Unter dem Titel “Europa als Problemlöser” hat die SPD-Bundestagsfraktion darauf hingewiesen, dass der Deutsche Bundestag am 17. Januar über das Arbeitsprogramm der Europäischen Union und die Herausforderungen der Europapolitik debattiert hat. Das Ergebnis ist einigermaßen erschreckend, wenn auch nicht überraschend.
“Europa ist eine Wertegemeinschaft”, “Kooperationsrechte der Parlamente in Europa stärken”, “Kommunen mit Armutszuwanderung nicht allein lassen” lauten die Überschriften unter denen ausnahmslos Allgemeinplätze wie diese verbreitet werden:
“Neben den notwendigen Strukturreformen gehörten dazu die Schaffung der Bankenunion, Maßnahmen für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung sowie vor allem gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Roth betonte, dass Europa jedoch mehr sei als ein gemeinsamer Binnenmarkt und eine Währungsunion: ´Europa ist vor allem eine Wertegemeinschaft.”
Für die über 19 Millionen Arbeitslosen in der Europäischen Währungsunion und die über 26 Millionen Arbeitslosen in der EU insgesamt dürfte Europa aber nunmehr schon seit einigen Jahren vor allem eine Gemeinschaft der Hoffnungslosen sein. Insofern heißt es im ersten Satz der SPD ja ganz richtig: “Europa müsse zeigen, dass es die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein lasse. Deshalb müsse Europa wieder vor dem Hintergrund der andauernden Krise als Problemlöser wahrgenommen werden.” Wenn man dies jedoch ernst nimmt, kann man danach doch nicht gleich solche Phrasen dreschen.
Sind die “Strukturreformen”, die den von Arbeitslosigkeit am meisten betroffenen Ländern von der EU-Kommission aufgezwungenen wurden, etwa nicht die Hauptursache für die hohe Arbeitslosigkeit? Die Statistik spricht hier eine eindeutige Sprache: Die Arbeitslosigkeit schnellte erst nach dem Beginn der “Strukturreformen” so richtig in die Höhe und verfestigte sich in Folge bis heute auf unerträglich hohem Niveau. Allein mit diesem Wort – “Strukturreformen” – bewusst oder unbewusst die drastischen sozialen Kürzungen, Lohnkürzungen und Massenentlassungen zu verschleiern ist nur dazu geeignet zu zeigen, dass man die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten eben doch allein lässt. Die “Strukturreformen” trotz ihrer verheerenden Auswirkungen auf breite Bevölkerungsschichten für “notwendig” zu erachten, obwohl Ländern wie die USA und Japan mit ihrer entgegengesetzten Politik deutlich bessere Ergebnisse erzielen, unterstreicht dies noch und belegt darüber hinaus, dass kein wirkliches Interesse daran besteht, die Ursachen für dieses größte aller Probleme, die Massenarbeitslosigkeit, zu untersuchen. Wer aber keine Ursachenanalyse betreibt, kann niemals als Problemlöser auftreten. “Gegenüber November 2012 erhöhte sich die Zahl der
Arbeitslosen in der EU28 um 278 000 und im Euroraum um 452 000″, berichtete das Europäische Amt für Statistik, Eurostat, zuletzt am 8. Januar 2014. In Deutschland hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Dezember 2013 gegenüber Dezember 2012 um 32.962 erhöht, ist den zuletzt veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu entnehmen.
“Schäfer lobte vor dem Hintergrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland das Vorhaben, ein Deutsch-Griechisches Jugendwerk zu gründen. Ein soziales Europa müsse der Jugend Chancen und Perspektiven geben.”
Solche Initiativen sind natürlich immer zu begrüßen. Es kann doch aber wirklich nicht ernst gemeint sein, damit das Problem der Massenarbeitslosigkeit in Griechenland und anderswo in Europa adressieren zu wollen. Das Dumme: Es ist ernst gemeint.
“Die neu gewählte SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt stellte vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über Armutszuwanderung aus Südosteuropa klar, dass die Freizügigkeit in Europa eine der tragenden Säulen des gemeinsamen Binnenmarktes sei.”
Wiederum ist es richtig, den Stammtischparolen vieler Regierungspolitiker, vor allem in der CSU, entsprechend zu begegnen (siehe hierzu zuletzt Ursula Engelen-Kefer). Verteidigen lassen aber wird sich die Freizügigkeit nur, wenn man die Ursachen für die “Armutswanderung” analysiert. Dass das bis heute nicht geschehen ist, dafür spricht, dass die SPD ihrem eigenen Wortlaut nach immer noch von den “notwendigen Strukturreformen” schreibt, “neben denen” dann auch noch andere politische Maßnahmen ergriffen werden sollen. Dass letztere nicht zuletzt wegen der Strukturreformen so dringlich geworden sind, das ist offensichtlich von der SPD bis heute nicht analysiert, geschweige denn ist darüber gestritten worden. Das wiederum dürfte nicht losgelöst davon zu verstehen sein, dass die SPD seit der Agenda 2010 Arbeitsmarktprobleme und andere wirtschaftspolitische Aufgabenstellungen auch hierzulande vornehmlich als “strukturelle Probleme” begreift. Mit verheerenden Ergebnissen auch in Deutschland. Ohne dies zu untersuchen, ist es wiederum unmöglich, die Rolle Deutschlands in der Eurokrise zu analysieren und einzuordnen. Dazu passt schließlich auch diese Aussage:
“Europa müsse sozialer, demokratischer und solidarischer werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssten mehr Positives über Europa erfahren, um sich mit der Europäischen Idee zu identifizieren. Er forderte deshalb eine stärkere Kommunikation zu Europa und mit den Bürgerinnen und Bürgern über Europa ein.”
Wer würde dem ersten Satz nicht zustimmen wollen? Dann aber folgt wieder eine Einordnung, die wir sehr gut aus Zeiten der Agenda 2010 kennen: Die Politik hat jenen Worten nach zu urteilen ein “Vermittlungsproblem”. Die Schlussfolgerung: Man müsse eben mehr und besser kommunizieren. Dass das, was kommuniziert werden soll, möglicherweise falsch ist, und es sich deswegen so schwer vermitteln lässt, wird dabei aus den Augen verloren. Mit dieser Herangehensweise hat man schon in Deutschland mehr Probleme geschaffen als gelöst (Niedriglohnsektor, Armutsrenten, niedrige Investitionen, niedriges Wirtschaftswachstum, unfairer Wettbewerb, Einkommens- und Vermögenskonzentration usw.). Dasselbe droht nicht Europa – es ist längst Realität. Nur in viel konzentrierterer Form.
Will die SPD endlich als Problemlöser auftreten, muss sie zur Ursachenanalyse übergehen. Sie ist spät dran. Hoffentlich nicht zu spät.
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Ihr Florian Mahler
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