Der Bundespräsident – ich schreibe bewusst nicht unser Bundespräsident – hat heute auf dem Arbeitgebertag der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände eine Rede gehalten, in der er auf seine Zeit nach der Wiedervereinigung als “Neuling in der Marktwirtschaft” zurückblickt.
“Ich erinnere mich noch gut. Als Neuling in der Marktwirtschaft – zunächst sehr vom Aufbau Ost eingenommen – erlebte ich die erste bundesweite Krisensituation ab Mitte der 90er Jahre. Das war die Zeit, als ´Reformstau´ zum Wort des Jahres avancierte, als man Deutschland zum ´kranken Mann Europas´ erklärte und als in den Talkshows der Schrecken einer galoppierenden Globalisierung und das Ende der heimischen Produktion heraufbeschworen wurden und als nicht wenige schlaue Menschen uns Deutschen rieten, die angeblich überkommene ´old economy´ gehen zu lassen und ganz auf Dienstleistungen, auf ´new economy´ zu setzen.
Und heute? Deutschland ist noch immer ein Industrieland, sogar ein deutlich effizienteres. Dem Wettbewerbsdruck folgte in den meisten Branchen nicht das Ende der industriellen Produktion, sondern der Anfang eines konsequenten Modernisierungsprozesses, für den uns das Ausland großen Respekt zollt.”
Was Gauck da so leutselig fabuliert, hört sich für jeden einigermaßen informierten Menschen natürlich an, als ob da jemand verkehrte Welt spielt. Leider sind nicht zuletzt wegen eines solchen Bundespräsidenten nicht so viele Menschen einigermaßen informiert, wie einigermaßen nicht informiert sind. Weder stellt Gauck kritisch heraus, was denn den “konsequenten Modernisierungsprozess” charakterisierte, noch hat der Bundespräsident (!) offenbar wahrgenommen, wie Deutschland vom Ausland wahrgenommen wird. Das schlägt sich unter anderem auch in diesem unglaublichen Satz nieder:
“Aus der Sicht einer Spanierin oder eines Franzosen hätten wir jetzt durchaus Anlass für eine Festrede.”
Das ist gespenstisch, wenn Gauck damit auch nur das Tüpfelchen auf dem I – das I steht in diesem Fall, freundlich ausgedrückt, für Ignoranz – setzt. Sieht die große Generalsekretärin der SPD, um nur eine weitere Politikerin herauszugreifen, die sich in der Eurokrise besonders daneben benommen hat, doch auch “” hinsichtlich der deutschen Exportüberschüsse. Da das Thema in den Koalitionsverhandlungen auch keine Rolle zu spielen scheint, muss man davon ausgehen, dass Gauck zumindest die Berliner Hochpolitik gebührend repräsentiert.
Wäre er nicht nach wie vor “ein Neuling in der Marktwirtschaft” – eine Eigenschaft, die übrigens nicht an die Herkunft aus den “neuen Ländern” gebunden ist, sondern an das Interesse, das man dieser Wirtschaftsform entgegenbringt, also daran, welche Neugierde man an den Tag legt, um sich über dieses System zu informieren – würde er einen “konsequenten Modernisierungsprozess” mit dem Investitionsverhalten der Unternehmen in Verbindung bringen. Denn ohne Investitionen keine neuen Prozess- und Produktinnovationen. Als Präsident des Volkes würde es ihn darüber hinaus ungemein interessieren, wie es der Bevölkerung im “konsequenten Modernisierungsprozess” ergangen ist. Hätte der Bundespräsident, dem es sicherlich nicht an Ressourcen mangelt, sich also entsprechend informiert, hätte er heute eine ganz andere Rede vor den Arbeitgebern gehalten: Wie konnte es nur passieren, dass die Investitionen so in den Keller gingen, die Unternehmen über Jahre von ihrer Substanz lebten und nur auf eine Karte, nämlich niedrige Löhne setzten? Hätte er gar noch den zeitlichen Zusammenhang dieser Entwicklung mit der Auflösung des vermeintlichen “Reformstaus” hergestellt, wäre ihm vielleicht sogar der Zusammenhang von Ursache (Agenda 2010) und Wirkung (Niedriglohnsektor und Lohndumping gegenüber dem Ausland) aufgefallen (siehe dazu zuletzt hier: Exportüberschuss/Binnennachfrage: Investitionen fallen nicht vom Himmel). Dann würde ihm wahrscheinlich auch einleuchten, warum das Ausland ganz und gar nicht gut auf Deutschland zu sprechen ist und gar keinen Grund hat, uns dafür, dass wir die Marktwirtschaft mit Füßen treten, auch noch Respekt zu zollen.
