Viel ist über den Mindestlohn geschrieben worden. Wir haben uns in verschiedenen Beiträgen ausführlich damit auseinandergesetzt. Neben konzeptionellen Schwächen ist ein wesentlicher Kritikpunkt, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro, der 2015 mit Ausnahmen eingeführt werden und ab 2017 mit Ausnahmen flächendeckend gelten soll, schon heute nicht zum Überleben reicht. Das hat jüngst auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt. Auch nach der Einführung des geplanten Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde wären hunderttausende Arbeitnehmer zusätzlich auf Leistungen nach Hartz IV angewiesen (siehe hier). Das verwundert nicht. Man benötigt dazu nur etwas gesunden Menschenverstand, oder aber man bedient sich des Niedriglohnschwellenwerts des europäischen Amts für Statistik, Eurostat. Schreibt man diesen verteilungsneutral fort (Produktivitätsentwicklung+Inflationsziel der Europäischen Zentralbank) und subtrahiert ihn von den geplanten 8,50 Euro Mindestlohn ergibt sich bereits für das laufende Jahr ein dickes Minus, das sich bis 2017 noch erheblich vergrößert.
Ungeachtet dieses ebenso einfach nachvollziehbaren wie erschreckenden Ergebnisses für Millionen Arbeitnehmer berichtet die Frankfurter Rundschau darüber, dass ein sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter doch tatsächlich meint, Andrea Nahles dafür ein Denkmal setzen zu müssen. Karl Doemens fängt die Situation gekonnt ein (kursive Hervorhebung, T.H.):
“Am Dienstag dieser Woche nun steht Nahles im schwarzen Business-Anzug vor der SPD-Fraktion und referiert zehn Minuten lang die Grundzüge ihres Mindestlohn-Gesetzes. Die Stimmung im Saal ist bestens. Ein halbes Dutzend Redner spendet Lob und Anerkennung. Dann meldet sich der hessische Abgeordnete und frühere DGB-Funktionär Hans-Joachim Schabedoth zu Wort und sagt: ´Andrea, für Deine Leistung hättest du ein Denkmal verdient!´ Die 43-Jährige lacht. Natürlich klingt der Vorschlag lustig. Vor allem aber ist er Balsam für ihre Seele.”
Karl Doemens ist dabei selbst voll des Lobes über das Tempo der Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Das überrascht wiederum nicht. Wir haben ihm bereits am 10. Dezember 2011 einen eigenen Beitrag gewidmet, weil er uns durch unsachliche Meinungsmache aufgefallen war. Den Beitrag lohnt es sich auch deswegen heute noch zu lesen, weil Doemens damalige Aussagen ihn vor der Gegenwart ganz nackt dastehen lassen. So schrieb er schon 2010 voller Inbrunst für Peer Steinbrück:
“Wenn die Partei halbwegs bei Sinnen ist, wird sie ihn nicht nur zähneknirschend ertragen, sondern sich mit ihm produktiv auseinandersetzen und mit ihm werben. Ansonsten kann sie sich den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, endgültig an den Hut stecken.”
Nicht nur, dass die SPD mit Steinbrück erneut ein jämmerliches Bundestagswahlergebnis einfuhr. Heute steht die SPD laut allen Meinungsforschungsinstituten noch schlechter dar als bei der Bundestagswahl, und laut der heute erschienenen Forsa-Umfrage liegt sie gar wieder bei 23 Prozent. Wer wie Doemens darüber hinaus die immer äußerst moderat auftretende SPD-Linke als “Fundis” brandmarkt, der, ja der muss natürlich auch die Mindestlohnregelung von Andrea Nahles loben. In einem Punkt allerdings ist Doemens recht zu geben, wenn er nämlich schreibt: “Es geht also um nicht weniger als um das historische Ziel der Aussöhnung zwischen Genossen und Gewerkschaften.” Das halte ich für durchaus glaubhaft. Nur leider zeigen die Mindestlohnregelung wie die Regelungen für die Rente, wie schließlich auch die Forderung nach einem Denkmal, dass weder die SPD noch der DGB diejenigen im Blick haben, die am meisten auf politische Unterstützung angewiesen sind, vom Langzeitarbeitslosen angefangen über den Niedriglöhner bis hin zu Millionen von Armut bedrohten Rentnerinnen und Rentnern.
Und doch soll der Wunsch nach einem Denkmal nicht unerfüllt bleiben. Heute, am Tag des hunderttägigen Bestehens der Großen Koalition. Hier das Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung Denkmal für Andrea Nahles, die Große Koaliton im Allgemeinen und die SPD im Besonderen.
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