Medienkritik: “Die Welt” will Konjunktur mit Kreuzfahrten stützen

Martin Greive trifft mit seinen Artikeln zur Konjunktur zwar nie die Wirklichkeit. Darin aber übertrifft er sich noch jedesmal selbst. Im Oktober vergangenen Jahres meinte Greive, die Eurokrise wäre in diesem Jahr “abgehakt” (siehe dazu kritisch hier). Fast ein Jahr später, im September dieses Jahres, titelte derselbe Autor mit KollegInnen: “Wirtschaft – Europa im Abgrund – In dieser Krise gerät Deutschland in den Abwärtssog”. Darin warf ausgerechnet Greive der Politik vor die “Streitpunkte” zu “umkurven” und “nun erst aus ihren Tagträumen zu erwachen” (siehe dazu kritisch hier). Gestern nun empfahl Greive die sich abschwächende deutsche Konjunktur zu stützen: mit Kreuzfahrten.

Greive setzt diese, gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Gassmann, gleich mit dem deutschen Konsum. “Nur der Verbraucher kann die Wirtschaft noch retten”, ist der Artikel überschrieben. “Der Konsument wird zur letzten Stütze der Konjunktur”, heißt es darin weiter. Der eigentliche Text landet dann aber gleich einleitend nicht etwa beim Massenkonsum, sondern beim rettenden Anker von angeblich 1,8 Millionen Deutschen, die sich den Spaß einer Kreuzfahrt gönnen würden. Deutschland ist nach dem Artikel im Begriff zum größten Kreuzfahrmarkt der Welt zu avancieren.

Und das ist Greives und Gassmanns Deutschlandbild:

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“Die Kreuzfahrt-Nachfrage ist eines von vielen Indizien für einen Wandel der Konsumkultur in Deutschland. Konsumenten sind zunehmend bereit, ihr Geld für Vergnügungen auszugeben. Vollbeschäftigung in weiten Teilen der Republik, Niedrigzinsen sowie höhere Löhne steigern Lebenslust und Ausgabefreude.”

Aus 1,8 Millionen Deutschen, die Kreuzfahrten konsumieren, werden bei Greive und Gassmann einfach “Konsumenten”. Deutschland hatte 2013 laut Statistischem Bundesamt eine Bevölkerung von 80,8 Millionen. Ebenso schleierhaft muss allen nicht von der “Welt” manipulierten LeserInnen sein, wo denn “Vollbeschäftigung in weiten Teilen der Republik” herrschen soll. Bei einer Arbeitslosenquote von zuletzt 6,5 Prozent und der weiter gefassten Unterbeschäftigungsquote von 8,4 Prozent ist Deutschland weit entfernt von Vollbeschäftigung, die, konservativ betrachtet, bei drei Prozent als gegeben angesehen wird. Nicht einmal die Bundesländer, die laut Bundesagentur für Arbeit bundesweit die niedrigsten Arbeitslosenquoten ausweisen, Bayern und Baden-Württemberg, erreichen diese Quoten. In Bayern lag die Arbeitslosenquote zuletzt bei 3,7 Prozent, die Unterbeschäftigungsquote bei 4,8 Prozent; in Baden-Württemberg lagen die Quoten zuletzt respektive bei 4,0 und 5,2 Prozent. Die anderen Bundesländer sind umso weiter von Vollbeschäftigung entfernt. Ein Blick auf einzelne Berufsgruppen zeigt zudem, dass, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, das Arbeitsangebot (Zahl der Arbeitslosen) weit über der Arbeitsnachfrage (Zahl der offenen Stellen) liegt (siehe dazu ausführlich hier).

Greive und Gassmann aber singen freudig: “Das ist auch besser so.” Und meinen die von ihnen selbst herbeifantasierte “Lebenslust und Ausgabefreude” der Deutschen. “Denn die Kauflaune ist derzeit die letzte Stütze für den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland.” Greive und Gassmann bemühen dann noch den gestern veröffentlichten Ifo-Geschäftsklimaindex. In der Meldung des Ifo-Instituts hieß es dazu jedoch nüchtern: “Im Einzelhandel trübte sich das Geschäftsklima erneut ein. Die Einzelhändler waren merklich weniger zufrieden mit ihrer aktuellen Geschäftslage. Die Erwartungen hellten sich allerdings leicht auf.” Vielleicht sollte sich der Einzelhandel einfach stärker auf den Kreuzfahrtmarkt konzentrieren! Greive und Gassmann meinen: “Die Verbraucher dürfen sich nicht von den Krisen in aller Welt ängstigen lassen, sondern müssen fröhlich weiter konsumieren. Sonst droht ein böser Absturz.”

“In Deutschland ist jeder sechste von Armut bedroht”, meldet soeben der Deutschlandfunk in seinen 9-Uhr-Nachrichten. Betroffen sind rund 13 Millionen Menschen.

Wir geben am 30. Oktober auf Basis der dann veröffentlichten neuesten Arbeitsmarktzahlen und der daraus von uns nach der Methode des ehemaligen Sachverständigenratsmitglieds Claus Köhler berechneten Spannungszahl unsere monatliche Konjunktureinschätzung.

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