Deutschlandfunk, Kahrs (SPD) und Brinkhaus (CDU) belegen weiteres Mal grassierenden ökonomischen Analphabetismus in Politik und Medien

Die ModeratorInnen des Deutschlandfunks benötigen dringend ein ökonomisches Alphabetisierungsprogramm. Zu Staatshaushalt und Steuereinnahmen fällt ihnen nichts außer Haushaltskonsolidierung, “Wahlgeschenke”, kalte Progression ein. Auch das gern im Mund geführte Wort von der Generationengerechtigkeit haben sie nicht im Ansatz verstanden. Wenn das alles das Bild und die Situation der Menschen und die Richtung, die Deutschland nimmt, nicht so negativ beeinflussen würde, käme man aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Weil es so ausgesprochen dämlich ist. Dasselbe gilt für die Politik. Politik und Journalismus bilden gewissermaßen eine unwissende Einheit, einen ganz eigenen Kosmos. Ein Bannerträger dieser Dämlichkeit war heute früh der haushaltspolitische Sprecher (sic!) der SPD, Johannes Kahrs.

Er bringt gleich zu Beginn seinen ökonomischen Analphabetismus, den seiner Partei und den der großen Koalition auf den Punkt, wenn er sagt:

“Wir Sozialdemokraten wollen erst mal die Neuverschuldung senken und wollen in den nächsten Jahren die schwarze Null. Also auch Sozialdemokraten kämpfen für eine schwarze Null und wollen, dass wir keine neuen Schulden aufnehmen. Ich glaube, das ist das prioritäre Ziel der Großen Koalition.”

Das hat er brav aufgesagt, der haushaltspolitische Sprecher der SPD. Nicht Arbeitslosigkeit, nicht die marode Infrastruktur, nicht rund 60.000 SchülerInnen, die jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, nicht die Existenznot von Hartz IV-Empfängern und Niedriglöhnern, nicht die Eurokrise, nicht skandalöse Zustände im Gesundheits- und Pflegebereich, nicht die unerträgliche Einkommenskonzentration werden als erstes genannt, nein: die schwarze Null. Dafür kämpft die SPD!

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Die Deutschlandfunk-Moderatorin kommt gar nicht darauf, das einmal zu hinterfragen, Kahrs mit jenen politischen Zuständen zu konfrontieren. Sie sorgt sich offensichtlich eher darum, dass sie zu viele Steuern zahlt, wenn sie – wie im übrigen am laufenden Band auch ihre KollegInnen – fragt: “Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte man die Frage der kalten Progression angehen?” Wenn sich die Deutschlandfunk-ModeratorInnen doch einmal so um die generelle Lohnentwicklung sorgen würden!

Hier die Fortsetzung (zur Sicherheit: das ist kein Kabarett, keine Satire, das ist echt!):

Kahrs: Ich glaube, solange Sie weiter Schulden machen, würden Sie jede Veränderung im Steuersystem über weitere Schulden bezahlen. Das macht relativ wenig Sinn.

Kaess: Aber auf der anderen Seite muss man ja auch sagen: Die Steuereinnahmen, die es jetzt gibt, sind gleichzeitig für den Bürger Steuerzahlungen. Und bei diesem Ausmaß hat doch der Steuerzahler ein Recht, einen Teil zurückzubekommen?”

Beides – die Aussage von Kahrs und die Frage von Kaess – sind so dumm, dass man sich schüttelt, diejenigen (wie ich), die noch nicht ihren Humor verloren haben, vor Lachen, diejenigen, die es nicht mehr hören können oder unter den Folgen dieser Politik und dieses Journalismus leiden, vor Grauen.