Stattdessen pinselt Gauck dieses Bild, das, falls es auf Naivität basiert, ebenso unentschuldbar ist, wie im Fall der Unwissenheit. Denn lange genug Zeit hatte der Bundespräsident seit der Wende schließlich, um sich schlau zu machen, und nicht nur er. Wie gesagt, die Marktwirtschaft zu begreifen, hängt nicht an der geographischen Herkunft, sondern an der Neugierde und der Lust einen Gegenstand zu hinterfragen. Mit diesen Eigenschaften scheint Gauck nicht eben üppig ausgestattet zu sein.
“Dass uns die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt gelungen ist, war ökonomisch wie sozial ein Glücksfall, keine Frage. Aber es war kein Zufall. Diesen Umschwung verdanken wir einer Allianz der Entschlossenen, zu der maßgeblich auch Sie beigetragen haben, verehrte Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie waren es nämlich, die in Krisenzeiten als Modernisierer zusammen mit der Politik Wesentliches geleistet haben, das den Standort Deutschland heute wettbewerbsfähig und vital macht. Die Politik konnte mit ihren Reformen einen Rahmen setzen, das Bild darin – das haben Sie mitgestaltet, meine Damen und Herren.”
Gauck palavert von “einer vernünftigen, maßvollen Lohnpolitik”, weiß aber gar nicht, was das ist. Denn er meint das “Bündnis für Arbeit” habe für selbige gesorgt. Das Bündnis für Arbeit aber bewegte sich in der Marktwirtschaft nicht minder als Neuling, indem es Löhne für Beschäftigung reservieren wollte, also dem einzelunternehmerischen Verständnis bzw. Unverständnis von der Marktwirtschaft folgte, zugunsten von “Lohnzurückhaltung” Arbeitsplätze zu schaffen. Vernünftig und maßvoll ist aber eine Lohnpolitik nur dann, wenn sie der Produktivitätsentwicklung und dem Inflationsziel in der Gesamtwirtschaft Rechnung trägt und sie zum Maß aller Lohnabschlüsse macht. Davon hat Gauck aber sicherlich noch nie etwas gehört. Er müsste sich dafür wohl mit ganz anderen Leuten umgeben. Das wäre ihm sicherlich zu unbequem. So geht´s doch auch. Machen die anderen doch schließlich auch nicht anders, von Sigmar Gabriel über Angela Merkel bis hin, ja eben bis hin zu den Arbeitgeberverbänden.
Und Ruhe ist es dann anscheinend auch, die Gauck sucht. Es ist allerdings eine Friedhofsruhe, bei der am Ende nur einige wenige auf den Gräbern tanzen:
“Unsere soziale Marktwirtschaft lebt von einer Balance, die es regelmäßig neu zu finden und zu verhandeln gilt. Mir ist bewusst, dass dies nicht immer sofort gelingt. Der entscheidende Punkt ist: Die Sozialpartnerschaft hat sich bewährt, gerade auch in Krisen. Wir haben uns an Konfliktlinien nicht zerrieben. Vielmehr haben Konflikte und Konsenssuche uns vorangebracht. Was deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer in mehr als 60 Jahren trainiert und zur verlässlichen Routine entwickelt haben, das macht uns handlungsfähig gerade dann, wenn in anderen Ländern endlose Stellungskämpfe oder branchenweite Streiks das öffentliche Leben zum Erliegen bringen.”
Wer ist “uns”, wen meint Gauck damit bloß? Dieser Mann hat keine Tuchfühlung zum Volk. Er geht wahrscheinlich auch nicht mal bei Lidl einkaufen und hält wahrscheinlich auch nicht Hof für Hartz IV Empfänger. Das wäre auch gar nicht notwendig. Er müsste sich auch hier wieder nur informieren, interessieren, hinterfragen. Mit all dem ist unser salbungsvoll daherfaselnde Bundespräsident nicht gesegnet. Er stellt sich damit selbst ein denkbar schlechtes Zeugnis als Bundespräsident aus.
Statt dessen wünscht der Bundespräsident sich Ruhe, nichts als Ruhe und nochmals Ruhe:
“Untergangsszenarien gehören zur Meinungsfreiheit. Aber wir sollten nicht zulassen, dass sie sich zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre der Überforderung verfestigen, ein Ohnmachtsgefühl kultivieren und zum Rückzug ins Private führen.”
Keine Rede liefert aber besseren Stoff für “Untergangsszenarien”, als die des Bundespräsidenten. Er sagt, er wolle keine Festrede halten. Keiner aber malt sich die Welt wohl derzeit schöner als sie ist, als der Bundespräsident.
————————————————————-
Sie können helfen, unseren Leserkreis zu erweitern!
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
————————————————————-
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|