Exklusiver Buchauszug für Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung: Machtwirtschaft – nein danke! – Von Gerhard Schick
Gerhard Schick - Machtwirtschaft - Cover

Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem am 13. Februar 2014 im Campus Verlag erschienenen Buch von Gerhard Schick, “Machtwirtschaft – nein danke! -
Für eine Wirtschaft, die uns allen dient“. Die exklusive Veröffentlichung des Buchauszugs in Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Campus-Verlags.

Die meisten von uns gehen wie selbstverständlich davon aus, dass wir in einer Marktwirtschaft leben. Also in einer Wirtschaft, in der Märkte die Entscheidungen vieler Tausender Akteure zusammenfassen, die unkoordiniert voneinander verschiedene Produkte oder Dienstleistungen anbieten, verkaufen und kaufen. Man würde heute von »Schwarmintelligenz« sprechen, wenn auf funktionierenden Märkten in den Preis extrem viele uns unbekannte Informationen einfließen und die Produktion durch die Nachfrager gesteuert wird.

Voraussetzung dafür wäre, dass kein Mitspieler eine so mächtige Stellung einnimmt, dass anderen Marktteilnehmern die Entscheidungsfreiheit genommen wird. Sobald also beispielsweise einige wenige sich absprechen, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, ist diese Idealvorstellung verletzt. Ähnliches gilt, wenn wenige Großunternehmen eine zu große Marktmacht haben und ihren Kundinnen und Kunden sowie Konkurrenten Vorgaben machen können, weil sich dann nicht mehr die Interessen aller Marktteilnehmer in einem Prozess freien Austauschs durchsetzen, sondern die der stärksten Mitspieler.

Natürlich hat diese Idealvorstellung der Wirtschaftstheorie kaum je existiert. Die Wirtschaftswelt hat immer wirtschaftliche, politische und militärische Macht gekannt. In den letzten Jahrzehnten jedoch hat sich eine Struktur globaler Konzerne herausgebildet, die unsere demokratischen Gemeinwesen, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft bei der Erfüllung unserer Bedürfnisse, vor allem aber auch die Freiheit der Einzelnen bedroht. Immer weniger stimmt das in öffentlichen Reden hochgehaltene Bild der Marktwirtschaft mit der Realität überein, immer deutlicher werden Strukturen der Machtwirtschaft.

Wer sich nicht auf Verschwörungstheorien verlassen, sondern fundiert analysieren will, was in den globalen Märkten insgesamt geschieht, muss nach neuen Ansätzen suchen. Fündig wird man dabei an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich (1), deren Forscher sich ein objektives Bild von der angeblichen Weltherrschaft transnationaler Unternehmen machen wollten. Und da wird das gesamte Desaster einer Fehlentwicklung deutlich. Anstatt mit einfachen Vergleichen zwischen Unternehmensumsätzen und Wirtschaftsleistungen der Länder zu argumentieren, bedienten sich die Schweizer Forscher eines Instruments, das eher in der Naturwissenschaft Anwendung findet: der Netzwerkanalyse. Denn während Großkonzerne für jedermann direkt erkennbar sind, bleiben Netzwerke, die auf Kapitalbeteiligungen oder Personenverflechtungen basieren und ebenfalls Machtstrukturen darstellen, zunächst unsichtbar. So begann die Untersuchung des Forscherteams mit einer immensen Fleißarbeit. Aus einer Datenbank mit 30 Millionen Wirtschaftsakteuren identifizierten sie 43060 transnational operierende Unternehmen. In einem zweiten Schritt klärten sie die dazugehörigen Besitzverhältnisse. Ergebnis: Die Kontrolle über das Netzwerk ist noch wesentlich ungleicher verteilt als das Vermögen innerhalb des Netzwerks. Damit schafft es eine Gruppe von nur 147 Unternehmen, von den Autoren »Supereinheit« getauft, durch Anteilsverflechtungen die Kontrolle über sage und schreibe knapp 40 Prozent der Unternehmenswerte aller transnationalen Konzerne weltweit (!) auszuüben. Das ist der Kern der Machtwirtschaft. 0,3 Prozent kontrollieren 40 Prozent – eine unglaubliche Macht! Noch unheimlicher wird es, da diese 147 nicht etwa in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich fast vollständig auch selbst kontrollieren.

Dieses Streben nach Marktmacht hebelt die Vorteile der Marktwirtschaft aus. Denn Konkurrenz ist schlecht fürs Geschäft. Größe und Marktmacht sind daher wie Löhne oder Materialkosten ein wichtiger Produktionsfaktor, der im Sinne des Profits maximiert wird. Ein Unternehmen, das Marktmacht erobert hat, muss nicht mehr primär über den Preis und die Qualität seiner Produkte um Kundinnen und Kunden buhlen. Ganz im Gegenteil: Wir werden abhängiger von den Produktentscheidungen dieses Unternehmens, da wir immer weniger Ausweich- und damit Auswahlmöglichkeiten haben. Wachsende Konzerne verschaffen sich so nach und nach Vorteile, die ein kleines Unternehmen mit Leistung nicht mehr aufholen kann. Selbst eine innovative Geschäftsidee oder ein effizienterer Produktionsprozess können sich dann nicht mehr durchsetzen, wenn sie dem Profitinteresse der Großen zuwider laufen. Das ist existenzbedrohlich für den kleinen oder mittelständischen Betrieb. Und genau dadurch verfestigen sich Machtstrukturen und Konzentrationsprozesse – ein Teufelskreis.

