Immerhin, die Kanzlerin hat in ihrer Rede zur deutschen Einheit die Arbeitslosigkeit thematisiert. Sie hat sie sogar problematisiert.
“Es darf uns zum Beispiel nicht ruhen lassen, wenn in Deutschland immer noch deutlich mehr als ein Drittel aller Arbeitslosen länger als ein Jahr keine Arbeit hat, diese Menschen also langzeitarbeitslos sind. Wir dürfen sie nicht verloren geben. Wir müssen vielmehr immer wieder neue Wege suchen, wie sie besser als bislang Arbeit und damit auch ein Stück weit so etwas wie Erfüllung für ihr tägliches Leben erfahren können.”
Mehr als das bekannte Pochen auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien (siehe dazu zuletzt kritisch hier) fällt ihr allerdings nicht dazu ein. Sind es doch aber gerade diese, die zur Rechtfertigung dafür herangezogen werden, dass die Regierungen in Griechenland, Portugal, Spanien, Frankreich und Italien und nicht zuletzt die Bundesregierung ihre Staatsausgaben kürzen bzw. nicht angemessen steigen lassen. Diese Politik aber hat ja überhaupt erst dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit nach Ausbruch der Finanz- und Eurokrise so stark angestiegen ist.
Die Arbeitslosenquote liegt auch in Deutschland weit über der Grenze, die allgemein auch nach konservativer Betrachtung als Vollbeschäftigung angesehen wird: eine Arbeitslosenquote von drei Prozent. In Deutschland liegt sie – gemessen an allen zivilen Erwerbspersonen – derzeit bei 6,5 Prozent. In Westdeutschland beträgt sie 5,8 Prozent, in Ostdeutschland 9,1 Prozent (Stand: September 2014). Bezogen auf die abhängig zivilen Erwerbspersonen liegt die Arbeitslosenquote noch höher. Die respektiven Werte lauten: 7,2 Prozent, 6,5 Prozent, 10,3 Prozent.
Die Kanzlerin behauptete in ihrer Rede zur deutschen Einheit nun:
“Aber mit unter zehn Prozent ist die Arbeitslosenquote heute so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung.”
Das aber ist falsch.
Die Bundesagentur weist seit 1991 eine gemeinsame Arbeitsmarktstatistik aus. Allerdings nur für die abhängig zivilen Erwerbspersonen. Deren Anteil an allen zivilen Erwerbspersonen ist jedoch so hoch und offensichtlich über den gesamten Zeitraum konstant geblieben, dass sich die unterschiedlich gemessenen Arbeitslosenquoten seit 1994 – dem Jahr, ab dem die Arbeitslosenquote auch gemessen an allen zivilen Erwerbspersonen ausgewiesen wird – lediglich um rund einen Prozentpunkt unterscheiden.
Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung hatte just zu dem Zeitpunkt, als die Bundeskanzlerin ihre Rede zur deutschen Einheit hielt, einen Beitrag veröffentlicht, der unter anderem die Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt seit 1991 nachzeichnete. Die zugrunde gelegten offiziellen Zahlen belegen, dass die Kanzlerin mit ihrer Aussage irrt. Die Arbeitslosenquote liegt – ungeachtet der seit 2004 gesunkenen Arbeitslosenquote – über der im Jahr 1991. Dasselbe gilt für den zuletzt ausgewiesenen Monat September 2014 gegenüber September 1991.
Hintergrund: Zum Stand der deutschen Einheit (vollständiger Beitrag nur im Abonnement)
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