Diese Aussagen Gabriels, die er heute auf seiner offiziellen tätigte, haben es gleich in mehrfacher Hinsicht in sich.
Gabriel nimmt hier den zumindest von wachen Leserinnen und Lesern zu erwartenden Angriff als Verteidigung vorweg, wenn er meint, dass das, was er eingangs behauptet, “keine plumpe Propaganda der Wirtschaft, sondern bittere Realität” sei.
Weder sieht die Ausgleichsregelung für die Industrie bei der EEG-Umlage überhaupt eine Prüfung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vor (siehe hierzu hier), noch ist bei den von der EEG-Umlage befreiten Industriezweigen grundsätzlich ein Problem in der Wettbewerbsfähigkeit erkennbar (siehe dazu hier); im Gegenteil: unsere Analyse lässt erwarten, dass befreite Wirtschaftszweige sehr gut auch ohne Befreiung von der EEG-Umlage konkurrenzfähig wären. Eine Deindustrialisierung Deutschlands wiederum ist, anders als in anderen Ländern, die mit Deutschland konkurrieren, nach unserer Analyse nicht im Ansatz erkennbar (siehe dazu hier). Vielmehr droht die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage notwendige Investitionen in höhere Energieeffizienz zu verhindern, weil sie die Unternehmen schont und so marktwirtschaftliche Anreize zur Steigerung von Investitionen außer Kraft setzt. Gabriel verkennt damit auch das Entwicklungspotenzial dieser Investitionen für die eigene Industrie, die solche Entwicklungen aus sich selbst heraus finanzieren und bedienen kann.
Dass er diese Fehlleistung nun auch noch auf ganz Europa übertragen will, um auf diesem Weg Europa gegenüber den USA wettbewerbsfähiger zu machen, zeigt, dass er wirtschaftspolitisch wie industriepolitisch nichts, aber auch gar nichts verstanden hat. Ein Blick auf die riesigen Handelsbilanzüberschüsse, die Deutschland mit den USA erzielt, hätte ihn allein nachdenklich stimmen müssen (siehe dazu hier). Dazu gehört auch, zu verstehen, dass es nicht darauf ankommt, dass “die Strompreise in Deutschland doppelt so hoch sind wie in den USA”, sondern darauf, wie hoch der Anteil der Stromkosten an den Gesamtkosten der Produktion ist, und ob andere Wettbewerbsfaktoren etwaige Wettbewerbsnachteile bei den Stromkosten kompensieren oder sogar überkompensieren.
Noch bemerkenswerter aber ist, dass Gabriel daran anschließend die “wachsenden Energie- und Rohstoffkosten” mit den vermeintlich zuvor “zu hohen Lohn- und Sozialkosten” gleichsetzt und diese wie jene als Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie gleichsetzt. Das belegt ein weiteres Mal, dass Gabriel bis heute noch keinen Schritt über das Wirtschaftsverständnis, genauer -unverständnis, der Agenda 2010 hinaus getan hat. Für ihn sind Löhne und Sozialbeiträge “Kosten”, also Ausgaben, nicht aber auch Einnahmen. Er denkt bzw. verhält sich wie ein Einzelunternehmer. In volkswirtschaftlichen Kreisläufen zu denken ist ihm bis heute fremd. Das ist für einen Bundeswirtschaftsminister schlimmer als “plumpe Propaganda der Wirtschaft”. Aus einzelwirtschaftlichem Blickwinkel ist diese plumpe Propaganda noch nachvollziehbar, wenn auch gesamtwirtschaftlich verkehrt. Und selbstverständlich gilt für den Lohn als Kostenfaktor dasselbe, wie oben in Bezug auf die Stromkosten und die Wettbewerbsfähigkeit ausgeführt. Aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung heraus, und in dieser steht der Bundeswirtschaftsminister, ist diese plumpe Propaganda verheerend. Sie ist eine wirtschaftspolitische Bankrotterklärung. Weil Gabriel sein Unverständnis über volkswirtschaftliche Zusammenhänge nun auch auf die Energiewende überträgt, wird die wirtschaftspolitische auch zu einer umwelt- und energiepolitischen Bankrotterklärung. Das ist in der Tat eine “bittere Realität”. Ein alarmierendes, aber leider nicht überraschendes Ergebnis.
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