Kundige Leserinnen und Leser wissen es längst, die Wirtschaftsredaktion der Welt ist ein Jungbrunnen schräger Einschätzungen zur Wirtschaftslage. Nachdem gestern schon Tobias Kaiser die vom Statistischen Bundesamt präsentierten Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt 2013 gehörig missverstanden hat und die Produktivitätsentwicklung – die ein Teil der Lohnstückkostenentwicklung ist – zur Lohnstückkostenentwicklung in Beziehung setzte (Tobias Kaiser: “So sind die Lohnstückkosten der Unternehmen 2013 viel stärker gestiegen als die Produktivität. Während die Lohnstückkosten um gut zwei Prozent stiegen, nahm die Produktivität pro Arbeitsstunde dagegen nur minimal um 0,2 Prozent zu.”), legt Anja Ettel zu diesem Thema heute noch einen oben drauf. Ettel nennt sich selbst . Ihre Berichterstattung allerdings war für uns schon einmal Anlass zu fragen: Miss Makro oder Miss Tarot? Ihr heutiger Bericht über die Exportüberschüsse wirft wiederum die Frage auf: Miss Makro oder Miss Verstanden? Missverstanden hat sie diesmal nämlich den Außenhandel, die gestern präsentierten Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt und, weil es von da an wohl kein Halten mehr für sie gab, obendrein noch gleich die ganze Eurokrise. Kurzum: Ihr Beitrag ist Weltklasse.
Ettel schlägt gleich zu Beginn den großen Bogen: Die US-Kritik an den deutschen Exportüberschüssen, die Mitverantwortung Deutschlands an der Eurokrise, die für Ettel selbstverständlich eine Schuldenkrise ist: alles starker Tobak!
Und worauf stützt sich diese großartige “Wirtschaftsjournalistin” dabei? Auf ein Jahr! Nämlich die gestern präsentierten Zahlen zum deutschen Bruttoinlandsprodukt 2013.
Ettel:
“Das Gegenteil ist der Fall, wie der Blick auf die jüngsten Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013 zeigt. Das moderate Wachstum von gerade einmal 0,5 Prozent kam im vergangenen Jahr nur deshalb zustande, weil sich die privaten Haushalte ihre Konsumfreude wie schon in den Vorjahren auch weiterhin nicht verderben ließen.”
Sehen wir einmal großzügig darüber hinweg, dass 2013 das moderate Wachstum 0,4 Prozent und nicht 0,5 Prozent betrug. 0,5 Prozent ist der Beitrag der privaten Konsumausgaben zum realen BIP. Die privaten Konsumausgaben sind dabei preisbereinigt um 0,9 Prozent gestiegen. Wir kommen auf den privaten Konsum später noch einmal zurück.
Entscheidend ist an dieser Stelle, dass Ettel mit ihrem Bezug auf das Jahr 2013 gründlich missverstanden hat, dass Wettbewerbsvorteile und -nachteile in der Regel nicht über Nacht, auch nicht oder zumindest äußerst selten innerhalb eines Jahres entstehen, sondern dass sie sich über einen langen Zeitraum aufbauen. Dazu muss man aber wohl zunächst einmal begreifen, dass die Eurokrise eben eine Währungskrise und keine Staatsschuldenkrise war und ist. Jüngere historische Vorläufer waren die Asienkrise oder auch das Ausscheren Großbritanniens und Italiens aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus. In jenen Fällen wurden die Inflations- bzw. Wettbewerbsunterschiede, die sich im Rahmen von festen Wechselkursanbindungen bzw. engen Währungsbandbreiten aufgebaut hatten und denen unterschiedliche Lohnstückkostenentwicklungen zugrundelagen, durch Wechselkursanpassungen (Abwertungen der Länder mit höheren Inflationsraten) ausgeglichen. Die Länder wurden so wieder wettbewerbsfähig, die Leistungsbilanzungleichgewichte begannen sich wieder auszugleichen, und das “Spiel” konnte von neuem beginnen. Da das in einem gemeinsamen Währungssystems nicht geht, haben wir eine Eurokrise. Die versucht die EU-Kommission mit besonderer Unterstützung der Bundesregierung durch “Abwertung” der Löhne in den so genannten Krisenländern zu überwinden, was die davon betroffenen Länder in eine tiefe Rezession bzw. Depression gestürzt und der Europäischen Währungsunion (EWU) als Ganzes aller Voraussicht nach auch 2013 ein negatives Wachstum beschert hat.
Womit wir auch bereits beim deutschen Außenhandel wären.
Ettel:
“Hingegen erwies sich ausgerechnet der viel diskutierte Außenbeitrag, also die Differenz zwischen Exporten und Importen, in diesem Jahr als gehöriger Bremsklotz für das deutsche BIP. Während Rezession und wirtschaftliche Stagnation bei vielen europäischen Handelspartnern die deutschen Exporteure Absatzzahlen und Aufträge kosteten, zog die Nachfrage nach Importware hierzulande weiter an.”
Was Miss Verstanden Ettel versäumt hat zu untersuchen, so viel sei hier verraten, ist, wie es denn preisbereinigt zu diesem negativen Außenbeitrag gekommen ist (siehe hierzu hier und hier [im Abonnement]). Hätte sie dies unternommen, wäre ihr vielleicht auch nicht so unüberlegt aus der Feder geflossen, dass “die Nachfrage nach Importware hierzulande weiter an(zog)”. Diese Arbeit möchte ich ihr jedoch nicht abnehmen bzw. wenn nur für ein Abonnement von Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung.
