Jakob von Weizsäcker: Schlafwandelnd an den europäischen Abgrund

Wer heute morgen die Informationen am Morgen des Deutschlandfunks gehört hat, wurde Zeuge, dass auch einem der bekanntesten sozialdemokratischen Ökonomen trotz Massenarbeitslosigkeit in Frankreich, der daraus resultierenden Stärkung Le Pens und ähnlichen Entwicklungen in anderen europäischen Ländern nichts weiter einfällt, als gegen die vermeintliche “Schuldenmacherei” Frankreichs zu Felde zu ziehen. Jakob von Weizsäcker ist damit nicht nur ein weiterer Wegbereiter Le Pens. Ein Blick zurück zeigt auch, dass von Weizsäcker seit 2011 – als die EU unter deutscher Fürsprache die Politik einleitete, die der Europäischen Währungsunion die historisch hohen Arbeitslosenzahlen bescherte – nichts dazugelernt hat, ja, einer der intellektuellen Wegbereiter auch dieser Katastrophe war.

Heute befragt das Europäische Parlament den ehemaligen französischen Finanzminister Pierre Moscovici als designierten EU-Wirtschaftskommissar. Seit Wochen haben sich deutsche Politiker und Journalisten auf Moscovici als “Schuldensozialist” eingeschossen (siehe kritisch dazu hier, und hier). Anlässlich des heutigen Ereignisses hat Karin Bensch verschiedene Stimmen für den Deutschlandfunk zusammengetragen. Darunter auch den Ökonomen und SPD-Europaabgeordneten Jakob von Weizsäcker. Er ist mit folgendem Satz zu vernehmen:

“Wie will er (Moscovici, T.H.) dafür sorgen, dass der Stabilitäs- und Wachstumspakt glaubwürdig bleibt, also die Begrenzung der Schuldenmacherei in der EU glaubwürdig bleibt?”

Nicht nur von Weizsäcker, der ganze Bericht ordnet die europäische Wirtschaftspolitik dem Thema Staatsschulden unter. Moscovicis Kandidatur ist auch laut der Moderatorin das Ergebis einer “Strippenzieherei” des französischen Staatspräsidenten. Da liegt ihre Frage natürlich nahe, ob Moscovici “nur der verlängerte Arm Hollandes in Brüssel” (Bensch) ist. Und noch einmal kann Bensch, passend zu diesem von ihr gezeichneten Bild, von Weizsäcker zu Wort kommen lassen, der ihr antwortet:

“Als Kommissar ist man da ja nicht mehr ein nationaler Politiker, sondern man ist für Europa verantwortlich. Wenn Moscovici diesen emanzipatorischen Schritt schafft, dann habe ich eine gewisse Zuversicht, dass er das auch hinbekommen kann.”

Und “hinbekommen” soll Moscovici natürlich die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die Begrenzung der Staatsschulden auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und des Haushaltsdefizits auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Jeder Ökonom, der seinen Abschluss verdient, weiß natürlich, dass dies gar nicht möglich ist, wenn eine Wirtschaft so schwach wächst wie die französische. Und jeder Ökonom, der seinen Abschluss verdient, weiß natürlich auch, dass der Fokus auf die Maastricht-Kriterien und das damit verbundene Pochen auf Ausgabenkürzungen – Bensch: “Wofür stünde Moscovici als neuer Wirtschaftskomissar, Geld sparen, oder Geld ausgeben?” – die französische Konjunktur weiter belasten müssen. Der Politiker von Weizsäcker will davon offensichtlich nichts wissen. Für ihn wie auch für die Journalistin Bensch sind offensichtlich auch die historisch hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich und die damit verbundenen politischen Konsequenzen, der Aufstieg Le Pens, kein Thema. Sie erwähnen diese drängenden, die Menschen bewegenden Probleme nicht mit einer Silbe. Nimmt man noch den gestelzten, oberlehrerhaften Ton Weizsäckers in seiner oben zitierten Antwort hinzu (ich empfehle den Beitrag unbedingt im Original nachzuhören, hier als mp3), stellt sich die Frage, wann Weizsäcker zuletzt über seine eigene Emanzipation und europäische Verantwortung reflektiert hat.

Dabei hätte er reichlich Grund und Gelegenheit über sich selbst nachzudenken. Hat von Weizsäcker doch schon 2011 seinen halbherzigen Vorschlag zu Eurobonds damit begründet, dass, würden Eurobonds konsequent aufgelegt, die “fiskalische Disziplin” “aufgeweicht” würde:

“Das Grundprinzip des Euro-Bonds ist einfach. Die Euro-Zone garantiert gesamtschuldnerisch die Rückzahlung der Staatsschulden aller Länder. Dadurch werden die Krisenländer deutlich entlastet. Aber in dieser einfachsten Variante hat der Euro-Bond einen gefährlichen Konstruktionsfehler: Er weicht die fiskalische Disziplin gerade für jene Länder auf, die sie eigentlich am nötigsten hätten und bürdet stabilitätsorientierten Ländern unüberschaubare Risiken auf.”

Schon in seinem damaligen Ansatz ist viel von “Disziplin” und “wirksameren Regeln gegen unsolide Staatsfinanzen” die Rede. Von Weizsäcker hat damals viel Wind mit seinem Vorschlag gemacht. Es war jedoch ein windiger Vorschlag, der die konjunkturellen Probleme und die Wirkung von Eurobonds selbst missverstanden hat, indem er – getrieben von der “fiskalischen Disziplin” – unterstellte, dass eine Erleichterung der Finanzierung der Staatsschuld, die Länder zum Schuldenmachen einladen würde. Sein Rückschluss, “Eurobonds für jedes Land auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts” zu “deckeln”, blendete aus, dass dies angesichts des gegebenen Verschuldungsstands und der Vertrauenskrise bei den Anlegern, den angestrebten, zinssenkenden Effekt der ursprünglichen Eurobond-Idee verfehlen würde. Damit war es sein Modell, das schon vom Ansatz her mit “Konstruktionsfehlern” behaftet war. Die schlimme Entwicklung in der Europäischen Währungsunion seit der Durchsetzung der auch von von Weizsäcker eingeforderten Haushaltsdisziplin hat ihn bis heute offensichtlich nicht dazu bewogen, sich von seinen Denkfehlern zu emanzipieren und politische Verantwortung für Europa zu übernehmen. Hätte die Journalistin Bensch sich doch wenigstens emanzipiert, dann hätte sie eventuell Weizsäcker entsprechend befragt und er wäre vielleicht doch noch aufgewacht. So aber schlafwandeln Politik und Journalismus in großer Eintracht, Hand in Hand wieder einen Schritt näher an den europäischen Abgrund.

Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung finanziert sich ausschließlich über Abonnements und Spenden. Noch sind diese nicht Existenz sichernd. Guter Journalismus muss bezahlt werden, um zu überleben. Deswegen:

Abonnieren Sie Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung oder spenden Sie bitte an:




————————————————————-

Sie können helfen, unseren Leserkreis zu erweitern!

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

————————————————————-


Dieser Text ist mir etwas wert


Verwandte Artikel: