“Inflation: Bundesbank plädiert für deutliches Lohnplus”, titelt Spiegel online heute. Der Zusammenfassung von Spiegel online nach zu urteilen – der vollständige Text ist in der Druckausgabe erschienen -, ist dies jedoch gar nicht der Fall. Demnach sieht die Bundesbank lediglich “Spielraum für höhere Lohnabschlüsse”. Da die Lohnabschlüsse in der Vergangenheit aber keineswegs üppig ausfielen, kann man aus der Aussage der Bundesbank auch nicht ableiten, dass die Bundesbank für ein “deutliches Lohnplus” plädiert. Es kommt jedoch noch eine Aussage hinzu, die die Argumentation der Bundesbank fragwürdig erscheinen lässt.
“Jahrelang hätten die Tarifpartner ´sehr verantwortungsbewusst Lohnzurückhaltung´ geübt”, gibt Spiegel online den Chefökonomen der Bundesbank, Jens Ulbrich, wieder. Mit Lohnzurückhaltung meint Ulbrich, dass sich die Löhne schwächer entwickelt haben, als Produktivität und Inflation bzw. Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Mit anderen Worten – wir prüfen das regelmäßig in eigenen Beiträgen zur Lohnentwicklung: Der Verteilungsspielraum (Produktivitätsentwicklung plus Inflationsziel) wurde nicht ausgeschöpft. Was aber soll daran “verantwortungsbewusst” sein? Nichts, es sei denn, man meint, es sei verantwortungsbewusst, sich unfaire Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Handelspartnern innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU) zu verschaffen. Denn immerhin: Den Zusammenhang von Lohn-, Produktivitäts- und Preisentwicklung scheint auch die Bundesbank anzuerkennen: “Höhere Lohnabschlüsse sollen verhindern, dass die tatsächliche Inflationsrate noch weiter unter das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von knapp zwei Prozent sinkt. ´Unser Beurteilungsmaßstab als Notenbank ist einzig die Preisstabilität”, zitiert Spiegel online erneut den Chefökonomen der Bundesbank. Wenn das richtig ist, kann es aber nicht “verantwortungsbewusst” gewesen sein, in der Vergangenheit “Lohnzurückhaltung” geübt zu haben. Dann kann auch die gesamte Euro-Rettungspolitik, die auf Lohnstückkostensenkungen setzt – die Löhne sollen in Relation zur Produktivität sinken -, nicht richtig sein, denn jene Politik hat ja erst dazu geführt, dass die Inflationsrate in der EWU so weit unter das Inflationsziel der EZB gedrückt wurde (siehe dazu zuletzt ausführlich hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement).
Die Auffassung, man wolle verhindern, “dass die tatsächliche Inflationsrate noch weiter unter das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von knapp zwei Prozent sinkt”, erweckt darüber hinaus den Anschein, dass das jetzige Niveau schon in Ordnung gehe. Das dürfte ein verantwortungsbewusster Notenbanker, der “einzig die Preisstabilität” im Auge hat, aber gerade nicht meinen. Denn weil Preisstabilität seitens der EZB mit “unter, aber nahe zwei Prozent” definiert ist, müssen die tatsächlich gemessenen 0,5 Prozent Inflation die Alarmglocken eines jeden wirklich verantwortungsbewussten Notenbankers schrillen lassen. Von daher liegt Ulbrich auch falsch, wenn er für sich und seine Institution beansprucht: “Unsere Argumentation ist symmetrisch und konsistent.” Das Gegenteil ist der Fall. Denn es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass bei einer Inflationsrate von 3,5 Prozent – die negative Differenz der aktuellen Inflationsrate zum Inflationsziel positiv gewendet – bei jedem Bundesbanker Schreikrämpfe über Inflationsgefahren, wenn nicht die Gefahr einer Hyperinflation auslösen würde. “Symmetrisch und konsistent” hieße dann auch entsprechend vor den Gefahren einer Deflation zu warnen. Davon aber scheinen Ulbrich und andere Bundesbanker weit entfernt – und stellen damit selbst eine Gefahr für die Preisstabilität dar.
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