dazu auch Artikel 23 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Die Entwicklung des Mindestlohns, sollte sich wiederum an der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, die das Statistische Bundesamt im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausweist, und dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank orientieren (vergleiche hierzu: Der Mindestlohn als sinnvolles Instrument gesamtwirtschaftlicher Steuerung). Schwarzarbeit wiederum lässt sich tatsächlich durch angemessene Bestrafung und Kontrollen verhindern bzw. eingrenzen; ähnlich wie die Bekämpfung der Steuerhinterziehung setzt dies natürlich einen personell gut besetzten Staat voraus; das kostet Geld, das durch angemessene Staatseinnahmen gesichert werden sollte. Das alles erschließt sich einem natürlich nur, wenn man sich mit der Sache ernsthaft auseinandersetzt, über die man schreibt, und sei es nur in einem “Zwischenruf”. Tut man dies nicht, läuft man in Gefahr, als verblödeter Interessenvertreter zu enden, was in der Regel immer zum Ergebnis hat, dass die berechtigten und vernünftigen Interessen einer Seite unter den Tisch fallen.
Weidenfeld fragt schließlich – und meint das natürlich rethorisch (oho!):
“Aber kann man sich vorstellen, dass ein Lehrling im ersten Ausbildungsjahr tatsächlich monatlich für rund 1300 Euro Werte schafft, plus Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungen? Nimmt im Ernst jemand an, dass ein schlecht qualifizierter Langzeitarbeitsloser aus dem Stand dieselbe Summe verdienen kann? Was ist mit Behinderten, ganz jungen, ganz alten oder beeinträchtigten Menschen?”
Niemand spricht jedoch davon, dass der Mindestlohn für Auszubildende gelten soll. Frankreich hat Auszubildende beispielsweise von seiner vorbildlichen Mindestlohnregelung ausdrücklich ausgenommen (vergleiche dazu und zu anderen Ausnahmeregelungen hier: Münchau kratzt nicht mal an der Oberfläche). Mit jedem ihrer Sätze belegt Weidenfeld, dass sie sich nicht informiert hat, geschweige denn unvoreingenommen informiert hat. Meinungsjournalismus ist wichtig, um Leserinnen und Lesern in der Informationsfülle der Nachrichten Orientierung und Reibungsfläche zu bieten, um zum Nachdenken anzuregen, auch, um andere Meinungen zu provozieren und so die Auseinandersetzung über einen Gegenstand voranzutreiben. Es sollten jedoch immer fundierte Meinungen sein. Weidenfeld aber führt den Leser mit plumpester Ideologie in die Irre, malt schwarz und erweist damit dem Leser wie dem Journalismus insgesamt einen Bärendienst.
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