Am 13. November, nur einen Tag vor Beginn des SPD-Parteitags in Leipzig, klang es auf Spiegel online noch durchaus vertraut (kursive Hervorhebung T.H.): “Im jüngsten Wahltrend von ´Stern´ und RTL rutschen die Sozialdemokraten vor dem Parteitag ab und liegen unter ihrem Bundestagswahlergebnis. Eine Mehrheit der Befragten traut demnach Parteichef Sigmar Gabriel nicht zu, dass er die SPD aus der Krise führt. Innerhalb der Partei wird jedoch mit einem guten Ergebnis für den Vorsitzenden, seine Stellvertreter sowie Generalsekretärin Andrea Nahles gerechnet. Es gehe auch darum, der Führung ein starkes Mandat für den Rest der Koalitionsverhandlungen zu geben, heißt es.” Nichts kann vielleicht deutlicher das beeindruckende Signal zum Ausdruck bringen, das die Abstimmungen auf dem Leipziger Parteitag erklingen ließen. Ist die SPD tatsächlich aus ihrem politischen Wachkoma erwacht? SPD-Führung – von Agenda-Gabriel und Agenda-Scholz über Beliebig-Stöß bis Linke-Mattheis und Linke-Barthel – hört die Signale, möchte man angesichts jener Abstimmungsergebnisse singen, bedeuten sie doch möglicherweise eine Zäsur zum langjährigen und höchst ungesunden, ja geradezu preußischen Unterordnungsdrang der Delegierten unter die SPD-Führung, und zwar vom rechten bis zum linken Spektrum der Partei.
War “ein starkes Mandat” seit Schröder etwa nicht immer die inhaltsleere Drohgebärde, um jede kritische Auseinandersetzung zu unterbinden? Und haben sich dieser Partei-Doktrin nicht noch immer auch alle vermeintlichen SPD-Linken allzu bereitwillig untergeordnet, wie zuletzt auch wieder Hilde Mattheis mit ihrer Zustimmung zu Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten? Wie gut stünde sie jetzt da, wäre sie ihrer nach außen aufgetragenen Position auch im Abstimmungsverhalten gefolgt. Ich habe dies schon vor langer Zeit kritisiert bzw. angemahnt und bin dabei regelmäßig auch auf viel Zustimmung von SPD-Mitgliedern gestoßen. Sprach das Abstimmungsverhalten von nach außen als links auftretender Genossen zu Hartz IV oder der Teilprivatisierung der Rente doch eine eindeutige Sprache. Von Leuten wie Jan Stöß oder Ralf Stegner gar nicht zu reden.
Dabei wäre gegen eine Zustimmung zu einer großen Koalition in meinen Augen gar nichts einzuwenden, würde es der SPD tatsächlich gelingen, einen Politikwechsel einzuläuten. Allein aber die, die dort von der SPD am Koalitionsverhandlungstisch sitzen, versprechen doch gar keinen solchen. Gabriel, Steinmeier, Oppermann, Kraft, Schwesig sind allesamt Agenda-Anhänger und noch dazu ohne wirkliches politisches Persönlichkeitsprofil. Gabriel versucht es der Basis als Erfolg zu verkaufen, dass die SPD jetzt bei Rüstungsexporten Kleinwaffen (Maschinenpistolen sind auch “Kleinwaffen”) kennzeichnen lassen will. Das klingt auf seiner facebook-Seite dann so (Eintrag vom 5. November): “Ich habe heute dafür plädiert, neben der Kontrolle von klassischen Rüstungsexporten (hier setzt sich die SPD für eine sehr viel restriktivere Politik und mehr Transparenz ein) endlich auch den Export von Kleinwaffen in den Blick zu nehmen. Vor uns liegen noch viele große Brocken.” Soll das ein Wechsel von der Politik sein, unter der Deutschland wohlgemerkt unter SPD-Führung zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen ist? Der Mindestlohn von 8,50 Euro, der noch nicht einmal in trockenen Tüchern ist, ist schon jetzt nicht Existenz sichernd. SPD und Gewerkschaften haben es über Jahre versäumt ihn an den Verteilungsspielraum anzupassen. Vieles spricht zudem dafür, dass sie ihn von vornherein zu niedrig angesetzt haben. Das Renten-”Konzept” der SPD setzt immer noch auf private Vorsorge und ist völlig ungeeignet, Altersarmut wirksam zu bekämpfen. Hartz IV und die menschenunwürdige Sanktionspraxis sind nicht einmal Thema bei den Koalitionsverhandlungen. Eine verantwortliche Europapolitik ist nicht im Ansatz erkennbar. Nicht einmal die vermeintliche Öffnung zur Linken verdient diese Bezeichnung. Beinhaltet sie doch, dass sich ausschließlich Die Linke bewegen soll. Zu einer Koalition gehören aber immer mindestens zwei. Steht Die Linke zudem einer friedlichen Außenpolitik im Sinne Willy Brandts nicht wesentlich näher als die SPD? Natürlich tut sie das. Ist ihre Mindestlohnforderung nicht wesentlich näher an der Existenzsicherung als die der SPD? Natürlich ist sie das. Ist deren Rentenkonzept nicht wesentlich “wetterfester” gegen Altersarmut als das der SPD? Natürlich ist es das.
Das alles birgt – positiv gewendet – ein großes Potenzial für die SPD und Die Linke, auch für die Grünen. Würden sich SPD und Grüne in dieser Frage bloß nicht immer wieder durch fehlende politische Reife Schach matt setzen und von den einschlägigen Medien vor sich hertreiben lassen. Deswegen: Weiter so, SPD-Delegierte und vor allem SPD-Basis. Und: Anders so, SPD-Führung: Ran an einen runden Tisch mit der Linken und den Grünen. Das muss gar nicht jetzt schon für eine Regierungskoalition sein, die, wenn sie überhaupt möglich wäre, auf einer sehr unsicheren Mehrheit fußen würde. Aber durch eine wirklich offene, den Menschen zugewandte Politikausrichtung würden es SPD, Grüne und Die Linke bei der nächsten Bundestagswahl mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Mehrheit bringen. Deswegen: Ran an einen runden Tisch, SPD, Grüne und Linke.
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