Aus der Aussage von Kahrs muss man wohl schließen, dass er meint, umso häufiger er das Wort Schulden in den Mund nimmt, umso kompetenter wird er als Haushälter erscheinen. Der Satz ist so unsinnig, dass man ihn nicht gerade biegen kann. Wenn etwas “wenig Sinn” macht, dann die Aussage Kahrs. Die Anhebung des Spitzensteuersatzes oder die Erhebung einer Vermögenssteuer würde der Staat natürlich nicht “über weitere Schulden bezahlen”, um nur einen Versuch zu machen, dem Unsinn von Kahrs irgendwie einen Sinn zu geben. Und natürlich hat “weiter Schulden machen” überhaupt keinen Einfluss darauf, ob man “Veränderungen im Steuersystem über weitere Schulden bezahlt.” All das ist einfach schwachsinnig. Und so ein Politiker wird neuerdings bzw. in naher Zukunft entlohnt wie ein Bundesrichter. Würde letzterer so wenig von seiner Materie verstehen und solch einen Blödsinn reden wie Kahrs, wäre er niemals, niemals Bundesrichter geworden!

Und dann die Frage von Kaess: Natürlich sind nicht nur “die Steuern, die es jetzt gibt” “gleichzeitig für den Bürger Steuerzahlungen”, sondern sie sind es immer. Das ist das eine. Was aber meint Kaess mit ihrer Frage: “Und bei diesem Ausmaß hat doch der Steuerzahler ein Recht, einen Teil zurückzubekommen?” Ab welchem “Ausmaß” meint Kaess denn wohl, hat der Steuerzahler ein Recht, “einen Teil zurückzubekommen” und welchen “Teil”? Sie kann es mit Sicherheit nicht sagen. Und weiß sie denn nicht, dass sie bereits jede Menge der gezahlten Steuergelder “zurückbekommt”? Dass das immer noch nicht genug ist, wie die Diskussion um die marode Infrastruktur zeigt, könnte doch evtl. auch bedeuten, dass sie und andere immer noch nicht genug Steuern zahlen, oder etwa nicht?

Und was antwortet Kahrs: Er betet sein Mantra von keinen neuen Schulden gleich noch einmal herunter und garniert es mit dem Schlagwort Generationengerechtigkeit:

“Wir haben in der Koalitionsverhandlung als SPD stark darauf gedrungen, dass wir ab nächstem Jahr keine neuen Schulden mehr machen. Das hat auch was mit Generationengerechtigkeit zu tun, das hat auch was damit zu tun, dass für den Steuerzahler am Ende nicht weitere Belastungen über Zinszahlungen auf einen zukommen. Und deswegen finden wir, keine neuen Schulden ist das prioritäre Ziel.”

Was aber, wenn der Steuerzahler, der für die Schulden Zinsen zahlt, auch von dem daraus aufgebautem Vermögen profitiert: Straßen, Schulen, Krankenhäuser zum Beispiel? Findet es Kahrs tatsächlich generationengerecht, wenn dafür nur die gegenwärtig Steuern zahlenden Generationen aufkommen, nicht aber auch die zukünftig Steuern zahlenden Generationen, die diese Straßen, Schulen, Krankenhäuser auch nutzen werden? Der Mann hat einfach überhaupt keine Ahnung. Wenn es eine Form von Steuerverschwendung gibt, dann ist es die Finanzierung solcher Abgeordneten, von denen es im Deutschen Bundestag leider nur so wimmelt. Und im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk leider auch!

Ich empfehle das Interview unbedingt weiter zu lesen. Es ist einfach im wahrsten Sinne des Wortes irre exemplarisch für das Unverständnis und die damit verbundene falsche Prioritätensetzung in Politik und Medien beim Thema Steuern und Haushaltspolitik. Kahrs betet sein Mantra gleich noch einmal runter, und jedes Mal wird es irrer:

“Das Problem ist, diese schwarze Null, also keine neuen Schulden machen, das ist das Ziel von allen, aber da werden auch alle Kräfte reingesteckt. Und das bindet auch natürlich die ganzen Anstrengungen.”

“Das Problem ist” aber gerade, dass dies für Kahrs kein Problem ist, sondern sein oberstes politisches Gebot.

Und da stellt Kaess tatsächlich auch einmal eine vernünftige Frage, die da lautet:

Kaess: Also, Sie sagen – um das noch mal festzuhalten –, diese zusätzlichen Einnahmen nur und lediglich in einen ausgeglichenen Haushalt stecken, und sonst nichts?

Kahrs: Na ja, alles andere würde bedeuten, Sie machen neue Schulden.”