Eigentlich gibt es genau dafür den Staat, um solche Machtstrukturen zu verhindern – als Interessenvertreter des Gemeinwohls, der sich einer Entwicklung zur Machtwirtschaft entgegenzustellen und dafür zu sorgen hat, dass der Wohlstand bei allen ankommt. Doch auch im politischen Raum gibt es eine Verbindung von Macht und Geld. Die Vermachtung unserer Wirtschaft findet hier ihr Gegenstück. Weniger das Wohl der Bürgerinnen und Bürger eines Landes als vielmehr die Verbindung zu den finanzstarken Interessen ist häufig ausschlaggebend im politischen Prozess. Große Unternehmen und Staat stehen häufig eher in einer symbiotischen Beziehung, als dass der Staat die großen Unternehmen kontrollieren würde.

Die globalen Unternehmen, die uns längst über den Kopf gewachsen sind, sind nur möglich aufgrund staatlicher Regeln. Volkswagen, Shell und die Barclays Bank sind ja nicht irgendwann wie du und ich als Kinder geboren worden und dann gewachsen, sondern sie wurden gegründet. Und diese Gründungen basieren auf den Rechtssystemen, die es zulassen, dass Menschen ihr Geld zusammenlegen, ihre Haftung auf ihren Aktienbesitz beschränken. Und dennoch werden heute für AGs und GmbHs, die wir als Gesellschaftsformen überhaupt erst ins Entstehen gebracht haben, dieselben Freiheitsrechte reklamiert wie für Individuen. Das ist eine problematische Entwicklung. Eine AG oder eine GmbH ist das Produkt unserer Entscheidungen. Und deswegen ist die logische Antwort in einer Zeit, in der uns etliche Konzerne über den Kopf gewachsen sind, dass offenbar die Regeln geändert werden müssen.

Die zentrale Frage ist: Kann es gelingen? Ich sage: Ja. Weil es schon einmal gelungen ist. Es gab schon einmal eine Situation, in der die staatlichen Strukturen zu klein und schwach waren gegenüber großen Konzernen. Während ein großer Wirtschaftsraum entstanden war, fehlten die politischen Strukturen, um die darin entstandenen großen Unternehmen zu kontrollieren. Die durch diese Entwicklung Benachteiligten waren zahlenmäßig den Profiteuren weit überlegen. Es gelang ihnen, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern. Die Rede ist von den großen Trusts, die Ende des 19. Jahrhunderts die USA wirtschaftlich dominierten – und vom progressive movement, das sich ihnen entgegenstellte.

Da nur eine kleine Elite vom Monopolkapitalismus profitierte, standen die progressives für eine breite Allianz, die keineswegs auf die Arbeiterklasse beschränkt war. Im Gegenteil, die Speerspitze war vielmehr die Mittelklasse – Lehrer, Anwälte, Wissenschaftler und Geschäftsleute –, die sich einerseits vom Großkapital über den Tisch gezogen fühlte und durch deren Adern anderseits aber kein Revoluzzerblut floss. Sie stand zwischen der Konzernelite und den radikalen Ideen. So richtete sich die Bewegung nie gegen business, sondern explizit gegen big business – sie stritten ja gerade für Wettbewerb und freies Unternehmertum! Genauso waren sie nie für big government, sondern stets für good government – deswegen wollten sie ja eine demokratische Politik erreichen. Zentral für eine Bändigung der Trusts war die Schaffung von staatlichen Institutionen, die den Konzernen auf Augenhöhe begegnen konnten. Das war um die vorletzte Jahrhundertwende in den USA noch keineswegs der Fall. Denn während sich die Trusts wie ein Netz über das ganze Land gelegt hatten, wurden die meisten Entscheidungen noch auf der Ebene der Bundesstaaten getroffen.

Zunächst lokal organisiert, dann mit einigem Rückhalt im amerikanischen Kongress hatten die Fortschrittlichen 1901 schließlich auch auf Bundesebene Erfolg. Denn mit dem Republikaner Theodore Roosevelt wurde ein erklärter progressive zum Präsidenten gewählt, der sich damit gegen die Laisser-faire-Politik seiner Partei stellte. Und er griff dann auch massiv durch. Er nutzte den Sherman Antitrust Act als Erster konsequent aus und wies seinen Justizminister – in den USA ist das gleichzeitig auch der Generalbundesanwalt – an, alle relevanten Kartelle zu verklagen. Insgesamt 44 Mal schlug dieser mit Roosevelts Anweisung zu, darunter waren die Konzerne JP Morgan, dessen Eisenbahnkartell Northern Securities Company 1904 zerschlagen, und Standard Oil, das in 33 Unternehmen aufgeteilt wurde.

Auch in Europa braucht es jetzt eine progressive Bewegung: Wir müssen bestehende wirtschaftlich-politische Machtstrukturen zurückdrängen oder auflösen. Und wir müssen uns in Europa zusammenschließen, damit wir nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Wie damals braucht es dazu die Mitte der Gesellschaft, nicht ein paar versprengte Radikale. Gerade diejenigen, die wirtschaftlich tätig sind, aber von großen Unternehmen in Markt und Staat an den Rand gedrängt werden, müssen Kern einer solchen Bewegung sein. Diejenigen, die die Steuern zahlen, die große Unternehmen eigentlich zahlen müssten, haben doch allen Grund, hier für eine Veränderung zu sorgen. Und ist es nicht gerade die Mittelschicht, die durch undurchsichtige Finanzprodukte am besten abgezockt werden kann?

Dass eine solche Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft heraus keine Utopie ist, haben uns die “progressives” gezeigt. Nehmen wir uns daran ein Beispiel und organisieren ein progressives Europa!

(1) Vitali, S., Glattfelder, J.B., & Battiston, S. (2011): The network of global cor- porate control, PloS one, 6(10), e25995, http://www.plosone.org/article/info%3 Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0025995 (1.10.2013).

Gerhard Schick

Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. In Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung ist von ihm erschienen: Die desaströsen Bankenrettungen in Europa


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