Mindestlohn/Werkverträge: Bitte SPD/CDU/CSU, jetzt nicht auf die Arbeitgeber schimpfen, sondern an die eigene Nase fassen

Diese Meldung lässt aufhorchen – obwohl sie nicht überraschen sollte. Denn schließlich haben zuerst die rot-grüne, dann die schwarz-rote und schließlich die schwarz-gelbe Bundesregierung die Arbeitgeber geradezu dahingehend ermutigt und die für sie passgenauen Gesetze wider aller gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Verantwortung entworfen und verabschiedet. “Arbeitgeber erwägen Klage gegen gesetzlichen Mindestlohn”, meldete heute früh der Deutschlandfunk in seinen 7 Uhr Nachrichten.

Weiter heißt es ebenda:

“Die Arbeitgeber erwägen rechtliche Schritte für den Fall, dass sich Union und SPD auf einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn von 8 Euro 50 einigen. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hundt, sagte der “Stuttgarter Zeitung”, eine solche Regelung würde die Tarifautonomie beschädigen. Er fügte hinzu, die Arbeitgeber würden auch dann eine Klage prüfen, falls Union und SPD im Streit um Werkverträge erweiterte Mitspracherechte für Betriebsräte einführten. Diese Einschränkung unternehmerischer Freiheit wäre verfassungsrechtlich bedenklich.”

Nicht Ursache und Wirkung durcheinander bringen

Die Arbeitgeber unterstreichen damit nur einmal mehr, wer in Deutschland der Herr im Hause ist, auch im hohen Hause, wie der Deutsche Bundestag auch genannt wird. Die Tarifautonomie, auf die sie sich berufen und zu deren Verteidiger sie sich jetzt aufspielen, ist vor allem durch die Agenda 2010 beschädigt worden, insbesondere durch Hartz IV. Und damit durch die Politik von den damals regierenden Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen, unter Zustimmung der Union und der FDP. Man muss die Meldung des Deutschlandfunks insoweit korrigieren, dass es nicht “die Arbeitgeber” sind, sondern die Arbeitgeberverbände, die in Wahrheit nur die Interessen der Exportindustrie vertreten, die auf niedrige Löhne setzt, bei Produktivitätssteigerungen und neuen Produkten aber – nicht zuletzt deswegen – schwächelt. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber leidet unter der damit verbundenen Schwächung der Binnennachfrage. Man darf also Ursache und Wirkung nicht durcheinanderbringen bzw. muss diese deutlich machen.

Die Verhandlungsführer der SPD wie der CDU bei den jetzt stattfindenden Koalitionsgesprächen sind allesamt glühende Befürworter der Agenda 2010. Sie haben ihre Behauptungen, die sie zu dieser fehlgeleiteten, menschenfeindlichen, die Arbeitnehmer der Willkür der Arbeitgeber aussetzenden Politik aufgestellt haben, nie hinterfragt oder ernsthaft und ohne Scheuklappen auf ihre Folgen für die Menschen in Deutschland und Europa geprüft (vergleiche hierzu zum Beispiel: Zahlen, Graphiken und Zusammenhänge zur Agenda 2010 [im Abonnement]).

Mindestlohn nur Kurieren am Symptom, nicht Heilung

Und noch eines machen die Arbeitgeberverbände mit ihrer Drohung deutlich: Der Mindestlohn, so wie ihn SPD, Gewerkschaften, CDU/CSU verstehen, und mehr betriebliche Mitspracherechte bei Werkverträgen, sind nur Pflaster auf Wunden, auf die eigentlich ein ordentlicher Verband gehört, vor allem aber eine Medizin, die nicht an den Krankheitssymptomen ansetzt, sondern an den Krankheitsursachen (vergleiche hierzu zum Beispiel: Der Mindestlohn als sinnvolles Instrument gesamtwirtschaftlicher Steuerung [im Abonnement]).

Die Krankheitsursachen liegen aber in der Gesetzgebung begründet. Wenn es den Arbeitgeberverbänden tatsächlich darum ginge, die Tarifautomonie nicht weiter zu beschädigen, müssten sie als erstes die sofortige Rücknahme der Hartz-IV-Sanktionspraxis fordern, die jeden Arbeitnehmer dazu zwingt, jede Arbeit anzunehmen, unabhängig von Lohn und Berufsqualifikation, die jeden Arbeitnehmer dazu zwingt, zig Bewerbungen, egal wie aussichtslos, zu schreiben und und und. Schuld an der Arbeitslosigkeit, so ist die ganze Agenda 2010 angelegt, ist immer der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitslose. Massiver konnten SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Union und FDP die Tarifautonomie nicht beschädigen. Deswegen ist es auch nur konsequent, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel dem Vorwärts vor nicht allzu langer Zeit sagte: “Die SPD war nie die Partei der Arbeitslosen.” Dass die Gewerkschaften mit dem müden und selbstgefälligen Sommer an der Spitze des DGB bis heute nicht viel massiver dagegen Stellung bezogen haben, ja selbst dieser Ideologie bis zu einem gewissen Grad gefolgt sind und immer noch folgen, ist ein Skandal für sich, der genausowenig von den Gewerkschaften aufgearbeitet worden ist, wie die Gesetzgebung von der SPD. Bündnis 90/Die Grünen haben immerhin in ihrem Wahlprogramm die Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen gefordert. Das ist allerdings immer noch eine schwache Leistung. Auch sie haben ihre Politik bis heute nicht ehrlich an ihren Ergebnissen gemessen.

Ich würde eher verhungern, als mich dem auszusetzen

Ich kenne Arbeitslose persönlich, die hoch engagiert und hoch qualifiziert sind, Persönlichkeiten, interessante Lebensläufe haben, Berufserfahrung, und doch haben sie nur Absage auf Absage auf hunderte, nicht übertrieben, hunderte Bewerbungen, erhalten; wenn es einmal mit einer Stelle geklappt hat, stellte sich sehr schnell heraus, dass es pure Ausbeutungsverhältnisse waren. Die Arbeitgeber mussten dazu nur die geltende Gesetzeslage anwenden. Die Politik müsste diesen Menschen nur einmal zuhören, um zu merken, wie nachhaltig und radikal sie den Arbeitsmarkt in einen Sklavenmarkt verwandelt hat. Ich selbst, das darf ich schreiben, weil ich danach handel, würde eher verhungern, als mich dieser Maschinerie auszusetzen. Und ich bin mir sicher, Tausende tun es mir gleich – und halten so die Arbeitslosenzahlen noch niedriger, als sie in der ohnehin schön gefärbten Statistik der Bundesagentur für Arbeit sind. Dabei würde ich mit erstklassigen Arbeitszeugnissen, 1er Diplomen und viel Berufserfahrung immer noch privilegiert behandelt werden von der so genannten Bundesagentur für Arbeit, die per Gesetz doch nur eine Bundesagentur für Arbeitgeber ist. Jedem halbswegs wachen Beobachter fällt beim ersten Hineingehen in diese Behörde auf, was für Unterschiede dort gemacht werden. Ich saß einmal so einem “Berater” für hochqualifizierte, leicht in den Arbeitsmarkt integrierbare Arbeitnehmer gegenüber. Ein völlig durchgeknallter Managertyp, der offensichtlich völlig vergessen hatte, dass er in einer staatlichen Behörde arbeitet und, wie soll man sagen, geradezu berauscht vom Markt- und Managementgeschehen war. Ich ärgere mich noch, diesen irren Typen nicht mitgeschnitten zu haben. Ein netter und sicherlich gar nicht einmal Schlechtes meinender, leider aber völlig Gehirn gewaschener höherer und sicherlich hoch dotierter Angestellter. Wenn es mir nicht zu anstrengend gewesen wäre, hätte ich dort einmal den Walraff gespielt. Aber wozu? Geändert hätte dies nichts. Wer aber will jenem Managertypus in der Bundesagentur seinen Habitus verübeln? Man sollte dies genauso wenig tun, wie die Arbeitgeberverbände für ihre jetzige Intervention beim Mindestlohn und bei Werkverträgen zu verurteilen. Es ist die Politik, die diesem Managertypus und diesen Arbeitgeberverbänden politisches Oberwasser gegeben hat. Wer darüber hinweg sieht, kann zu keiner nachhaltigen Lösung der ökonomischen und sozialen Probleme gelangen, mit der eben die Gesetzgebung seit der Agenda 2010 das Land und Europa überzogen hat und weiterhin, jetzt im europäischen Maßstab, überzieht.

Eine Aufgabe für die Opposition

Die Opposition im Deutschen Bundestag müsste das den Menschen deutlich machen und der herannahenden großen Koalition vorhalten. Eine Rücknahme der verfassungswidrigen Sanktionspraxis und eine Aufstockung von Hartz IV auf die Höhe, die zusammen mit den anderen Leistungen, mindestens der Höhe eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde entspricht, würde auf Anhieb wieder ein gesundes Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt herstellen. Natürlich dürften die ergänzenden Leistungen zu Hartz IV (Miete, Heizkosten etc.) auch nicht länger der Willkür der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit ausgesetzt sein, sondern müssten selbstverständlich den gegebenen Lebensstandard, das gegebene Wohnverhältnis absichern.

Wie verschiedenste Indikatoren zeigen, so zum Beispiel der Niedriglohnschwellenwert des europäischen Amts für Statistik, müsste ein Mindestlohn über 10,20 Euro liegen, um mehr als die bloße Existenz zu sichern. Man könnte sich auch an Frankreich orientieren, wo die gesamtwirtschaftliche Produktivität auf vergleichbarem Niveau liegt wie in Deutschland, und 9,43 Euro als Ausgangshöhe nehmen. Diese wäre dann Jahr für Jahr um die Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, die die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamts ausweist, und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank anzupassen. Dann hätte Deutschland nicht nur seinen Arbeitsmarkt ein gutes Stück weit wieder in Ordnung gebracht und die Tarifautonomie gestärkt bzw. ins Gleichgewicht gebracht, sondern auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, die von Deutschland ausgehenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte abzubauen und das Wachstum in Deutschland und Europa nachhaltig zu stärken. Unter diesen Voraussetzungen wird es auch kein Problem sein, die unsinnige Schuldenbremse einzuhalten, ohne Wirtschaft und Gesellschaft weiter in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Opposition, die Politik muss also nicht einmal so radikal sein, wie die Arbeitgeberverbände, sie muss nur die gesetzlichen Grundlagen schaffen, die für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen, indem sie den Arbeitsmarkt wieder funktionsfähig macht.

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