Das Lied vom Tod spielt am Bahnhof. Keine Mundharmonika. Klavier. Kein Bahnhof im Niemandsland. Ein altes Dorf. Keine Cowboys. Alteingesessene Dorfbewohner. Aber zu Killern werden auch sie. Der Zug bringt auch keinen Rächer. Eine Rächerin. Sie kehrt zurück. Betrogen und verzweifelt hat sie es verlassen, ihr Dorf. Vor vielen Jahren. Schwanger. Reich kehrt sie zurück. Dafür ist ihr Dorf jetzt arm. Noch ist es nicht ihr Dorf. Aber sie ist gekommen, um es zu kaufen. Und ihre Bewohner gleich mit. Geld spielt keine Rolle. Aber der Preis ist auch nicht bezifferbar. Es ist ein Menschenleben. Der soll es hergeben, der sie damals geliebt und dann so brutal hat fallen lassen. Als Hure musste sie sich verdingen, um zu überleben. “Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell.” Der Täter, der ihr jetzt zum Opfer wird, eben noch für das Bürgermeisteramt vorgesehen, muss hilflos zusehen, wie sich die Menschen um ihn herum kaufen lassen. Macht und Geld auf der einen und Armut auf der anderen Seite machen gefügig. Und Verletzungen können noch größere hervorrufen. Enttäuschte Liebe kann tödlich sein.
Bastian Kraft lässt die Zerrissenheit der Claire Zachanassian, der immer noch liebenden, aber gleichzeitig hassenden, der gereiften und gleichzeitig auf burleske Weise dekadent-reichen Rächerin, diese multiple Persönlichkeit, gleich in fünf SchauspielerInnen zerfallen (Margit Bendokat, Olivia Gräser, Katharina Matz, Helmut Mosshammer, Barbara Schnitzler). Und weil diese das Dorf so erfolgreich vereinnahmen, verkörpern sie die Dorfbewohner gleich mit. Gehört am Ende doch schließlich alles ihr, hält sie am Ende doch alle Fäden in der Hand, in die sich die anderen immer tiefer verwickeln lassen. So grell aufgeladen die roten Haare wirken, so schattenhaft das Bühnenbild (Simeon Meier). Wie an einem Tatort, an dem um das Mordopfer ein weißer Kreidestrich gezogen wird, verschwinden die Dorfbewohner immer wieder hinter ebenso gekennzeichneten scherenschnitthaften Papp-Fassaden, aus denen nur ihre Köpfe hervorschauen.
Immer wieder schlägt dabei die sich aufheizende Atmosphäre auch ins Komische um, vor allem dann, wenn Kraft die SchauspielerInnen singen lässt. Dabei sind die Lieder durchaus ernst, von Lady Gaga entliehen, Texte, die ihrerseits von Verletzungen erzählen. Als hätte Kraft hier Anleihe bei Jürgen Kuttner genommen, der dieses Mittel, Charaktereigenschaften durch einen Schlager erst richtig durchbrechen zu lassen, in “Demokratie” auf derselben Bühne zur Perfektion gebracht hat. Ganz so perfekt ist es Kraft nicht gelungen. Aber es bricht das Stück auf, befreit es. Das hätte Dürrenmatt vermutlich gefallen, dieser Ausbruch aus seinem Stück. Dürrenmatt geht auch als Revuetheater.
Ulrich Matthes spielt den Alfred Ill. In sich gekehrt, altersmüde spielt er ihn. Das ändert sich, wenn ihn die Verzweiflung packt, die Angst, die ihn lähmt und seinem Schicksal nicht entkommen lässt.
Und noch etwas hätte Dürrenmatt vermutlich gefallen: Kraft behält den gleichnishaften Charakter des Dramas bei, überlässt es den Zuschauern, die Brücken zur Wirklichkeit zu bauen.
Nächste Aufführungen:
Heute, 19 Uhr 30
21. April, 19 Uhr 30
29. April, 20 Uhr
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