Ukraine/EU/Hannes Swoboda/Deutschlandfunk: Glückwunsch Dirk Müller – er entlarvt mit einer Frage die ganze Doppelzüngigkeit der “Europa-Politik”

Es soll im Folgenden nicht um eine Bewertung der Politik der Ukraine gehen. Das maß ich mir nicht an, denn darüber weiß ich zu wenig – nicht zuletzt aufgrund einer mir äußerst einseitig erscheinenden Berichterstattung in den deutschen Medien. Es soll vielmehr um ein Musterbeispiel für eine verfehlte Europa-Politik, ja verfehlte Diplomatie gehen, die diesen Namen so gar nicht recht zu verdienen scheint – und um ein Musterbeispiel im positivsten Sinne, ein Stück hervorragenden Journalismus.

Wer heute das Wort Ukraine vernimmt, assoziiert damit wohl unvermeidlich Julia Timoschenko. Die deutschen Medien haben sie nicht nur als das Opfer politischer Willkür stilisiert, sie haben auch die weitere Annäherung der Ukraine an die EU an die Person Timoschenko geknüpft. Ein Medium, das diesen Hype schon frühzeitig hinterfragte, waren die NachDenkSeiten (siehe zum Beispiel ). Heute hat der Deutschlandfunk-Moderator Dirk Müller hierzu den Fraktionschef der Sozialdemokraten im europäischen Parlament befragt. Swoboda ist ein häufiger Gast beim Deutschlandfunk und uns nicht zum ersten Mal mit äußerst zwiespältigen Aussagen und Ansätzen aufgefallen (siehe hierzu hier).

Gestern hat sich das ukrainische Parlament entschieden, sich vorerst nicht länger der EU, sondern Russland weiter bzw. wieder anzunähern. Dafür dürfte nicht zuletzt der politische Druck mit verantwortlich zeichnen, den die EU in Bezug auf die Freilassung Timoschenkos gegen die ukrainische Regierung aufgebaut hat. Dirk Müller nimmt darauf gleich einleitend Bezug:

“Ein Ultimatum lassen wir uns einfach nicht gefallen! Schluss, Punkt und Ende.´ Das Signal aus Kiew könnte nicht deutlicher sein. Die Regierung bricht die Verhandlungen mit der Europäischen Union ab, Verhandlungen, die beide Seiten näherbringen sollten, die Rechte und Pflichten und Vorstellungen auf einen Nenner bringen sollten, ein Abkommen für das, was beide gemeinsam politisch und wirtschaftlich auf die Beine stellen wollten.

Ganz darüber stand und steht der Fall Julia Timoschenko und auch der Fall Wladimir Putin. Julia Timoschenko wird nicht freigelassen, dafür kommt Wladimir Putin nun zum Zuge. Die Ukraine rückt ab vom Westen, rückt ab von Europa, von der Europäischen Union.”

Und Swoboda malt gleich in großen Tönen schwarz/weiß. Die gute EU, ein Garant für Menschenrechte und überhaupt alles Gute in der Welt auf der einen Seite, der böse Russe auf der anderen:

“Ich glaube nicht, dass das ein großes Glück ist, wenn die Ukraine in Richtung Russland marschiert, weil natürlich unser wirtschaftlicher Einfluss, aber vor allem auch der Einfluss auf Rechtsstaatlichkeit, auf Menschenrechte verloren geht, denn Putin kümmert sich nicht um diese Dinge. Er will einfach seine Macht ausdehnen, das genügt ihm, dafür zahlt er vielleicht etwas. Aber das ist sicherlich eine Niederlage auch für die Interessen der Europäischen Union.”

Müller hakt an dieser Stelle schon hervorragend nach:

Heißt das, alle, die nicht in Richtung Brüssel tendieren, sind auf dem Holzweg?”

Allein schon diese Frage lässt Swoboda sich in seinem (Selbst)Gerechtigkeitswahn sogleich ordentlich weiter verrennen:

“Das würde ich nicht so sagen. Aber alle, die deswegen nicht nach Brüssel tendieren, weil Russland sie erpresst, die sind auf dem Holzweg, und weil sie sich erpressen lassen. Wir sehen das ja auch in anderen Fällen. Dort wo Putin sagt, ihr müsst entweder mir folgen oder nach Brüssel, das ist die Alternative, da sehen wir ja, dass der Einfluss, der negative Einfluss und vor allem auch die Möglichkeit, hier etwas für die Menschen zu tun, natürlich schwindet. Nochmals: Putin hat ja nicht ein Interesse, die Lebensbedingungen in der Ukraine zu verändern, die Wirtschaft zu modernisieren, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Das ist ja nicht in Putins wesentlichem Interesse.”

Kein Wort über den Druck, den Europa in den vergangenen Jahren mit der Osterweiterung der NATO zum Beispiel in Richtung Russland aufgebaut hat, alles natürlich nur, um “etwas für die Menschen zu tun” und “die Lebensbedingungen in der Ukraine zu verändern, die Wirtschaft zu modernisieren, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken.” Das ist einfach lächerlich, nein, viel schlimmer, es ist realitätsfremd und verlogen. Am meisten wird sicherlich aber nicht nur mir als Zuhörer aufgestoßen sein, dass Swoboda im Fall Russland das Wort Erpressung bemüht, im Fall der EU in Sachen Timoschenko aber nicht. Und genau hier steigt Müller noch einmal ein, womit er er sich als hellhöriger und mutiger Journalist wohltuend hervorhebt. Zunächst ist es jedoch noch Wert, die folgende Passage herauszugreifen, die unsere Bewertung/Kritik oben noch einmal unterstreicht:

Müller: Warum ist das denn, wenn wir das aus der Brüsseler Sicht einmal sehen, aus der europäischen Sicht, offenbar auch so schwierig, als Europäer zu sagen, na ja, die haben sich jetzt eben anders entschieden, aus gutem Grund, wie auch immer, sie haben dagegen argumentiert. Warum kann man das nicht akzeptieren?

Swoboda: Natürlich müssen wir das akzeptieren. Das ist keine Frage. Aber wir sehen ja, dass Russland sein Interessensgebiet ausweitet, und wir sind ja gekommen mit einem Versprechen, den Menschen die Lebensbedingungen zu verändern und vor allem Demokratie zu unterstützen. Wenn das ein Land nicht akzeptiert, dann müssen wir das akzeptieren, selbstverständlich. Wir werden ja nicht alle Beziehungen abbrechen, sondern wir werden nur sagen, ihr habt eine Entscheidung getroffen, die müsst ihr jetzt durchstehen.”

Die journalistische Krönung aber ist nun diese Frage, auf die man als Zuhörer förmlich gebrannt hat:

Müller: Und ein europäisches Ultimatum im Falle Julia Timoschenko ist keine Erpressung?”

Swoboda windet sich. Müller noch einmal:

Müller: Die Frage war ja, war das auch eine Art von Erpressung.

Swoboda: Da will ich nicht sagen, das war eine Erpressung. Es war eine der Bedingungen für den Beitritt, übertrieben, sich auf die eine Frage zu konzentrieren…”

Man atmet auf als Zuhörer. Diese politische, mit zweierlei Maß messende Lusche ist gestellt! Lesen Sie das ganze Interview. In meinen Augen ein Krimi und ein Beispiel für intelligenten, nicht hörigen, selbstbewussten Journalismus. Es gibt sie anscheinend doch noch, die “vierte Gewalt”.

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