Die Berichterstattung Sabine Adlers über die Ukraine war bei uns schon einmal Thema. Wir hätten sie eigentlich nur zitieren müssen, um das Niveau ihrer Aussagen den Leserinnen und Lesern zur Beurteilung zu stellen. An anderer Stelle haben wir die ökonomischen Grundlagen analysiert, um der Frage nachzugehen, warum die Ukraine so hin- und hergerissen zwischen Russland und der EU ist. Inzwischen haben sich die Ereignisse in der Ukraine überschlagen und schreckliche Opfer gefordert. Gestern hat Adler dazu erneut auf Bild-Zeutungs-Niveau kommentiert – oder tut man damit selbst der Bild-Zeitung Unrecht?
Hier die Einleitung ihres Kommentars (kursive Hervorhebung, T.H.):
“Die Ukraine hat keinen Präsidenten mehr. Dem geschassten Staatsoberhaupt hatten die Demonstranten auf dem Maidan ein Ultimatum gestellt: Rücktritt bis heute morgen 10 Uhr. Doch der Mann mit der Betonfrisur war fast einen ganzen Tag lang abgetaucht. Hinterließ die Präsidialadministration – wie auch seine pompöse Residenz – verwaist, stahl sich davon wie ein Dieb. Sein Parlamentspräsident hatte vor seinem Verschwinden wenigstens noch eine Rücktrittserklärung verfasst.”
Es lohnt sich dazu die Tonlage Adlers nachzuhören.
Natürlich hat mich zunächst einmal, entschlossen dem Boulevard Adlers folgend, die “Betonfrisur” von Wiktor Janukowytsch interessiert, was bei mir, angesichts der verblüffenden Ähnlichkeit, prompt die Frage aufwarf: Hat auch Sigmar Gabriel eine “Betonfrisur”? Was bedeutet das für die deutsche Politik?
So wenig ich, das gebe ich freimütig zu, von der Ukraine verstehe – wenn auch durch meine ökonomische Analyse sicherlich mehr als Sabine Adler, was vielleicht nicht Wunder nimmt, wenn man wie Adler monatelang auf dem Maidan rumtobt und den stündlichen Ereignissen hinterherjagt, anstatt auch mal grundlegender hinter die Kulissen zu schauen -, so stieß mir allein schon diese triumphierende Einleitung bitter auf, erst recht angesichts der Opfer, die dieser Konflikt schon gekostet hat. Noch deutlicher wurde Adler aber als sie der “Betonfrisur” des “geschassten Staatsoberhaupts” “die Frau mit dem geflochtenen Haarkranz” entgegenstellte. Gemeint ist damit natürlich Julija Tymoschenko. Immerhin erwähnte Adler dabei, dass diese Frisur “fast immer mit dem Kopf durch die Wand” will und “den Erfolg einer Revolution schon einmal verspielt” hat. Was Adler nicht erwähnt ist, dass Tymoschenko offensichtlich schon auf der Suchliste von Interpol stand und neben anderen Strafverfahren eines gegen sie wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder, Betrug und Geldwäsche eröffnet wurde – nach einem Bericht, den zuvor US-amerikanische Anwaltsfirmen hierzu erstellt und veröffentlicht hatten (1). Janukowytsch aber, so erfahren wir von Adler, ist ein “Mann, dessen Erwachsenenleben als Straßenräuber und Schläger begann” – ein Vorwurf, der wohl nie sicher aufgeklärt worden ist (2). Und ist der folgende von Adler geschilderte, aber nicht weiter hinterfragte Sachverhalt etwa Ausdruck demokratischer Politik (kursive Hervorhebung, T.H.):
“Das Parlament stimmte für die sofortige Freilassung der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, deren Einfluss aus der Haft heraus beachtlich war, wie allein die heutige Besetzung der Posten zeigt. Oleksander Turtschinow, der neue Parlamentspräsident wie auch der neue Innenminister gelten als Timoschenko-Vertraute.”
Ich maß mir aufgrund meiner Unwissenheit nicht an, über all das zu urteilen. Wohl aber über Adlers Berichterstattung und Kommentierung. Natürlich soll ein Kommentar Meinung enthalten und darf, ja soll durchaus Partei ergreifen. Er soll aber auch Aufklärung bieten. Bei Adler aber ist schon die Berichterstattung Meinung und der Kommentar plumpe Parteinahme. Für letzteres spricht nicht nur die Einteilung in Betonfrisuren und geflochtene Haarkränze, sondern auch, dass Russland in ihrem Kommentar mit keinem Wort Erwähnung findet. Stattdessen heißt es bei Adler:
“Wenn die Ukraine jetzt nicht einen sinnlosen Separationskrieg zwischen Ost und West fällt – diese Gefahr immer noch vorhanden – dann könnte sie sich jetzt um ihre Zukunft kümmern, als Teil Europas, irgendwann der EU.”
Gleicht aber nicht schon Adlers Journalismus einem “Seperationskrieg zwischen Ost und West”, nicht allein dem zwischen der Ost- und West-Ukraine, sondern zwischen der EU und Russland? Man kann dabei ja durchaus der Meinung sein, dass die Ukraine ihre Zukunft “als Teil Europas, irgendwann der EU” suchen sollte. Kann man dabei aber, allein aufgrund der ökonomischen Abhängigkeiten und historisch gewachsenen Beziehungen, Russland außen vor lassen, ohne der ukrainischen Bevölkerung weitere, unkalkulierbare Opfer zuzumuten? Und wie weit wird bei einer kritischen Entwicklung wohl die europäische Solidarität mit der Ukraine tragen? Angesichts der EU-Politik gegenüber Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Frankreich, ja, die gesamte Europäische Währungsunion betreffend, erscheinen Zweifel und Sorge mehr als angebracht. Allein deswegen erscheint es sinnvoll, Adlers Journalismus zu dokumentieren. Er ist, weil sie damit keineswegs allein dasteht, sondern, im Gegenteil, wohl eher dem Standard zumindest deutscher Medien entspricht, für mich längst Teil des schwer überschaubaren Konflikts, zu dessen besseren Verständnis ein Journalismus wie der von Adler eben keinen positiven Beitrag liefert.
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