Rezension, Gorkis Wassa Schelesnowa im Deutschen Theater: Wenn der Kapitalismus an einem vorbeizieht

An Bravos hat es nicht gemangelt, am Ende der gestrigen Premiere von Gorkis Wassa Schelesnowa im Deutschen Theater. Und in der Tat, Corinna Harfouch spielt die Unternehmens-und Familien-Matriarchin Schelesnowa so intensiv durch alle Gefühlsebenen, das einem immer wieder der Atem stockt. Wunderbar in der Intonation und zumeist wirklich komisch auch Bernd Stempel in der Rolle des Geschäftsführers Michailo Wassilijew. Die meisten anderen Figuren aber wirken doch reichlich überdreht. Die Tiefe des Stücks, die Verzweiflung, das Misstrauen, die persönliche Härte gegen sich selbst und andere, das Aufnehmen der Gier und der Idiotie der anderen und die eigene Zerrissenheit werden von Harfouch transportiert. Sie wirkt wie ein Magnet auf der Bühne, der die anderen Beteiligten immer wieder anzieht und abstößt. Die Außeneinflüsse, die bittere Not, die die Krise des Unternehmens begründen, gehen in dem Familienwahnsinn fast unter, fallen wie Brotkrumen auf den spartanischen Küchentisch im ebenso spartanischen Bühnenbild (Katja Haß), das die Einheit zwischen Familien- und Unternehmensschicksal bestens demonstriert: Ein Stahlskelett wie es für Fabrikhallen kennzeichnend ist, in dem eine Küche angedeutet wird, im Hintergrund eine Art Schlafzimmer mit Garderobe und eine weitere Garderobe auf der anderen Seite der Bühne. Beide dienen den SchauspielerInnen im Verlauf des Stücks als Umkleide. Das alles ist gut ausgedacht.

“Gorki beschreibt eine mögliche Reaktion auf die zerstörerische Kraft einer Krisensituation und einen spezifischen Familientyp”, analysiert Hans Betram im Interview mit Sonja Anders, das im Programmheft zum Stück wiedergegeben wird. Im Stück aber geht jener Bezug zur Krisensituation zumeist im überdreht gespielten Wahnsinn zwischen den Familienmitgliedern unter, die allesamt nur eines wollen, das Erbe des Unternehmens, das es aufgrund der Krise ja aber gar nicht hergibt. Deutlich wird allerdings trotzdem, dass sich der verwöhnte und verblödete Nachwuchs genauso wie die Schelesnowa der Ursache der Krise nicht gewachsen zeigen: in rasender Geschwindigkeit zieht der Kapitalismus an ihnen vorbei. Die Arbeitsproduktivität im Betrieb kann nicht mehr mithalten mit der Konkurrenz, kein Geld mehr da in der Krise für notwendige Investitionen, die Logistik veraltet. Derart überfordert flüchtet sich die Schelesnowa in die trotzige Illusion, dass es früher doch schließlich auch gereicht habe. Die anderen aber, schlimmer noch, denken schon gar nicht mehr unternehmerisch; sie haben sich längst aufs Erbe konzentriert, im Hier und Jetzt eingerichtet und sind dabei total verkommen. Alles ist in Auflösung begriffen. Jeder ist nur noch sich selbst der Nächste. Keiner traut dem anderen mehr über den Weg. Kein Halt, keine Orientierung nirgendwo.

Und das alles kommt einem doch allzu bekannt vor. Es ist zwar ein Familienbild, das Gorki vor dem Hintergrund der gescheiterten Revolution 1910 entworfen hat. Es ist aber auch ein Gesellschaftsbild, das sehr gut in unsere von Dekadenz und Vereinzelung, Krise und oktroyierter Eigenverantwortung für gesellschaftliche Rückschläge bestimmte Zeit passt, die im Ergebnis von tiefer Unsicherheit und Angst durchzogen ist und die Betroffenen lähmt. Eine Gesellschaft kann nicht nur an einer Revolution, sie kann auch an einer ausbleibenden Revolution scheitern.

Maxim Gorki, Wassa Schelesnowa, Deutsches Theater, Berlin, nächste Aufführungen:

17. Mai, 19 Uhr 30 (Einführung: 19 Uhr); 22. Mai, 20 Uhr; 24. Mai, 20 Uhr; 25. Mai, 19 Uhr


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