Historischer Rückblick auf die Elektrizitätsversorgung in Deutschland – Von Gerhard Kilper und Thilo Kilper
Energiewende - aber richtig

Industrielle Revolution, Verbreitung fossiler Kraftwerke infolge der Elektrifizierung und Entdeckung der Kernspaltung

Seit der industriellen Revolution beruht die Energieversorgung in Deutschland und weltweit größtenteils auf fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Elektrische Energie wird hierbei zumeist über Großkraftwerke auf Kohle- oder Erdgasbasis bereitgestellt.

Über die Endlichkeit fossiler Rohstoffe wurde in England bereits im 19. Jahrhundert diskutiert. Der englische Ökonom W.S. Jevons prognostizierte im Jahr 1865, über die Fortschreibung des Wirtschaftswachstums komme es zu einer exponentiellen Steigerung des fossilen Brennstoffverbrauchs (1). Dies führe dazu, dass jede endliche Rohstoffquelle nach bestimmten Zeiträumen erschöpft sei, egal wie groß die Vorräte auf der Erde seien. Der deutsche Physiker Rudolf Clausius äußerte sich 1885 besorgt über die Endlichkeit der Kohlevorräte und verlangte, “eine weise Oekonomie” einzuführen. In Deutschland wurden im Zuge der hinter England herhinkenden Industrialisierung erst am Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Dampf-”Kraftzentralen” genannten Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung gebaut und in Betrieb genommen.

Mit der beginnenden Elektrifizierung in Deutschland in den 1880er Jahren war der fossile Kraftwerkspark noch nicht dominant, sondern es wurden auch gleichzeitig viele mit elektrischen Generatoren ausgerüstete Wasserräder und Windmühlen zur Stromerzeugung eingesetzt. Diese ersten, sehr zahlreich vorhandenen Anlagen zur Nutzung erneuerbaren Energien begründeten die dezentrale deutsche Tradition elektrischer Energiegewinnung. Bis in die 1930er Jahre hinein wurden in Deutschland immer noch ca. 3600 Windmühlen zur Stromerzeugung betrieben (2).

Das änderte sich erst mit der NS-Machtübernahme. Zwar war im 1935 erlassenen Reichsenergiewirtschaftsgesetz (3) zum Schutz vor Angriffen auf Großkraftwerke weiterhin eine dezentrale Energieversorgung vorgesehen. Doch die NS-Führung benötigte für die geplante Aufrüstung der Wehrmacht stetig erzeugte, große Strommengen für die Waffen produzierende Industrie. Daher forcierte sie neben dem Bau von großen Wasserkraftwerken primär den Bau von Stein- und Braunkohlekraftwerken und zentralisierte damit de facto die Elektrizitätsversorgung.

Nach Kriegsende übernahm die Bundesrepublik diese Elektrizitätsversorgungsstruktur. Zu diesem Zeitpunkt hatten Steinkohlekraftwerke einen Anteil von 46,6 Prozent, Braunkohlkraftwerke einen Anteil von 30,5 Prozent und große Wasserkraftwerke einen Anteil von 21,6 Prozent am elektrischen Energiemix (Der Große Brockhaus, Wiesbaden 1955,  Stichwort “Kraftwerk”). Lediglich 1,3 Prozent steuerten also noch andere Quellen bei. Der weitaus überwiegende Teil der  Elektrizitätsversorgung lag jetzt in den Händen von ca. 100 großen Energieversorgern (Der Große Brockhaus, Wiesbaden 1955,  Stichwort “Kraftwerk”).

Im Gefolge der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn 1938 entwickelte sich die Nuklearindustrie zur zivilen Nutzung der Kernenergie ab den 1950er Jahren. Neben fossil befeuerten Kraftwerken wurde daraufhin in den meisten Industrieländern ein nuklearer Kraftwerkspark als zweites Standbein der Elektrizitätsversorgung aufgebaut.