Und schon steht Kahrs noch einmal blöder dar, wenn das überhaupt möglich ist. Denn natürlich würde “alles andere” überhaupt nicht bedeuten, “Sie machen neue Schulden”.

Ein Staatshaushalt kann selbstverständlich über steigende Ausgaben konsolidiert werden. Steigende Ausgaben sorgen bei den Unternehmen für zusätzliche Aufträge, die, um diese zu erfüllen, möglicherweise mehr Menschen beschäftigen müssen. Hieraus erwachsen in der Regel höhere Steuereinnahmen, die die zuvor vom Staat verausgabten Gelder übersteigen. Die Elastizität der Staatseinnahmen in Bezug auf die öffentlichen Ausgaben ist dann größer eins. Infrastrukturinvestitionen sind geradezu prädestiniert hierfür.

Und immerhin fragt Kaess:

Kaess: Aber was ist mit der Reparatur von Straßen und Schienen?”

Was antwortet Kahrs (ich gebe gern zu, dass mich während des Interviews immer wieder Lachanfälle überfielen):

Kahrs: Wenn es denn dann außerhalb dieser Geschichte, also das heißt, außerhalb der Frage, ob wir eine Neuverschuldung bekommen, noch Mittel da sind, dann kann man auch darüber reden, ob man die in diesen Bereich gibt. Aber ich warne alle davor, jetzt schon wieder Geld zu verteilen für Dinge, die wir alle wollen, bevor man nicht diese schwarze Null erreicht hat. Wir wollen keine neuen Schulden. Wenn wir das hinbekommen, dann sind wir gut.”

Kaess hätte jetzt natürlich Kahrs fragen können, ob er einen ausgeglichenen Haushalt also tatsächlich einstürzenden Brücken und maroden Schulgebäuden vorzieht. Stattdessen schwenkt sie wieder zum Lieblingsthema der dank unserer Rundfunkbeiträge gut verdienenden Redakteure: die kalte Progression.

Hier weitere “Aussagen” von Kahrs, die den bisher wiedergegebenen noch folgen:

Kahrs: Na ja, im Moment ist es so, dass wir trotz der Wirtschaftsentwicklung immer noch Schulden machen…

Kahrs: Ich glaube, Sie nutzen die Gutmütigkeit der Bürger richtig aus, wenn Sie laufend neue Schulden machen, die dann natürlich von nachfolgenden Generationen bezahlt werden müssen…

Kahrs: Na ja, es geht erst mal darum, dass Sie keine neuen Schulden machen…

Kahrs: Ich glaube, dass wir erst mal keine Neuverschuldung haben dürfen…”

Da will Kaess natürlich nicht zurückstehen und bringt schnell noch diesen bekannten journalistischen Gassenhauer:

Kaess: Herr Kahrs, rächt sich jetzt, dass die Regierung teure Wahlgeschenke gerade bei der Rente gemacht hat und deshalb jetzt nicht auf die Einnahmen aus der kalten Progression verzichten kann?”

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Dass der ökonomische Schwachsinn System hat, zeigte dankenswerterweise heute früh gleich ein weiteres Interview, das Tobias Armbrüster mit Ralph Brinkhaus, CDU und Mitglied im Bundesfinanzausschuss, geführt hat. Man sollte beide Interviews in einem Rutsch durchlesen. Wenn es nicht so ernst wäre, wären dies wirklich ganz große Lachnummern, die vier. Und sie stehen ja nur exemplarisch für die politische und journalistische Mehrheit. Das wiederum ist nun wirklich gruselig. Gruselig!

Anmerkung vom 25.04.2014: Das heute früh von Christoph Heinemann geführte Interview mit Peter Ramsauer unterstreicht noch einmal die oben vorgenommene Kritik. Der Moderator kommt nicht darauf, den ehemaligen Verkehrsminister nach den Mitteln für die Ausbesserung der Infrastruktur, für die er Jahre verantwortlich zeichnete, zu fragen! Unfassbar. Und Ramsauer ist tatsächlich Vorsitzender des Bundestags-Wirtschaftsausschusses. Eindrucksvoller als mit diesem Interview konnte er sich dafür nicht disqualifizieren!

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