Übersetzung des am 23. Januar 2014 in der Pariser Online-Zeitung Médiapart.fr. erschienenen Artikels “A Bruxelles, la France agit contre les énergies renouvelables”. Die Autorin Jade Lindgaard stimmte ausdrücklich der Veröffentlichung in “Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung” zu. Von Jade Lindgaard ist, ebenfalls von Gerhard Kilper ins Deutsche übersetzt, bereits ihr Text “Experten der EU-Kommission plädieren für mehr erneuerbare Energien“ in Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung erschienen.
Frankreich arbeitete in Brüssel hinter den Kulissen – trotz offiziell gegenteiliger Verlautbarungen, die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien politisch durchsetzen zu wollen – darauf hin, den EU-Mitgliedsstaaten keine obligatorischen Zielvorgaben für erneuerbare Energien vorzuschreiben. Für Greenpeace ein klarer Bruch der bisher verfolgten französischen Politik.
Die EU-Klimapolitik-Strategie ähnelt inzwischen immer mehr einer höchst gefährlichen Gleichgewichtsbalance. Am Mittwoch (22.01.2014) veröffentlichte die EU-Kommission Empfehlungen zu ihrem Klimapaket 2030. Die im Paket enthaltenen drei Direktiven zur Niedrighaltung der Kohlenstoffbelastung sehen eine Absenkung der Treibhausgasemissionen um 40% (im Vergleich zu 1990), sowie einen anzustrebenden erneuerbaren Energien-Anteil am Energiemix von 27% – jedoch keine energetischen Effizienzziele – vor.
Die Zielvorgabe 40%-iger Absenkung der Treibhausgasemissionen fällt zur Zufriedenheit Frankreichs als UNO-Klima-Konferenz-Gastgeber des Jahres 2015 aus. Frankreich hatte befürchtet, man gebe sich der Lächerlichkeit preis, wenn man sich in Brüssel nur auf ein 35%-iges Absenkungsziel hätte einigen können, wie das ursprünglich vorgesehen war (die zwischenstaatliche Expertengruppe zur Klimaentwicklung Giec hatte demgegenüber eine 80%-ige Treibhausgasemissionsabsenkung der Industrieländer bis 2050 gefordert!).
Das Fehlen konkreter Vorgaben zur Energie-Einsparung kommt den Wünschen vieler Länder entgegen. Denn diese Vorgaben können nur schwer (Verabschiedung sowie Durchsetzung einzelstaatlicher Regulierungen) umgesetzt werden und genauso schwer ist es, mit solchen Vorgaben bei den Wählern zuhause zu punkten.
Noch aufschlussreicher und ernüchternder ist jedoch die Diskussion um den Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix. Zwar schlägt Brüssel bis 2030 einen obligatorischen Anteil erneuerbarer Energien von 27% für alle EU-Mitgliedsstaaten vor, doch auf dem Weg dahin wird den einzelnen Ländern kein genauer definierter Kompass vorgegeben. Während im aktuell geltenden EU-Klima-Energiepaket 2020 noch jeder EU-Mitgliedsstaat dazu verpflichtet war, vorgegebene erneuerbare Energien-Minimum-Prozentsätze in seiner Energieproduktion einzuhalten (Frankreich bis 2020 23%), wird das im nachfolgenden Jahrzehnt nicht mehr der Fall sein.
Was soll das für ein Zielvorgaben-”Wurf” sein, wenn 28 Staaten eine gemeinsame Verpflichtung (ohne konkrete einzelstaatliche Umsetzungsvorgabe) zu teilen haben? Bezeichnenderweise weist eine Stimme aus EU-Krisen auf die “Notwendigkeit” von mehr “Flexibilität der Staaten” hin, denn Flexibilität (also Marktdogma) garantiere Effizienz! In Frankreich jedenfalls äußerte sich der Verband erneuerbarer Energien (SER) sehr besorgt über diese EU-Empfehlung.
