DGB/Hoffmann/GDL/Bahnstreik: DGB-Chef irrt schon wieder – “Reputationsschäden für die Gewerkschaften” haben ganz andere Ursachen

Erst kürzlich hat sich der neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, durch mehrere Denkfehler disqualifiziert, als er der nun auch von der Bundesbank angestoßenen Lohndebatte in die Parade fuhr (siehe dazu ausführlich hier). Jetzt hat der DGB-Chef laut Medienberichten einen Brief an den Chef des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, geschrieben, damit dieser der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) im derzeitigen Tarifstreit Einhalt gebietet. Die GDL ist Mitglied im Beamtenbund. Hoffmanns Absicht: “weitere Reputationsschäden für die Gewerkschaften (sollen) abgewendet werden.” Die Rufschädigung der Gewerkschaften aber hat ganz andere Ursachen. Eine, aber nur eine davon ist sicherlich das Verhalten, wie es jetzt Hoffmann mit seinem Brief an den Tag gelegt hat.

Erstens, Hoffmann verrät mit seinem Brief an den Chef des Beamtenbundes ein typisches Apparatschik-Verhalten (von seinem Vorgänger, Michael Sommer, ist ein durchaus vergleichbares Gebahren bekannt): Über die höchste Ebene und persönliche Verbundenheit (die Süddeutsche Zeitung zitiert ein handschriftliches “Lieber Klaus…” aus dem Brief Hoffmanns an Dauderstädt) soll eine in dieser Hierarchie weiter unten angesiedelte Gewerkschaft (GDL) gemaßregelt und auf die Linie des DGB und wohl auch des Chef des Beamtenbundes gezwungen werden. Als ob das nicht verwerflich genug wäre, muss man dazu wissen, dass Hofmann in diesem Konflikt selbst Partei ist. Seit längerem nämlich streiten sich die GDL und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) über ihren Vertretungsanspruch für die Beschäftigten der Bahn. Die EVG befindet sich unter dem Dach des DGB. Um nicht missverstanden zu werden: Funktionsfähige Organisationen brauchen Hierarchien. Diese dienen denen, für die sie einzutreten vorgeben, aber nur, wenn die jeweils Verantwortlichen sorgfältig analysieren, mit daraus gewonnen Argumenten unterschiedliche Positionen diskutieren und darüber zu einer gemeinsamen Haltung finden. Davon aber ist Hoffmann weit, sehr weit entfernt.

Das zeigt, zweitens, Hoffmanns geradezu anbiederische Haltung, die aus seinen weiteren Ausführungen spricht. Hoffmann fordert nebulös ein “konstruktives Miteinander” und beruft sich in bester Arbeitgeber- und Medienmanier auf die “Interessen von Millionen von Bahnkunden”. Ist aber nicht allein sein Brief das genaue Gegenteil eines “konstruktiven Miteinanders”?

Hoffmann beruft sich weiter darauf, dass “der aggressive Abgrenzungs- und Konfliktkurs der GDL (…) nicht vereinbar mit einer solidarischen Interessenvertretung aller Arbeitnehmer (ist).” Daraus leitet Hoffmann schließlich seine Forderung an den Chef des Beamtenbundes ab, “mäßigend auf die GDL” einzuwirken. Hoffmann wirft der GDL vor, “ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre aus(zu)bauen.” Spricht Hoffmann damit aber nicht viel eher die eigentlichen Defizite des DGB an?

Denn, wenn der DGB es überhaupt jemals war, so ist er es seit der Agenda 2010 bis heute ganz bestimmt nicht länger gewesen: “eine solidarische Interessenvertretung aller Arbeitnehmer”. Dazu muss man sich nur die Haltung des DGB zur jüngsten Gesetzgebung des Mindestlohns vergegenwärtigen (siehe dazu unter anderem hier, hier und hier). Die ehemalige stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer muss es darüber hinaus wissen, wenn sie in einem Interview mit Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung sagt: “Die Vertreter der Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Hartz Kommission waren ebenfalls ´handverlesene Modernisierer´.” Und, so Ursula Engelen-Kefer weiter: “Bei  dieser ´Modernisierungswelle´ fand Schröder Gefolgsleute auch in den Gewerkschaften.” Tradition und Kern des Problems sind dabei nicht nur ein nicht selten festzustellendes, nur rudimentär zu nennendes Verständnis gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge in der DGB-Spitze (und das trotz einer gut besetzten, direkt unter dem Vorstand angesiedelten “Fachabteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik“), sondern auch die Parteibuch fixierte Nibelungentreue führender Gewerkschaftsfunktionäre zur SPD (siehe dazu unter anderem hier). Man denke darüber hinaus an die Haltung führender Gewerkschaftsvertreter und SPD-Bundestagsabgeordneter zur Teilprivatisierung der Rente (siehe dazu hier).

Und ist es nicht gerade die nicht zuletzt auf dieser problematischen Grundhaltung beruhende “Mäßigung” in Tarifverhandlungen und in der generellen politischen Debatte über eine angemessene Lohnentwicklung, die Hoffmann jetzt auch der GDL aufnötigen will, die die “Reputationsschäden für die Gewerkschaften” bei vielen beschäftigten und arbeitslosen Arbeitnehmern nachhaltig geprägt hat? Die Aussage des jungen Mannes und frisch gebackenen Familienvaters, die wir im November 2013 aufgegriffen hatten, dürfte hierfür durchaus exemplarisch sein: “Ich bin aus der Gewerkschaft ausgetreten. 15 Jahre war ich Mitglied. Was habe ich davon gehabt? Für das Geld bekomme ich jetzt eine Menge Strampler…” 2013 zählten die DGB-Gewerkschaften nach eigenen Angaben 6.142.720 Mitglieder. 1998 waren es 8.310.783.

Nicht nur haben die vornehmlich von DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Tariflöhne den über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank gegebenen Verteilungsspielraum über viele Jahre nicht ausgeschöpft. Die Gewerkschaften haben es auch über Jahre versäumt, ihre Mindestlohnforderung an die jährliche Entwicklung des Verteilungsspielraums anzupassen. Damit hätte sich der DGB nun wirklich als “eine solidarische Interessenvertretung aller Arbeitnehmer” glaubwürdig und mit ökonomischen Sachverstand ausgestattet präsentieren können. Stattdessen spricht vieles dafür, dass die Mindestlohnforderung des DGB von Anfang an zu niedrig angesetzt war (siehe dazu hier).

Schließlich geht auch der Vorwurf Hoffmanns an die GDL, “ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre aus(zu)bauen”, insoweit ins Leere, als dass die Parteinahme und der Brief Hoffmanns an den Chef des Beamtenbundes diesen Vorwurf auf Hoffmann selbst zurückfallen lässt. Das gilt auch für seine jüngste Parade gegen die Forderung höherer Lohnabschlüsse seitens der Bundesbank. Im Gegensatz dazu heißt es in der jüngsten Pressemitteilung der GDL: “Wir anerkennen den Organisationsschwerpunkt der EVG in den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Aber die uns qua Organisationsgrad zustehende Tarifhoheit für das Zugpersonal in den Eisenbahnverkehrsunternehmen lassen wir uns nicht aus der Hand nehmen´, so Weselsky.”

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