Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien hat Vorläufer – und wirft grundsätzliche Fragen auf

Nach der ARD hat jetzt auch das ZDF seinen “Eklat” zur Ukraine-Berichterstattung. Der Umgang führender Medien – besonders eklatant durch den “Spiegel” und “Die Welt” – wie auch von Intendanten und Redakteuren der kritisierten Anstalten mit den Einwänden wirft grundsätzliche Fragen auf. Sie reichen weit über den unmittelbaren Gegenstand der Kritik hinaus.

Die Reaktionen auf die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung lassen zunächst einmal erkennen: die Kritisierten fühlen sich durch die Kritik angegriffen. Das mag menschlich verständlich sein. Wobei allein dieser Aspekt auf grundsätzliche Fehlentwicklungen unserer Sozialisierung hinweisen: Sollten wir doch so erzogen und gebildet sein, dass wir Kritik als etwas positives begreifen. Kritik kann uns auf Denkfehler und Fehlverhalten, von denen kein Mensch frei ist, aufmerksam machen. Ob wir diese Kritik annehmen oder nicht, sollten wir dann davon abhängig machen, ob wir die Kritik mit Argumenten widerlegen können. Das setzt eine nachdenkliche und offene Auseinandersetzung mit den in der Kritik formulierten Argumenten voraus.

Der Umgang der Kritisierten mit der Kritik im Fall der Ukraine-Berichterstattung ist jedoch nicht argumentativ, sondern demonstrativ. Und zwar in dem Sinne, wie es Benjamin Bidder in seinem Beitrag zum Thema in der Online-Ausgabe des Spiegel zum Ausdruck bringt (siehe dazu kritisch hier): “Aus Köln ist aber zu hören, dass Intendant Tom Buhrow seinen Reportern demonstrativ den Rücken stärkt.” Buhrow argumentiert nicht, er demonstriert bzw. protestiert, wenn er meint: “Das geht an die journalistische Ehre.” Selbst wenn man sich auf den fragwürdigen Begriff der “Ehre” einlässt, dann ist es doch eigentlich Buhrows Umgang mit Kritik, der seine “journalistische Ehre” verletzt. Denn wenn etwas zum journalistischen Grundhandwerk gehört, dann ist es die Fähigkeit, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Dem aber meint Buhrow hier ausweichen zu dürfen.

Er steht damit nicht allein. Gerade erst hat sich der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, ganz ähnlich verhalten. Das Handelsblatt berichtet: “Chefredakteur Peter Frey wollte kritische Nachfragen der Linksfraktions-Abgeordneten Gesine Lötzsch zu einem Bericht über die Ost-Ukraine, in dem Kämpfer mit Hakenkreuz und SS-Rune am Stahlhelm gezeigt werden, nicht beantworten.”

Frey, so das Handelsblatt weiter, “war demnach vom ´Unterton´ der Fragen von Lötzsch befremdet”. So wie Buhrow mit dem irrationalen Verweis auf seine “journalistische Ehre” meint, sich nicht mit Kritik auseinandersetzen zu müssen, so meint also auch Frey, mit dem nicht minder irrationalen Verweis auf einen vermeintlichen “Unterton” einer Frage, sich mit Kritik nicht auseinandersetzen bzw. eine kritische Frage nicht beantworten zu müssen.

Dieser mehr als fragwürdige Umgang mit Kritik ließe sich problemlos noch an weiteren Beispielen belegen. Der Kurznachrichtendienst twitter zeigt beispielsweise, dass Korrespondenten der kritisierten Sender wie Journalisten, die in anderen Medien schreiben, sich dadurch zu bestätigen suchen, dass sie die Beiträge weiterverbreiten – tweeten oder retweeten -, die die Kritik an ihren Programmen zu widerlegen suchen. So tweetet ARD Korrespondent Udo Lielischkies unter anderem den Artikel von Benjamin Bidder mit den Worten: “” Dass Beiträge, wie der von Benjamin Bidder (Spiegel online) oder der von (Welt online) nach demselben Muster gestrickt sind, wie die Aussagen Buhrows und Freys stört sie nicht. Möglicherweise fällt es ihnen nicht einmal auf. Wie aber kann das sein?

Um das zu erklären, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass eine einseitige Berichterstattung, wie wir sie im Fall des Ukraine-Konflikts bzw. -kriegs seit Beginn beobachten können, keineswegs neu ist. Neu ist nur, dass sie jetzt von einem hohen Gremium der ARD selbst kritisiert wird.

