Heute hat der Wirtschaftskommissar der EU-Kommission, Olli Rehn, die Herbstprognose der EU-Kommission vorgestellt. Das Wachstum soll erneut schlechter ausfallen, als zuvor prognostiziert. Wieder einmal werden Europa und die übrige Welt auf die Zukunft vertröstet. Die Wirtschaftsprognose der EU-Kommission, so Olli Rehn in seiner Vorstellung einleitend, feiert heute ihren 50. Geburtstag. Nimmt man ihre Prognosequalität und die reale wirtschaftliche und soziale Situation in Europa, gibt es nichts zu feiern.
In ihrer Herbstprognose, fast auf den Tag genau vor einem Jahr, prognostizierte die EU-Kommission für das Jahr 2013 noch 0,4 Prozent Wachstum. In der Winterprognose aus dem Februar 2013 waren es dann bereits nur noch 0,1 Prozent. In der Frühjahrsprognose im Mai waren es schließlich nur noch -0,1 Prozent. Jetzt sollen es in 2013 -0,4 Prozent werden. Damit würde das Minus aus dem Vorjahr von -0,3 Prozent noch unterschritten. Schon 0,4 Prozent, hätte sich die Prognose bewahrheitet, wären völlig ungeeignet gewesen, die Arbeitslosigkeit zu senken (vergleiche hierzu: Eurokrise: Europa ignoriert Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung). Das stört die EU-Kommission nicht. Dafür hatte Rehn auch heute nur ein “Wie dem auch sei” und ein “Weiter so” übrig: “However, the on-going necessary adjustment process will continue to weigh on growth for some time.” (Wie dem auch sei, der laufende Anpassungsprozess wird noch für eine Weile das Wachstum belasten.)
Dass der Wirtschaftskommissar jedwede rationale Reflektion vermissen lässt, zeigt unter anderem diese Aussage von Rehn in seiner heutigen Rede:
“The third point implies that the external environment is somewhat less supportive to EU growth than foreseen in our spring forecast.
Economic activity outside the EU is now expected to grow at 3½% in 2013, clearly below normal average, accelerating to 4% in 2014 and 4¼% in 2015.”
Das muss man sich einmal vorstellen. Da stellt sich dieser Kerl hin und erzählt, dass das Wachstum außerhalb der EU mit 3,5 Prozent klar unter dem normalen Durchschnitt liegt. Dass die von ihm für notwendig befundenen “Anpassungsprozesse” das zweite Jahr in Folge ein negatives Wachstum in Europa zeitigen, bringt Rehn aber immer noch nicht zum Nachdenken. Er sollte sich als Wirtschaftsminister für die angehende große Koalition in Deutschland bewerben. Mit seiner Einstellung würde er bestimmt mit Kusshand genommen.
In gleicher Manier nimmt Rehn auf das Wirtschaftswachstum und die Politik in den USA Bezug:
“First, while growth in the US is expected to accelerate over the forecast horizon, with the elevated level of public debt at 105% of GDP, navigating around the next fiscal cliff in February 2014 will require very decisive action by US policymakers to avoid another train wreck that could damage growth both in the U.S. and global economy.
Moreover, the eventual phasing-out of monetary stimulus, likely to start in the U.S: in line with the Fed’s revised forward guidance, will call for careful calibration and communication to avoid ramifications to growth.”
Der Wirtschaftskommissar, der mit seiner Ideologie einen ganzen Kontinent ökonomisch und sozial hinrichtet, und trotz negativer Wachstumsraten meint, einfach so weitermachen zu müssen, stellt sich also hin und sagt in Richtung USA, dass die dortige Situation von den dortigen Politikern “entschiedene Maßnahmen” verlangten, um negative Folgen der Haushaltskrise auf das Wirtschaftswachstum zu vermeiden. Ähnlich dann zur Geldpolitik in den USA. Fehlt nur noch, dass er hinzugefügt hätte: Tut gefälligst etwas, sonst geht unsere Rechnung für Europa nicht auf, dass wir jetzt alle in Europa über Exportüberschüsse wachsen, so wie es das großartige Deutschland uns so erfolgreich vorgemacht hat. Dass die Eurozone diesen Weg eingeschlagen hat, zeigt die jüngere Entwicklung des Exportüberschusses des Euroraums. Dass das nicht funktioniert, zeigt eben das Wirtschaftswachstum und die zunehmende Kritik aus der übrigen Welt, wie zuletzt seitens des US-Finanzministeriums.
Für Europa aber sieht Rehn überall Zuversicht (confidence). Er meint damit natürlich nicht die Zuversicht der Millionen Arbeitslosen und Gestrandeten, die Opfer seiner Politik, sondern einen ökonomischen Gefühlsindikator (Economic Sentiment Indicator; ein Stimmungsindikator wie der Ifo-Index) und die Stimmung an den Finanzmärkten.
Zwar spricht Rehn erstaunlicherweise auch die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte an. Keineswegs ist der schriftlichen Fassung seiner Rede jedoch zu entnehmen, dass Deutschland seine Binnennachfrage stärken soll, wie der Deutschlandfunk in seinen Nachrichten meldet:
“Dienstag, 05. November 2013 17:00 Uhr
Herbstprognose: Euro-Zone wächst im nächsten Jahr um 1,1 Prozent
Die EU-Kommission erwartet für die Euro-Zone im nächsten Jahr ein Wirtschafts-Wachstum von 1,1 Prozent. Bei der Vorstellung der Herbstprognose sagte Wirtschaftskommissar Rehn in Brüssel, es gebe Anzeichen, dass man einen Wendepunkt erreicht habe. Problematisch bleibe allerdings die hohe Arbeitslosigkeit. Für das laufende Jahr gehe die Kommission noch von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent aus. Rehn rief die Bundesregierung auf, mehr Geld in die Infrastruktur zu investieren. Deutschland müsse die Binnennachfrage ankurbeln. Zuletzt hatten die USA kritisiert, die deutsche Wirtschaft sei zu stark auf den Export fixiert.”
Rehn verlässt sich vielmehr, wie unsere heimischen Wirtschaftsauguren, darauf, dass die Binnennachfrage schon anspringen wird. Von der Aufforderung an Deutschland, in die Infrastruktur zu investieren, ist nichts zu lesen. Vielleicht ist es Rehn ja bei der Rede unbeabsichtigt herausgerutscht. Es gilt das gesprochene Wort steht vorsichtshalber auf dem Dokument. Hier die beiden betreffenden Passagen aus seiner Rede:
“On the left hand side, you can see the so-called “surplus” countries (Austria, Belgium, Finland, Germany, Luxembourg, Netherlands). While net exports were contributing most in the low growth years (2012 and still 2013), the contribution from domestic demand to growth is increasing over time.”
“Germany and Austria have subdued growth this year due to a slow beginning, but are accelerating quite solidly next year. Unemployment is low, and in 2014 and 2015 domestic demand is expected to be the main growth driver in both countries.”
Die Rede Rehns zeigt hervorragend, wenn auch auf betont negative Weise, wie Europa von einer skrupellosen, ideologisch geleiteten Elite zerstört wird. Die negativen Wachstumsaussichten bestätigen im Übrigen unsere Ausführungen zu der am Donnerstag von der EZB zu treffenden Leitzinsentscheidung.
Quelle: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-13-877_en.htm
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