Eurokrise: Kommt doch noch Bewegung in die deutsch-französische Wirtschaftspolitik?

Zuletzt war Skepsis angezeigt: Frankreich folgte den deutschen Vorgaben in der staatlichen Haushalts- und allgemeinen Wirtschaftspolitik, die da vor allem lauten: staatliche Ausgaben kürzen, Löhne senken bzw. nicht verteilungsneutral steigen lassen, Arbeitnehmerrechte abbauen. Das muss – wie wir in verschiedenen Beiträgen ausführlich aufgezeigt haben – die französische Konjunktur weiter belasten. Weil Frankreich nach Deutschland die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Währungsunion (EWU) und Deutschlands größter Handelspartner ist, muss sich dies auch negativ auf die europäische und deutsche Konjunktur auswirken. Wird die Konjunktur weiter belastet, muss auch die schon jetzt historisch hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich weiter steigen und die schon jetzt angegriffene politische Stabilität weiter gefährden. Jetzt aber geht die französische Regierung eventuell doch noch in die Offensive und weckt damit Erwartungen an eine Belebung der deutsch-französischen Wirtschaftspolitik und der Konjunktur.

Ausgerechnet die Franfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die das wirtschaftspolitische Dogma der Bundesregierung nicht weniger kompromisslos vertritt als die Bundesregierung selbst, ist der Überbringer der guten Botschaft: Frankreich fordert jetzt auch Deutschland heraus: “Paris verlangt von Berlin höhere Staatsausgaben“, titelt die FAZ und fasst darunter ein Interview zusammen, das sie mit dem französischen Finanzminister und dem französischen Wirtschaftsminister geführt hat.

Wenn es nach ihnen geht, soll Deutschland in den kommenden drei Jahren die staatlichen Investitionen genau in dem Umfang erhöhen, in dem Frankreich Ausgaben kürzt: um 50 Milliarden Euro.

Diese Rechnung geht zwar nicht auf, weil, wenn es so käme, jene deutschen Ausgabenerhöhungen natürlich Frankreich nicht in vollem Umfang erreichen würden. Sie macht jedoch auf das grundlegende Problem aufmerksam, das die Bundesregierung auch nach schärfster internationaler Kritik nicht gewillt ist anzuerkennen, und das der französische Wirtschaftsminister im Interview der FAZ korrekt zusammenfasst, wenn er sagt: “Europa ist mit einem Nachfrageproblem konfrontiert.”

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Dass dies zweiffellos so ist, haben wir seit langem und immer wieder theoretisch und empirisch nachgewiesen. Es ist die zwingende Folge der seit dem Frühjahr 2011 verfolgten Politik, die auf staatliche Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und den Abbau von Arbeitnehmerrechten setzt. Zu schwer wiegt das Gewicht der mit Abstand größten Nachfrageaggregate entwickelter Volkswirtschaften, des Lohns und der Staatsausgaben, als dass der über jene Politik verursachte Nachfrageausfall durch angestrebte Gewinne im Außenhandel kompensiert werden könnte. Das hat – ungeachtet der Rekordüberschüsse im Außenhandel – nicht einmal in Deutschland funktioniert.

Heute treffen die beiden Franzosen den deutschen Finanzminister und den deutschen Wirtschaftsminister in Berlin. Gabriel hat gerade erst am Wochenende gegenüber der “Bild”-Zeitung Ausgabenforderungen, wie sie jetzt die Franzosen gestellt haben, abgelehnt. Seine Ausgabenvorstellungen summieren sich allenfalls auf 16 Milliarden Euro. Nicht anders als der deutsche Finanzminister stellt Gabriel dabei bei der Wirtschaftspolitik auf so genannte strukturelle Fraktoren ab, nicht auf die Konjunktur. So benennt er das Thema Steuergerechtigkeit (Handwerker versus google und amazon). Das ist natürlich in Ordnung, dies zu problematisieren. Viel stärker aber leidet der deutsche Handwerker unter der fehlenden Nachfrage, die die von Gabriel befürworteten Strukturreformen seit der Agenda 2010 hervorgerufen hat, vor allem die über Jahre anhaltende, schwache Lohnentwicklung, die durch die aktuell etwas bessere Lohnentwicklung nicht kompensiert wird. Und er spart die Spitzen- und Unternehmenssteuersenkungen, die er mit zu verantworten hat, aus, die aber nicht wie angestrebt zu mehr Investitionen in Deutschland geführt haben – im Gegenteil: die deutsche Investitionsentwicklung war unterdurchschnittlich und ist auch aktuell schwach bis negativ. Gleichzeitig wurde dadurch der staatliche Handlungsspielraum nachhaltig geschwächt.

Und, noch expliziter kann Gabriel es gar nicht zu verstehn geben: Er kanzelt Konjunkturprogramme als “kurzfristiges Strohfeuer” ab. Das entspricht derselben Ideologie, die auch seine wirtschaftspolitischen Berater nun schon seit Jahren ins Feld führen. Konjunkturprogramme aber sind in der Regel immer langfristiger Natur, denn was, wenn nicht die Investitionen in Straßen, Schulen und andere Infrastruktur, ist langfristig? Ihr Nutzen erstreckt sich auf viele Generationen. Indem Gabriel gegenüber der “Bild”-Zeitung solch langfristige Investitionsprojekte nennt, gleichzeitig aber das hohle “Strohfeuer”-Argument bemüht, widerspricht er sich selbst und versucht möglicherweise nur die nicht zuletzt auch von ihm über Jahre gepflegten Vorurteile zu bedienen.

Aus dem Finanzministerium will die FAZ wiederum erfahren haben, das “die schwarze Null steht”.

Man darf angesichts dieses inhaltlichen Spannungsverhältnisses gespannt sein, wie die heutigen Gespräche ausgehen und welche Folgen sie zeitigen.

Hintergrund:

“Frankreich kopiert Schröders Reformen” – warum Deutschland ein schlechter Ratgeber ist (vollständiger Beitrag im Abonnement)

Jugendarbeitslosigkeit/Beschäftigungsgipfel: Eine Frage der Konjunktur (vollständiger Beitrag im Abonnement)

Eurokrise: Frankreich, Deutschland: Produktivität, Löhne, Preise, Binnennachfarge und Außenhandel – Musterschüler Frankreich, Streber Deutschland (vollständiger Beitrag im Abonnement)

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