Die deutsche Anti-Atomkraftbewegung

In den 1960er Jahren entwickelte sich in Deutschland, ausgehend vom Widerstand der deutschen Friedensbewegung der 1950er Jahre gegen die von der Politik diskutierte Atombewaffnung der Bundeswehr, eine breite Bürgerbewegung auch gegen die zivile Nutzung der Kernenergie, die Anti-Atomkraftbewegung.

In den beginnenden 1970er Jahren organisierte sich diese Bewegung netzwerkübergreifend in lokalen Bürgerinitiativen des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Mit vielen Widerstandsaktionen vermochte es die Anti-Atomkraftbewegung zunächst, den Plänen der Politik zu einem noch weiteren, deutlichen Ausbau der Kernenergienutzung in Deutschland Grenzen zu setzen (Besetzung des Wyhler AKW-Baugeländes durch ca. 28.000 Menschen im Februar 1975).

Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre richtete sich der Protest vermehrt auch gegen die Errichtung von Wiederaufbereitungs- und Endlagern (primär Vorhaben in Wackersdorf und Gorleben; 1979 Groß-Demonstrationen mit ca. jeweils 100.000 Teilnehmern in Hannover und Bonn; im Februar 1981 Groß-Demonstration in Brokdorf gegen das dort geplante Kernkraftwerk mit ebenfalls ca. 100 000 Teilnehmern).
Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag im Jahr 1983 hatte sich dann die Anti-Atomkraftbewegung auch als politisch-parlamentarische Kraft etabliert.

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 verstärkte die Ablehnung der Kernenergienutzung in der deutschen Bevölkerung weiter. Mit dem Reaktorunfall war genau derjenige Fall eingetreten, für den “die Leute” auf die Straße gegangen waren und den Vertreter von Atomindustrie und Staat immer als völlig abwegiges Szenario in Abrede gestellt hatten.

Hermann Scheer als Initiator des Strukturwandels zugunsten erneuerbarer Energien in Deutschland

Der SPD-Politiker Hermann Scheer griff die Anti-Atomkraft-Grundstimmung auf und propagierte als konstruktiven Ausweg aus der Abhängigkeit von den sich absehbar erschöpfenden fossilen und nuklearen Energieträgern den konsequenten und forcierten Ausbau erneuerbarer Energien.

Scheer hatte die Vision entwickelt, mit dem weltweiten Ausbau erneuerbarer Energien ließen sich nicht nur Klima und Umwelt schützen, sondern auch künftige Kriege um den Zugriff auf Kohle, Öl, Erdgas und Uran vermeiden (Verbindung zur Friedensbewegung). Zur Umsetzung seiner Vision hatte er u.a. 1988 die Gründung der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V. (EUROSOLAR) initiiert. Über die Änderung der bestehenden Energiewirtschaftsstrukturen sollte perspektivisch, über zusätzlich angebotene Mengen kostengünstig hergestellten Stroms aus erneuerbaren Energien, ein Gegengewicht auch zum Preisgebaren der Energiekonzerne gebildet werden.

Allen Regionen dieser Welt bietet sich u.a. mit den gratis gelieferten Betriebsstoffen Sonnen- und Windenergie ein großes Nutzpotenzial an erneuerbaren Energien. Es ermöglicht ihnen ein hohes Maß an Energieautarkie und -autonomie. Solche Energieversorgungsstrukturen bilden insofern einen starken Kontrast zum fossil-nuklearen Energiesystem, als die Förderungs- und Lagerungsstätten von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran global sehr unterschiedlich verteilt sind. Bereit gestellte Energieträger oder Energie müssen daher per Schiff, Pipelines oder Hochspannungsleitungen (im Falle der Kohleverstromung am Tagebau) sehr weit vom Ort der Betriebsstoff-Bereitstellung bzw. Stromerzeugung zum Ort des Stromverbrauchs transportiert werden.

Aufgrund dieses Sachverhalts war Hermann Scheer der Überzeugung, dass traditionelle Energiekonzerne mit ihren fossil-nuklearen Kraftwerksparks von sich aus kein Interesse an einem Paradigmenwechsel hin zu erneuerbaren Energien haben. Deren Ausbau würde nämlich zu einem dramatischen Verlust ihrer Anbieter-Marktmacht führen inklusive dem Wegfall ihres Jahrzehnte lang praktizierten Geschäftsmodells. Der Strukturwandel hin zu einer dezentral-regional geprägten Versorgungswirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien konnte daher nach seiner Auffassung nur von völlig neuen (auch umweltpolitisch motivierten) Akteuren bewerkstelligt werden.

