US-Finanzministerium liest Deutschland Leviten – sie werden auf taube Ohren stoßen
wall street journal

Das US-Finanzministerium hat in seinem gestern veröffentlichten, halbjährlichen Bericht über internationale Wirtschafts- und Wechselkurspolitk an den Kongress Klartext zur deutschen Wirtschaftspolitik geschrieben. Allein, wie schon zuvor bei ähnlichen Interventionen der G20, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die noch geschäftsführende Bundesregierung und zukünftige Koalition sich demgegenüber erneut taub stellen wird. Denn das, was das US-Finanzministerium völlig zurecht thematisiert und moniert, ist weder bei SPD noch bei der Union Thema oder gar Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Über letzteren schwebt ein wirtschaftspolitisches Ozonloch, das allerdings nicht wie in der Natur den Klimawandel befördert, sondern den Stillstand.

Im Kapitel zum Euroraum leitet das US-Finanzministerium zu Deutschland ein: “…growth in Germany still continues to rely on positive net exports, which continues to delay the euro area’s external adjustment process…” (Das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist weiterhin abhängig von Außenhandelsüberschüssen, die den außenwirtschaftlichen Anpassungsprozess im Euroraum – gemeint sind die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Währungsunion [EWU] – verzögern. Übersetzung, Florian Mahler [T.H.])

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Unmittelbar daran anknüpfend kommt das US-Finanzministerium zu einer betont nüchternen Konjunktureinschätzung für die EWU. Die ökonomischen Bedingungen blieben ungleich; die Südländer des Euroraums steckten insgesamt weiter in der Rezession; dort, wo es eine leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Aktivität gegeben hätte, wie in Irland und Portugal, sei dies auf vorübergehende Faktoren wie das Wetter zurückzuführen; Griechenland, Italien und Spanien würden weiter schrumpfen, wenn auch mit abnehmendem Tempo. Die Erholung in der EWU würde deutlich hinter der in anderen Wirtschaftsräumen hinterherhinken. Impulse von der Fiskalpolitik blieben negativ. Weil die real verfügbaren Einkommen weiter unter Druck stünden, würde auch der private Konsum, “die bei weitem wichtigste Nachfragekomponente”, gedrückt. Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Zuwächse bei den Reallöhnen und höhere Steuern würden die wirtschaftliche Erholung belasten (sicherlich nicht gemeint sind bei den höheren Steuern die in Deutschland diskutierten und nicht die Nachfrage drückenden Vermögens- und Spitzensteuersätze, weil die davon betroffenen Personen und Haushalte eine vergleichsweis geringe Konsumquote ausweisen).

Und dann folgt die entscheidende Analyse in Richtung Deutschland, die hätte von uns geschrieben sein können und bei uns in vielen Beiträgen seit langer Zeit tatsächlich auch niedergeschrieben worden ist.

Zwar hätten die Länder mit Leistungsbilanzdefiziten in der EWU diese drastisch reduziert, die Überschussländer aber nicht. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss betrüge mittlerweile über sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Nettoexporte würde mit einem Drittel einen signifikanten Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten, was deutlich mache, dass von der inländischen Entwicklung in Deutschland kein Beitrag zum Ausgleich der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte erfolge. Um den Anpassungsprozess zu erleichtern, müssten auch die Länder mit hohen Überschüssen wie Deutschland Maßnahmen ergreifen, um die inländische Nachfrage in die Höhe zu treiben und so die Außenhandelsüberschüsse zu reduzieren. Der nominale Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands würde den Chinas übertreffen (auch darauf haben wir bereits vor Monaten hingewiesen). Deutschlands Position habe die EWU an den Rand der Deflation geführt, wie die Weltwirtschaft insgesamt. Kräftigere Binnennachfrage in den Überschussländern, “besonders in Deutschland”, würde helfen, einen dauerhaften Ausgleich der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EWU zu erleichtern. Das Kontroll-System der EWU zu makroökonomischen Ungleichgewichten, so das US-Finanzministerium, wäre “asymmetrisch”, weil es Ländern wie Deutschland mit hohen und dauerhaften Leistungsbilanzüberschüssen nicht genügen Aufmerksamkeit einräume. Auch darauf haben wir in Beiträgen hingewiesen. Der Report problematisiert darüber hinaus mit Blick auf die Konjunktur auch die Haushalts-Konsolidierungspolitik in der EWU.

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Man darf sich doch fast sicher sein, dass diese gleichermaßen fundierte wie prägnante Analyse in der Monokultur des deutschen Blätterwaldes untergehen wird. Im Deutschlandfunk hat es der Report in die 6-Uhr-Nachrichten geschafft. Danach war er kein Thema mehr. Die Aufnahmefähigkeit von SPD, CDU/CSU ist ähnlich gering einzuschätzen und gering zu schätzen. Sollte ich mich hierin irren, wäre dies ein erfreulicher Irrtum.

Dass den Amerikanern das Thema auf den Nägeln brennt dürfte auch mit dem eigenen Handelsbilanzungleichgewicht mit Deutschland zu tun haben, das wir auch seit längerem problematisieren und abgebildet haben, zuletzt hier: Statistisches Bundesamt/Außenhandel Deutschland – USA: Köstliche Ablenkung

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