Martin Greive, “US-Wirtschaftskorrespondent” der “Welt”, hat erneut bewiesen, dass er der “Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik” der “Welt”, Dorothea Siems, das Wasser reichen kann. Die Wasserqualität lässt allerdings zu wünschen übrig. Konnten wir erst vor zwei Wochen einen Artikel Greives zum Ausgangspunkt für eine genauere Analyse der deutschen Staatsfinanzen nehmen, so sprudelte er gestern Nacht die folgende Überschrift heraus: “Euro-Zone hakt die Krise schon im nächsten Jahr ab – Die Schuldenländer im Süden Europas schaffen die Konjunkturwende. Spanien, Italien und Portugal wachsen wieder. Ein wesentlicher Grund: eine auf Vollbeschäftigung zusteuernde deutsche Volkswirtschaft“. Die Quellen, aus denen er schöpft, sind allerdings ein weiteres Mal vergiftet.
Wie die “führenden Wirtschaftsforschungsinstitute”, auf deren gerade veröffentlichtes Herbstgutachten sich Greive brav beruft (wir haben wegen Niveauunterschreitung nicht über das Gutachten berichtet), wagt Greive gleich zu Beginn den großen Sprung nach vorn, ins Jahr 2014, um seinen Optimismus zu unterfüttern. 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum erwartet demnach die Europäische Währungsunion (EWU). Das ist für ihn schon eine dolle Sache, reicht ihm aber nicht. Greive guckt daher auch schnell noch ins Jahr 2015. Da könnte die EWU schon um 1,5 Prozent wachsen. Und anstatt einmal selbst nachzudenken, zieht er dafür die Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young heran und ist ganz stolz, dass seiner Redaktion deren Konjunkturprognose schon vorliegt. Das nenn´ ich Qualitätsjournalismus. Ernst & Young meint, “der Aufstieg könnte ´sehr stark´ werden” und liegt damit, wie Greive feststellt “ungefähr auf Linie der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute.”
Auf Linie liegt damit auch Greive. Dass “die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute” ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr, die gerade erst ein halbes Jahr zurücklag, mit der Veröffentlichung ihres neuen Gutachtens schon wieder nach unten korrigieren mussten, ist ihm vielleicht ja auch nur entgangen. Jedenfalls schaut Greive auch mit den “führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten” lieber gleich ins nächste Jahr. Und wovon soll der deutsche Aufschwung laut der Europäischen Zentralbank (EZB), die ebenfalls in der Vergangenheit wohl noch immer zu optimistisch in die Zukunft geschaut hat, getragen werden? Na, dreimal dürfen Sie raten. “Getragen wird der deutsche Aufschwung laut der Studie von einer ´deutlich anziehenden Auslandsnachfrage und einer steigenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen´. So sollen die Exporte im Jahr 2014 um 3,5 Prozent zulegen, die lange Zeit schwächelnden Unternehmensinvestitionen um 4,2 Prozent.” Diese Zahlen müssen wir unbedingt mit denen im nächsten Jahr erscheinenden realen Zahlen vergleichen.
Mit Hilfe einiger Bankvolkswirte gelangt Greive dann noch zu der Einschätzung: “Vollbeschäftigung in greifbarer Nähe.” Zum Glück droht aber keine “Lohninflation”! “Die zunehmende Einwanderung qualifizierter junger Menschen aus Euro-Krisenländer trage mit dazu bei, eine größere Lohninflation zu verhindern…”
Ein Problem sieht Greive indes schon. Aber das liegt ja zum Glück nicht bei uns, und es hat selbstverständlich auch gar nichts mit uns zu tun: “Arbeitsmarkt in Krisenländer weiter ein Problem”, überschreibt Greive seinen letzten Absatz und weiß: “Trotz der wieder besser laufenden Konjunktur wird die Zahl der Jobsuchenden in der Euro-Zone im kommenden Jahr auf einen neuen Rekord steigen: auf 19,8 Millionen. Damit läge die Arbeitslosigkeit um 70 Prozent höher als im Jahr 2007.” Und Greive weiß noch etwas, zusammen mit dem leider aus Steuergeldern finanzierten Ökonomen Clemens Fuest, der sich aber noch ein paar Groschen als Mitglied im “wissenschaftlichen Beirat” der – jetzt fallen Sie bitte nicht vom Stuhl – Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young dazu verdient. Denken Sie jetzt aber bitte nicht, dass sich die Beiden um die hohe Arbeitslosigkeit und den sozialen Frieden sorgen. Weit gefehlt! Dies ist ihre Hauptsorge: “Die hohe Zahl der Jobsuchenden könnte verheerende Folgen haben: ´Die hohe Arbeitslosigkeit birgt die Gefahr, dass die politische Unterstützung für die Politik der Haushaltskonsolidierung und der Strukturreformen in Europa erodiert´, sagt Clemens Fuest, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von EY. ´Wenn das geschieht, würde die prognostizierte konjunkturelle Entwicklung gefährdet.”
Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung kann Fuest allerdings nicht meinen. Die wurde nämlich seit nunmehr rund fünf Jahren durch “die Politik der Haushaltskonsolidierung und die Strukturreformen erodiert”. Ökonomen wie Fuest sind in meinen Augen eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie. Für Journalisten wie Greive scheint mir wiederum die Einschätzung des großen Balzac den Nagel auf den hohlen Kopf zu treffen. Der hat Zeitungen schon zu seiner Zeit als “Bordelle des Denkens” bezeichnet.
Abschließend noch zwei Graphiken über angemessenes Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit in der EWU und in Deutschland (Hintergrund hierzu hier und hier). Auch in Deutschland war das Wachstum in den zurückliegenden drei Quartalen nicht angemessen, um die Arbeitslosigkeit zu senken.
————————————————————-
Sie können helfen, unseren Leserkreis zu erweitern!
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
————————————————————-
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|