Doch wie einen politisch gewollten und so grundsätzlichen Strukturwandel bei einer – seit dem Lambsdorff-Papier und dem Regierungswechsel 1982 – grundsätzlich neoliberal-angebotsorientiert ausgerichteten Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die Wege bringen?

Im Gefolge des Tschernobyl-Schocks gelang Hermann Scheer im Jahr 1991 der erste und wichtigste Schritt mit dem Schmieden einer fraktionsübergreifenden Bundestagsmehrheit zur Einführung des Stromeinspeisungsgesetzes. Durch dieses Gesetz bekamen erstmals auch kleine private Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien das Recht, ins öffentliche Stromnetz einzuspeisen. Gleichzeitig wurde hierbei ein Einspeisevorrang gegenüber Kohle- und Atomstrom festgelegt, sowie eine feste Vergütung pro ins Netz eingespeister kWh elektrischer Energie. Durch das System der festen Einspeisevergütung, anstatt eines wie zuvor meistens praktizierten Investitionskostenzuschuss an den Anlagenbetreiber, war deren permanente Stromeinspeisung (inklusive der Durchführung erforderlicher Wartungs- und Reparaturarbeiten) zur politisch gewollten Erhöhung des Stromangebots auf dem Elektrizitätsmarkt garantiert.

Das Stromeinspeisungsgesetz als erstes energiepolitische Investitions-Steuerungsinstrument löste einen Boom der Windenergie in den 1990er Jahren – insbesondere in Norddeutschland – aus. Neben der Errichtung Tausender Windkraftanlagen (WKA) bewirkte der Boom auch den starken Ausbau der Windkraft-Produktionskapazitäten bei deutschen WKA-Herstellern samt zugehörigem Beschäftigungseffekt.

Nach Antritt der 1998 neu gewählten rot-grünen Bundesregierung wurde im Jahr 2000 das federführend von Hermann Scheer und Hans-Josef Fell ausgearbeitete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Bundestag verabschiedet. Das bestehende Stromeinspeisungsgesetz wurde im EEG dahingehend weiterentwickelt, dass der garantierte Einspeisetarif entsprechend den verschiedenen Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien (Windenergie, Photovoltaik, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie) und ihrer jeweils aktuellen Kostenstruktur ausdifferenziert wurde. Die unterschiedlichen Tarife wurden als Investitions-Lenkungsinstrumente hierbei so hoch bemessen, dass nun alle Technologien, inklusive der zu diesem Zeitpunkt wegen geringer Serienstückzahlen relativ teuren Photovoltaik, kostendeckend betrieben werden konnten.

Analog zur Windenergie erlebte nun auch der Ausbau der Photovoltaik (jährlich installierte PV-Gesamtkapazität sowie Produktionskapazitäten der sich entwickelnden PV-Industrie) in Deutschland im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends einen starken Aufschwung. Gleiches galt für die Errichtung von Biomasse-Anlagen. Auch der Ausbau der Wasserkraft und der Geothermie gewann deutlich an Fahrt.

Das Problem der Erzielung von Skalenerträgen zur kostengünstigen Fertigung von Erneuerbare-Energien-Anlagen kann nur durch den verstärkten Ausbau der Serienfertigung gelöst werden.

Um hierfür Anreizsignale zu setzen und um die für die Produktionsausweitung erforderliche Nachfrage nach EE-Anlagen schaffen zu können, erscheint ein stetiger und ambitionierter Ausbau der erneuerbaren Energien unabdingbar.

Die Autoren:

Diplom-Volkswirt Gerhard Kilper

Dr.-Ing. Thilo Kilper, Themenfeldleiter “Photovoltaische Systeme” bei NEXT ENERGY in Oldenburg

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