Die eine oder der andere mag es zunächst als positive Nachricht aufgegriffen haben: Der SPD-Chef und Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, möchte den Ländern Erleichterung verschaffen, die – mit Gabriels regelmäßiger Zustimmung im Deutschen Bundestag und begleitet von entsprechenden Zeitungsartikeln von ihm – nun schon über Jahre das auch von Gabriel für richtige befundene wirtschaftspolitische Konzept gezwungen sind zu praktizieren: Staatliche Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten. Alles im Dienste der Konsolidierung des Staatshaushalts. In Deutschland hat dieses wirtschaftspolitische Konzept einen Namen: Agenda 2010. In Europa auch: “Rettungsschirm”. Dass Gabriel als Energieminister völlig überfordert ist, hat er bereits bei seiner Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes bewiesen (siehe hierzu in unserer Rubrik “Energiewende – aber richtig“). Dass er es auch als Wirtschaftsminister ist, macht er mit seinen jüngsten Äußerungen zur europäischen Krisenpolitik ein weiteres Mal unmissverständlich deutlich.
Der Deutschlandfunk fasst in seinen Nachrichten Gabriels Aussagen gekonnt zusammen:
“Mittwoch, 18. Juni 2014
Gabriel verteidigt Forderung nach mehr Zeit für reformwillige EU-Länder
Wirtschaftsminister Gabriel hat erneut mehr Zeit zur Konsolidierung für die EU-Krisenländer gefordert. Er sei für mehr Ehrlichkeit in der Debatte, sagte Gabriel der ´Bild´-Zeitung. Deutschland stehe heute besser da als viele andere Staaten, weil es sich mit der Agenda 2010 ein hartes Reformprogramm auferlegt habe. Damals habe man Zeit dafür gebraucht, um die Staatsschulden zu senken. – Der SPD-Chef hatte sich bereits am Montag dafür ausgesprochen, Ländern, die Reformen tatsächlich umsetzen, mehr Spielraum beim Erreichen der Sparauflagen zu geben.”
Gabriel will also die Not lindern, die die von ihm befürwortete Politik der Haushaltskonsolidierung in den davon betroffenen Ländern der Europäischen Währungsunion verursacht hat, indem er die Dosis der verabreichten Medizin herabsetzt. Die Medizin selbst aber lobt er gleichzeitig über den grünen Klee, indem er auf vermeintliche Erfolge der von ihm bis heute mitgetragenen Agenda 2010 verweist.
Die Politik der Agenda 2010 hat aber nicht nur dazu geführt, dass Deutschland heute Milliarden Investitionsrückstände bei der Infrastruktur beschäftigen. Ein Niedriglohnsektor, der laut OECD weltweit seines gleichen sucht, ist ebenfalls Ergebnis der von Gabriel befürworteten Agenda 2010. Eine sensationell schwache Bilanz bei den Unternehmensinvestitionen, stagnierende Umsätze im Einzelhandel und der Gastronomie wie bei Handwerksbetrieben sind ebenfalls Ergebnis der Agenda 2010, weil Dank der Agenda 2010 und der mit ihr einhergehenden “Reformen” viele Menschen reale Einkommensverluste erlitten haben und entsprechend weniger konsumieren. Schlimmer noch, die Angst vor Hartz IV wie die im Rahmen des Sozialabbaus allgemein gestiegene Unsicherheit haben Wirtschaft und Gesellschaft über viele Jahre gelähmt. Ein über viele Jahre im internationalen Vergleich äußerst schwaches Wirtschaftswachstum unterstreicht diese Entwicklung. Wir haben diese Erkenntnisse immer wieder mit offiziellen Statistiken belegt und die zugrundeliegenden Zusammenhänge aufgezeigt (siehe zum Beispiel hier).
Die schlimmste Folge für die Europäische Währungsunion aber war, dass Deutschland mit dieser Politik dazu beigetragen hat, dass die deutsche Inflationsrate – bestimmt durch den Druck auf die Löhne im Verhältnis zur Produktivität – die der europäischen Nachbarn fortlaufend unterschritten hat. So musste auf Dauer auch Frankreich, Deutschlands wichtigster Handelspartner, das sich geradezu vorbildlich an das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von “unter, aber nahe zwei Prozent” gehalten hat, vor Deutschland ökonomisch in die Knie gehen. Auch das haben wir in ausführlichen Analysen aufgezeigt (siehe dazu zum Beispiel hier).
Wenn der Wirtschaftsminister der größten Volkswirtschaft in der Europäischen Währungsunion das alles bis heute nicht erkannt hat, kann einem nur Angst und Bange werden um Europa.
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