Man denke nur an die unreflektierte Haltung Ton angebender Medien im Fall der Agenda 2010, die uns durch die Eurokrise bis heute begleitet (siehe hierzu zum Beispiel den leider immer noch aktuellen Beitrag vom 25.10.2011). Das wirtschaftspolitische Verständnis und die auf dieses aufbauende Berichterstattung in den Medien sind seitdem gewiss nicht weniger einseitig als die Ukraine-Berichterstattung. Mit verheerenden Folgen für Europa, wie wir immer wieder aufzeigen. Wir tun dies unter anderem, indem wir ursächliche und zeitliche Zusammenhänge untersuchen, theoretisch erklären und empirisch nachvollziehen. Gerade letzteres ist eine nicht nur wissenschaftliche, sondern auch journalistische Aufgabe. Sie zwingt nämlich, sich der eigenen Überlegungen und Aussagen immer wieder zu versichern. Darin aber, dass viele etablierte Journalisten (wie auch Wirtschafts-, Sozial-, und Politikwissenschaftler) sich dazu nicht mehr genötigt sehen, liegt eine grundsätzliche Fehlentwicklung im deutschen Journalismus begründet. Sie dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Medien ihrer Aufgabe als “vierte Gewalt” nicht länger oder nur noch sehr bedingt gerecht werden. Die Medien hinterfragen die Entwicklungen, über die sie berichten, nicht länger angemessen. Sie haben sich ein einseitiges Denkmuster zu eigen gemacht, mit dem sie tagespolitische Ereignisse, aber auch Strategien, die in die Zukunft reichen, interpretieren und bewerten. Dieses Denkmuster verhält sich in weiten Teilen bis hin zur Vollständigkeit deckungsgleich mit den einseitigen Denkmustern, denen die Politik folgt, über die die Medien berichten. Längst sind dabei die Grenzen zwischen Politik und Journalismus fließend geworden. Längst ist nicht immer klar, wer hier wen antreibt. Ist es der Politiker, der den Journalisten nach dem Mund redet, oder ist es der Journalist, der dem Politiker nur noch die Stichworte liefert, die es dem Politiker allzu einfach machen, seine Botschaft als alternativlos zu verbreiten?

Dahinter muss kein böser Wille stecken oder gar das Ziel, die öffentliche Meinung gezielt in eine Richtung zu beeinflussen. Häufig ist es gerade in wirtschaftspolitischen Fragen fehlende Substanz, fehlendes Wissen, dass es den Journalisten nicht erlaubt, den Kurs der Regierenden angemessen zu hinterfragen. Indem wir uns immer wieder mit entsprechenden Interviews, Kommentaren und Berichten einschlägiger Medien kritisch auseinandergesetzt haben, haben wir dies versucht, deutlich zu machen. Auf ein aussagekräftiges positives Beispiel mit Blick auf die Ukraine-Berichterstattung, das wir gar nicht erst selbst herausarbeiten mussten, sondern ein Deutschlandfunk-Moderator mit einer einzigen Frage an seine Kollegin lieferte, sei hier noch einmal zur Veranschaulichung hingewiesen: Ukraine/Sabine Adler/Deutschlandfunk: Deutschlandfunk-Moderator bringt mit einer einzigen Frage Licht ins Dunkel.

Was nun alle über die fehlende Substanz hinausgehenden Erscheinungsformen und Erklärungsversuche anbelangt, macht man sich schnell angreifbar. Ich habe vor einiger Zeit, auch mit Blick auf die Berichterstattung über die Ukraine und Russland, auf die Rolle der Sozialisierung hier wie dort hingewiesen. Sie dürfte die Ausrichtung in Politik und Medien wesentlich mitbestimmen.

Hier dürfte sich unter anderem die unbestrittene, fehlende Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems und das praktisch verschwundene “Quereinsteigertum” in Politik und Journalismus besonders negativ bemerkbar machen. Politische wie journalistische Karrieren verlaufen heute in Deutschland geradezu stromlinienförmig. Das aber dürfte einer lebendigen Streitkultur, die die Protagonisten immer wieder zur Prüfung ihres Denkens und Handels zwingt, äußerst abträglich sein. Mir scheint es zumindest so – das wäre eine genauere Untersuchung wert -, dass die Nachkriegspolitik und der Nachkriegsjournalismus in der Bundesrepublik bis hinein in die 1980er Jahre wesentlich streitbarer und kontroverser sowohl innerhalb der jeweiligen Disziplin, als auch gegenüber der jeweiligen Disziplin waren, als dies seitdem der Fall ist. Ich führe dies mit auf die sehr unterschiedlich geprägten Biographien zurück, die damals die Politik und den Journalismus charakterisierten. Sicherlich kein Grund, sich diese Zeiten zurück zu wünschen, wohl aber zu fragen, woran es denn liegt, dass die zahllosen Journalistenschulen und Universitäten, wie auch die Parteien kein vergleichbares Meinungsspektrum mehr hervorbringen.

Schon diese hier nur skizzierten Fragen und Erklärungen sollten Anlass genug sein, die jetzt kritisierte Ukraine-Berichterstattung zum Anlass zu nehmen, dass Selbstverständnis der Politik und des Journalismus ganz grundsätzlich zu hinterfragen und über den ursprünglichen Gegenstand hinaus nach Verbesserungen zu suchen. Es geht schließlich um nichts geringeres als den Artikel 5 des Grundgesetzes umzusetzen und mit Sinn und Leben zu füllen.

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