Auf der ersten Seite von “Welt online” findet sich keine Meldung (17. August 2014, 7:45), obwohl es doch die “Welt am Sonntag” an den Tag gebracht hat. Passen die Aussagen der Redaktion nicht ins “Bild”? Erst wenn man Andor im Suchfeld eingibt, erscheint das Interview mit dem Arbeitskommissar der EU-Kommission, das zumindest etwas Hoffnung macht, dass die EU-Kommission langsam aufwacht.
Erst am 7. August hatte das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Claus Köhler, in einem Leserbrief an Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung geschrieben:
“Lieber Herr Hild,
auch die Kommission trifft eine Verantwortung. Wir haben schließlich das Europäische Semester mit seinen Scoreboards zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte. Danach sollte das Leistungsbilanzdefizit gemessen am BIP im Dreijahresdurchschnitt 6 % nicht überschreiten. Deutschland aber liegt bei 7,3 %. Da müsste die Kommission stärker eingreifen.
Herzliche Grüße
Claus Köhler”
Liest man das Interview der “Welt am Sonntag” mit dem ungarischen Ökonomen und EU-Komissar László Andor, könnte man meinen, er habe diese Botschaft gelesen. Der EU-Kommissar sprach gegenüber der “Welt am Sonntag” von “exzessiven Exportüberschüssen” Deutschlands, “die anderen europäischen Nachbarländern schaden”.
Und er richtete sein Augenmerk auf die Lohnpolitik: “Seit nunmehr zehn Jahren bleiben die Lohnzuwächse in Deutschland stark hinter der Produktivitätsentwicklung zurück. Die deutsche Volkswirtschaft verzeichnete signifikante Produktivitätssteigerungen, im Vergleich dazu verlief die Lohnentwicklung leider relativ schwach”, sagte Andor der “Welt am Sonntag”.
Wenn Andor auch immer noch versucht, die Krisenpolitik der EU-Kommission zu verteidigen, traf er doch immerhin diese, aus dem Munde eines EU-Kommissars nun wirklich erstaunliche Aussage:
“Ich bezweifele aber, dass es gut ist, pauschal auf drastischen Lohnkürzungen zu beharren und damit die sozialen Probleme weiter anzuheizen. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre hat in vielen Ländern der Eurozone die ökonomische Krise verschärft.”
Eine Einsicht, die freilich fünf bis sechs Jahre zu spät kommt. Offen ist zudem, ob sie sich auch bei den anderen Verantwortlichen durchsetzen wird. Das, was Andor der “Welt am Sonntag” zu den deutschen Exportüberschüssen, Leistungsbilanzungleichgewichten und zur Lohnentwicklung sagt, ist auf Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung seit vielen Jahren zu lesen. Mit einem gravierenden Unterschied: Andor ist immer noch nicht präzise, wenn er einen produktivitätsorientierte Lohnpolitik einfordert. Damit die von ihm zurecht problematisierten Leistungsbilanzungleichgewichte sich einebnen können, ohne deflationäre Entwicklungen nach sich zu ziehen, wie es derzeit der Fall ist, und damit die von ihm ebenfalls angesprochenen nationalen Inflationsraten dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) folgen können, müssen in die Lohnentwicklung die Produktivitätsentwicklung und das Inflationsziel der EZB eingehen. Dann entwickeln sich die Löhne verteilungsneutral und steuern die Preisentwicklung in Richtung Inflationsziel der EZB.
Das Interview mit Andor in der “Welt am Sonntag” ist hier nachzulesen: “Deutschland muss seine Lohnpolitik ändern“.
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