Austeritätspolitik in Griechenland: Politisch verordneter Mord an der Bevölkerung – auch und gerade von deutschen Bundestagsabgeordneten

Wir haben es seit langem und immer wieder thematisiert: Die Folgen der gerade auch von deutschen Politikern (mit Ausnahme der Linken und Teilen von Bündnis 90/Die Grünen) eingeforderten und erzwungenen Austeritätspolitik – sie steht vor allem für rigide staatliche Ausgabenkürzungen – für die breite Bevölkerung in den betroffenen Ländern. Jetzt stützen Wissenschaftler aus Oxford, Cambridge und London mit Ergebnissen einer Studie, die schockieren, aber nicht überraschen, unsere Warnungen.

Die Studie trägt den Titel: “Griechenlands Gesundheitskrise: Von der Austerität zur Realitätsverleugnung”. Sie untersucht die Auswirkungen der staatlichen Ausgabensenkungen auf den Gesundheitssektor und die Folgen für die Bevölkerung. Die Studie verweist dabei unter anderem auf die Auflagen der so genannten Troika aus EU-Kommission, Europäischen Zentralbank und IWF: Bereits Anfang 2010 wurden der griechischen Regierung Ausgabenkürzungen aufgenötigt; eine Politik, die sich bis in die jüngste Zeit fortsetzt. “In 2012 folgte die griechische Regierung in einem Kraftakt der Forderung der Troika, die Betriebskosten der Krankenhäuser und die Ausgaben für Medikamente zu kürzen, um deren spezifische Zielsetzungen zu erreichen.” (In 2012, in an effort to achieve specific targets, the Greek Government surpassed the Troika’s demands for cuts in hospital operating costs and pharmaceutical spending.) Das öffentliche Budget für die Krankenhäuser war bereits zwischen 2009 und 2011 um 26 Prozent gesenkt worden. Gleichzeitig wurden Kosten für medizinische Versorgung und Medikamente vom Staat auf die Patienten verlagert.

Diese Politik gleicht einem politisch verordneten Mord an der Bevölkerung. Die Totgeburten stiegen um 21 Prozent, was die Greek National School of Public Health auf den verringerten Zugang zur Geburtsvorsorge zurückführt. Die Kindersterblichkeit ist ebenfalls drastisch gestiegen, nachdem sie zuvor nachhaltig zurückgegangen war. Die Folgen beschränken sich jedoch nicht auf die Kinder; die Kürzungen im Gesundheitssektor haben die breite Bevölkerung getroffen: “Zusammengefasst, obwohl die nachteiligen ökonomischen Folgen der Austeritätspolitik falsch eingeschätzt wurden, die sozialen Kosten wurden ignoriert, mit gesundheitsgefährdenden Folgen für die Menschen in Griechenland.” (In summary, although the adverse economic effects of austerity were miscalculated, the social costs were ignored, with harmful effects on the people of Greece.) Die Anpassungskosten würden dabei vor allem von den einfachen Menschen in Griechenland getragen (The cost of adjustment is being borne mainly by ordinary Greek citizens.)

Die Zahl der Selbstmorde ist zwischen 2009 und 2011 um fast 40 Prozent gestiegen, mit einer “höheren Wahrscheinlichkeit” für diejenigen, die von sozialer Not betroffen sind. Daten aus dem Jahr 2011 vom Griechischen Amt für Statistik verweisen dabei auch auf eine stark steigende Selbstmordrate von Frauen – “2011 data from
the Hellenic Statistical Authority also suggest a large increase for women.”

Die Studie stellt schließlich unter Verweis auf Island und Finnland fest, dass Griechenland andere Antworten auf die Krise und notwendige Strukturreformen offen gestanden hätten, mit denen jene zerstörerischen sozialen Folgen hätten verhindert werden können. Gleichzeitig verweisen die Autoren der Studie darauf, dass zum Zeitpunkt des Verfassens der Studie die Troika in Athen weilte, um die Umsetzung der Auflagen zu prüfen und weitere Kürzungen von 2,66 Millionen Euro im Gesundsheits- und Sozialsektor für das nächste Jahr bekannt gegeben wurden.” (At the time of
writing, the Troika was in Athens to assess the implementation of the bailout conditions, and €2·66 billion in cuts were announced to the health and
social security budget for the following year.)

Was deutsche Bundestagsabgeordnete, die für jene “Rettungspakete” und die dazugehörigen Auflagen gestimmt haben, mit diesem politischen Mord zu tun haben? Keine Aufforderung kann dies wohl besser zum Ausdruck bringen, als die von Andrea Nahles, damals noch in der Opposition, heute Ministerin für Arbeit und Soziales, vom 06.02.2012:

“Statt nach Frankreich zu reisen, empfiehlt die SPD-Generalsekretärin der deutschen Regierungschefin einen Besuch in Griechenland, um Antonis Samaras ´einmal die Meinung zu sagen´. Schließlich präsentiere sich ihr Parteifreund als ´Hauptblockierer´ der notwendigen Strukturreformen im Land und lasse sich ´in keine Kabinettsdisziplin einbinden´, kritisierte Nahles am Montag in Berlin.”

Ich hatte diesen Skandal, der natürlich für den abgehobenen und, man muss es wohl so nennen, skrupellosen Betrieb der dafür Verantwortlichen im Deutschen Bundestag keiner ist, damals für die wie folgt kommentiert:

Schon lange überlege ich, eigens für die SPD-Generalsekretärin eine Kolumne einzurichten: “Banales von Nahles”. Die Meldung oben von ihr bringt diese Idee noch einmal eine Stufe höher auf meine Prioritätenliste. Wer in Zeiten von Massenentlassungen, Lohndekreten, Rentenkürzungen und hungernden Kindern in Griechenland nichts Wichtigeres zu tun hat, als parteipolitisch zu “blödieren” und die drakonischen Sparmaßnahmen als “notwendige Strukturreformen” zu verharmlosen, hat wirklich gar nichts begriffen. Aber Begreifen und vielleicht sogar Mitgefühl passen vielleicht auch nicht zu einer Politikerin, die Hartz IV und Rentenkürzungen auch hierzulande mit zu verantworten hat. Aber für Nahles wird sicherlich nur zählen, mit ihrer Pressemitteilung zitiert worden zu sein. Glückwunsch, dabei sein ist alles, auch wenn´s 15.000 Staatsdiener den Job kostet; das sind halt “notwendige Strukturreformen”; es lebe die Agenda 2010.”

So auf die Aussagen von Nahles aufmerksam geworden, hat auch die Mit-Herausgeberin von Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung und ehemalige DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer Nahles scharf angegriffen: “Wieweit die Verrohung der politischen Sitten bereits gediehen ist.

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