Interessant an Ettels Beitrag ist darüber hinaus die folgende, von uns schon häufig kritisierte, aber nicht totzukriegende Idiotie:
“Das allerdings liegt nicht an der Kritik aus dem Ausland, sondern schlicht daran, dass bei vielen deutschen Privathaushalten das Geld dank Rekordbeschäftigung und Lohnsteigerungen deutlich lockerer in der Tasche sitzt als früher. Ausgerechnet der private Konsum, einst tatsächlich die Schwachstelle der deutschen Wirtschaft, hat sich längst als Konjunkturstütze etabliert.”
Sind aber 0,5 Prozent Wachstumsbeitrag der privaten Konsumausgaben wirklich Ausdruck von “Rekordbeschäftigung” und “deutlich lockerer in der Tasche sitzenden Geldes”? Das ist lächerlich. Der von Ettel heroisierte private Konsum hat nicht einmal gereicht, um die Unternehmen dazu zu bewegen, ihre Bruttoanlageinvestitionen aufrecht zu erhalten. Sie sind das zweite Jahr in Folge gesunken.
Ein Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus zeigt darüber hinaus, dass es auch im internationalen Vergleich in Deutschland mit der “Konsumfreude” nicht so weit her ist.
Das Statistische Bundesamt verweist in den gestern präsentierten Unterlagen, die ja wohl auch Ettel vorlagen, darauf:
“Positive Zuwachsraten in den ersten drei Quartalen des Jahres 2013 lassen sich für die Warenausfuhren in die USA (+ 0,2 %) beobachten…Die Wareneinfuhren aus den Drittstaaten gingen hingegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück (-4,7 %). ”
Könnte das evtl. etwas mit der relativ schwachen Entwicklung der deutschen Konsumausgaben zusammenhängen? Dann aber wäre der Beitrag von Miss Verstanden Ettel ja von der Überschrift an gelesen falsch. Dabei wollte sie doch genau das Gegenteil erreichen. Hat sie ihren Artikel doch mit erhobenen Zeigefinger Richtung USA überschrieben: “USA schätzen deutsche Wirtschaft völlig falsch ein.” Does that ring a bell?
Ettel spinnt ihren Faden jedoch verdrossen weiter, weil doch schließlich nicht sein kann, was nicht sein darf, und schlägt ihre Kapriolen dabei immer höher (kursive Hervorhebung, T.H.):
“Daran dürfte sich auch in diesem Jahr nichts ändern, zumal die Erwartungen für die Wirtschaft insgesamt deutlich besser sind als noch vor einem Jahr. Die Weltwirtschaft wächst solide, Europa hat sich – übrigens auch dank der Konjunkturlok Deutschland – aus der tiefen Rezession herausgekämpft, die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bleiben hervorragend, während die Preisgefahren gering sind.
Die Chancen stehen damit gut, dass die Deutschen in diesem Jahr erneut viel konsumieren werden und die Importe womöglich ein weiteres Mal deutlich stärker wachsen als die Exporte.”
Das durfte natürlich nicht fehlen: die “Konjunkturlok Deutschland”. Kann aber eine Volkswirtschaft “Konjunkturlok” sein, wenn, wie das Statistische Bundesamt zuletzt für den Zeitraum Januar bis November festgestellt hat, die Importe aus der Eurozone gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,4 Prozent gesunken sind, die aus Drittländern um 4,5 Prozent? Kann eine Volkswirtschaft “Konjunkturlok” sein, deren Importe auch nach den gestern vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Zahlen, auf die sich Ettel bezieht, nominal gesunken sind und nur aufgrund stark gefallener Importpreise real gestiegen sind? Dann ist es wohl auch falsch, dass Europa sich “dank der Konjunkturlok Deutschland aus der tiefen Rezession herausgekämpft hat.” Das Wirtschaftswachstum der Eurozone ist wie oben bereits erwähnt aller Voraussicht nach auch in 2013 gegenüber Vorjahr negativ ausgefallen, so zumindest die Prognose der EU-Kommission. Ein erneuter internationaler Vergleich mit den bereits oben ausgewiesenen Ländern zeigt darüber hinaus, dass 2013 alle abgebildeten Volkswirtschaften stärker gewachsen sind als die deutsche. Da gleichzeitg die deutschen Importe aus Drittländern zurückgegangen sind, kann ihnen dabei Deutschland schwerlich geholfen haben. Vielleicht war es ja unter anderem der stärkere private Konsum!
Und “hervorragend” sind die Aussichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt keineswegs – trotz des beängstigenden Fachkräftemangels in der Welt-Wirtschaftsredaktion. Da kann man erst einmal nur hoffen, dass sich die Einschätzung eines anziehenden Wirtschaftswachstums, das sich seit Mai vergangenen Jahres langsam abzeichnet, bestätigt. Denn das Wachstum der zurückliegenden Quartale war nicht angemessen, die Arbeitslosigkeit zu senken, sie ist vielmehr gestiegen, und die Kluft zwischen Arbeitsnachfrage (offene Stellen) und Arbeitsangebot (Arbeitslose) ist riesig; sie war im Dezember 2013 größer als im Dezember 2012. Die “Konjunkturlok” Deutschland ist also nicht nur keine für die Eurozone, sie ist auch keine für den heimischen Arbeitsmarkt. Miss Makro aber hat sich ihren neuen Titel Miss Verstanden redlich verdient.
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Ihr Florian Mahler
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