Und welche Position nimmt die Regierung in Paris ein? Noch im Dezember 2013 unterschrieb der französische Umweltminister Philippe Martin zusammen mit mehreren europäischen Kollegen ein Schriftstück, in dem “eine Zielvorgabe für erneuerbare Energien für das Jahr 2030″ gefordert wurde. Und am 22. Januar 2014 freute sich Martin über “den politischen Willen, ein gemeinsames Ziel für den erneuerbaren Energien-Anteil im EU-Energiemix bis 2030 vorzugeben” bzw. über “die ehrgeizigen EU-Ambitionen” für die Erneuerbaren.
Frankreich als Vorreiter und Meister in Sachen Windkraft, Solarenergie und Biomasse? Tatsächlich arbeitete Frankreich in den letzten Tagen darauf hin, dass Zielvorgaben für den Ausbau erneuerbarer Energien für die einzelnen Mitgliedsländer nicht obligatorisch werden. Cyrille Cormier von Greenpeace-France meinte, “Frankreich machte klar Lobbying dafür, dass keine zwingenden Zielvorgaben auf Staatsebene (zum Ausbau erneuerbarer Energien) vereinbart werden. Frankreich hat seine bisher abwartende Haltung verlassen und ist offensiv geworden, ein klarer Bruch mit der bisher verfolgten Politik”.
Auch Nicolas Hulot, der Gesandte des französischen Präsidenten für den Welt-Umwelt- und Klimaschutz, räumte ein, “… das ist zum Teil richtig. Französische Position war bisher – um eine Kohärenz mit dem Ziel der Treibhausgas-Reduktion herzustellen – in einem zweiten Schritt spezifische Zielvorgaben über den Energiemix der einzelnen europäischen Partner zu bekommen”. In den vergangenen Tagen unterschrieb und verbreitete der gleiche Hulot eine Petition der Nicht-Regierungsorganisation Avaaz, in der eine 50%-ige Treibhausgas-Reduktion bis 2030 verlangt wird.
In der unmittelbaren Umgebung des französischen Umweltministers Philippe Martin macht sich inzwischen Verlegenheit breit (und man verteidigt sich mit den Worten): “Wahr ist, dass wir im gegebenen Kontext und unter Berücksichtigung europäischer Balancenotwendigkeiten den Treibhausgasausstoß stärker reduziert haben (als die ursprünglich vorgesehenen 35%). Es bleibt, nach dem Subsidaritätsprinzip, für Frankreich jetzt die Aufgabe, ehrgeizige Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien vorzugeben. Daran arbeiten wir.”
Zu Beginn verfolgte Frankreich eine Zwei-Schritt-Strategie: zuerst ein gute Zielvorgabe für die Treibhausgase vereinbaren, dann für die erneuerbaren Energien. “Das war eine unhaltbare Position, jedenfalls nicht offensiv genug gegen allein in nationaler Eigenregie bestimmte Zielvorstellungen”, beschreibt Célia Gautier vom Netzwerk “Aktion Klima” (RAC) die französische Haltung.
In der Zwischenzeit allerdings konnte der Lobbyismus seine ganze Kraft entfalten: ursprünglich von Großbritannien ausgehend, entwickelte sich eine Strömung gegen obligatorische nationale Ziele, der sich die Energiekonzerne anschlossen (GDF Suez, E-ON, RWE, ENI, Enel, Iberdrola …). In privaten Gesprächen verstecken französische Regierungsberater auch nicht mehr die Ambitionen ihrer Regierung, zusätzlich zu den beiden im Bau befindlichen französischen (Areva-)Atomreaktoren in Großbritannien, auch neue Atomreaktoranlagen nach Polen und Tschechien zu exportieren. Diese Geschäftsperspektiven würden natürlich automatisch durch einen obligatorisch verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien eingeschränkt werden.
Celia Gautier bedauert: “Das ist ein klarer Rückschritt im Vergleich zum aktuellen Stand, in dem die einzelnen Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, über ihre Energiepolitik Rechenschaft abzulegen und diese von der Kommission prüfen zu lassen.” Für Gautier “zeigt die französischen Regierung bei der Energiewende ein unseriöses Verhalten.”
Die vorliegenden Kommissionsvorschläge müssen noch vom EU-Parlament und von den Staatschefs der Mitgliedsländer gebilligt werden. Diese werden am 20. und 21. März 2014 zu ihrem EU- Energiegipfel zusammen kommen.
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