Merkel und Gabriel pflegen weiter ihr Mantra der Wettbewerbsfähigkeit – und verkennen den zentralen Zusammenhang

“Staat und Unternehmen müssen nach Ansicht von Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel mehr Geld investieren, damit Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit erhält”, berichtet der Deutschlandfunk in seinen 6 Uhr Nachrichten. Dass es gerade das Mantra der Wettbewerbsfähigkeit war und ist, das für die schwachen Investitionen in Deutschland verantwortlich zeichnet, kommt ihnen auch nach über zehn Jahren Agenda 2010 nicht in den Sinn. Wohl, weil sie den zentralen Zusammenhang verkennen.

Über Jahre haben Merkel und Gabriel das Mantra der Wettbewerbsfähigkeit gepredigt und in konkrete Politik gegossen: Unternehmenssteuersenkungen, Spitzensatzsteuersenkungen auf der Einnahmeseite des Staates, Rückzug des Staates auch auf der Ausgabenseite, Lohnsenkungen bzw. unter dem Verteilungsspielraum verbleibende Lohnsteigerungen und Rentenkürzungen auf der Arbeitnehmerseite.

Jetzt stellen sie die Investitionen in den Dienst der Wettbewerbsfähigkeit. Keine Frage: Investitionen in Forschung und Anlagen helfen die Arbeitsproduktivität zu steigern und neue Produkte zu entwickeln. Beides kann dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Warum aber haben sich die Investitionen seit der Pflege des Dogmas der Wettbewerbsfähigkeit so schlecht entwickelt? Warum haben sich nicht zuletzt aufgrund des Dogmas der Wettbewerbsfähigkeit und der daraus resultierenden Politik riesige Investitionsrückstände bei der öffentlichen Infrastruktur ergeben (siehe dazu hier)? Warum haben sich auch die Bildungsausgaben im Vergleich mit der Europäischen Währungsunion (EWU) unterdurchschnittlich entwickelt? Sie lagen, gemessen an der Wirtschaftsleistung, auch 2013 unter dem Niveau von 1999 (siehe dazu hier)?

Darauf, dass die negative Entwicklung der Investitionen eben mit dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit zusammenhängen, kommen Merkel, Gabriel und ihre Entourage an Beratern und Politikern nicht. Dabei ist es doch einleuchtend, dass eine Schwächung der Einnahmeseite des Staates auch Spuren auf der Ausgabenseite nach sich ziehen wird, und dass Lohn- und Rentenkürzungen den privaten Konsum belasten müssen. Wenn Staat und private Haushalte im Namen der Wettbewerbsfähigkeit aber unzureichend konsumieren, haben die Unternehmen auch keinen Grund zu investieren. Die gegebenen Produktionskapazitäten reichen aus bzw. sind sie noch nicht einmal ausgelastet; die Perspektiven auf eine bessere Auftragslage bleiben düster, sieht man einmal von der Nachfrage aus dem Ausland ab. Das Ausland aber soll ja seit 2011 dem deutschen Dogma der Wettbewerbsfähigkeit folgen. Und die Länder der EWU, denen aufgetragen wurde, nun wie Deutschland die Staatsausgaben und Löhne zu senken, setzen dies auch um. So müssen sich die Investitionen wegen des Dogmas der Wettbewerbsfähigkeit weiter schwach oder sogar negativ entwickeln und können so eines gewiss nicht – “die Wettbewerbsfähigkeit erhalten”, wie Merkel und Gabriel es sich wünschen.

Würden die Kanzlerin und ihr Vizekanzler doch nach all den Jahren der substanzlosen, weil falsch verstandenen Verherrlichung des Wettbewerbs die Investitionen einmal in den Dienst stellen, den Wohlstand in Deutschland und Europa zu erhöhen, dann, ja dann könnte sich das Blatt wenden. Denn breiter Wohlstand – nicht der überbordende Reichtum einiger weniger, wie ihn das von Merkel und Gabriel gepflegte Mantra der Wettbewerbsfähigkeit hervorgerufen hat – setzt zweifellos voraus, dass die Lohnentwicklung den Verteilungsspielraum ausschöpft, die Löhne sich also entsprechend der Produktivität und des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) entwickeln. Das wäre auch die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Kapazitätsauslastung der Unternehmen steigt und technischer Fortschritt nicht arbeitslos macht. Um das zu erkennen, brauchte es übrigens keinen Keynes. Das hat der klassische Ökonom David Ricardo schon überzeugend herausgearbeitet.

Sicher würden auch deutlich höhere Bildungsausgaben nicht nur die Bildung erhöhen, sondern auch die Beschäftigung in diesem Sektor wie auch die Auftragslage von Unternehmen, die von der Renovierung maroder Schulen profitieren. Letzteres gilt natürlich auch für die Ausbesserung von Straßen, Schienen und Bahnhöfen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass in Folge dieser Politik, den Wohlstand der Bevölkerung zu heben, auch die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft steigen würde. Nur eben nicht zum Preis des über Haushaltskonsolidierung, Lohn- und Rentenkürzungen geminderten Wohlstands.

Damit ließe sich, fast nebenbei, auch gleich die Eurokrise einer Lösung näher bringen. Denn die Nachfrage, die Deutschland aufgrund seines steigenden Wohlstands zusätzlich auf das Ausland richtet, würde natürlich helfen, auch dort den Wohlstand zu steigern und aus der Deflation herauszuwachsen. Auch dieser grundlegende Zusammenhang wurde bereits von einem klassischen Ökonomen herausgearbeitet. Er hieß Adam Smith.

Schade, dass offensichtlich nicht nur Merkel und Gabriel davon noch nichts gehört und gelesen haben, sondern auch die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, mit denen beide just gestern im Schloss Meseberg zusammengefunden hatten. Sonst hätten diese Merkel und Gabriel doch sicherlich auf ihren Denkfehler aufmerksam gemacht. Aber nein, wie konnte ich nur vergessen, dass die Arbeitgeberverbände ja mit Merkel und Gabriel seit Jahren gemeinsam im Chor singen und auch der DGB immer mal wieder in das Lied von der Wettbewerbsfähigkeit eingestimmt hat – und sei es nur aus der Nibelungentreue zur SPD.

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